Krisengipfel in Brüssel:Europas gefährliches Spiel mit den Schulden

Erstmals könnte bei dem anstehenden EU-Gipfel mit Griechenland ein Mitgliedsstaat in die Pleite geschickt werden. Unklar ist allerdings, ob sich die Minister tatsächlich zu einem harten Schuldenschnitt durchringen - oder doch am Ende auf eine freiwillige Lösung setzen. Nach einer Hängepartie haben die Euro-Finanzminister am Freitagabend offenbar die sechste Kreditrate für Griechenland freigegeben.

Hans von der Hagen

Was für ein Chaos in Europa. Da reist Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nach Berlin, um kurz vor dem EU-Gipfel Kanzlerin Angela Merkel noch von den Plänen Frankreichs zur Rettung von Europa zu überzeugen. Die hat allerdings andere Vorstellungen - und sagt kurzerhand die Regierungserklärung vor dem Bundestag ab.

General strike in Greece

Die Bevölkerung in Griechenland trifft die Wirtschaftskrise mit Härte - und sie reagiert mit blanker Wut.

(Foto: dpa)

Plötzlich hat dann auch noch Commerzbank-Chef Martin Blessing ein paar Vorschläge. Der Mann, dessen Bank während der Finanzkrise mit Steuergeld gerettet werden musste, fordert kühn die Pleite Griechenlands: "Es muss klar werden, dass Staaten nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder sie bedienen ihre Schulden wie vereinbart oder sie erklären sich für insolvent mit allen harten Konsequenzen."

Der Schuldenschnitt wird also eines der großen Themen auf diesem Gipfel - mit womöglich weitreichenden Konsequenzen. Ein Überblick.

Was entscheiden die europäischen Staats- und Regierungschefs?

An diesem Wochenende soll das weitere Vorgehen in der europäischen Schuldenkrise geklärt werden. Neben der Frage nach einem Schuldenschnitt in Griechenland wird es auch um die Kapitalisierung der Banken und die künftige Ausgestaltung des Euro-Rettungschirms EFSF gehen. Hier steht beispielsweise die Frage im Vordergrund, ob die Schlagkraft des Fonds über eine Hebelwirkung erweitert werden könnte. Abschließend soll allerdings wohl erst bei dem geplanten Folgegipfel am Mittwoch über den EFSF entschieden werden.

Wie ist der Fahrplan beim Gipfeltreffen?

An diesem Freitag sind in Brüssel die Finanzminister der Euro-Länder zusammengekommen, Deutschland wird demnach von Wolfgang Schäuble vertreten. Nach einer langen Hängepartie haben sie abends die sechste Tranche von 5,8 Milliarden für Griechenland freigegeben. Die Kreditrate in Höhe von acht Milliarden Euro setzt sich aus Geldern der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammen; die IWF-Entscheidung steht allerdings noch aus.

Am Samstag treffen sich die Finanzminister aller 27 Länder der Europäischen Union. Im Anschluss beginnt ein Rat für Allgemeine Angelegenheiten, auf dem der Gipfel vorbereitet wird. Bundeskanzlerin Merkel trifft sich am Abend mit den anderen konservativen EU-Staats- und Regierungschefs im belgischen Meise, außerhalb von Brüssel. Am Sonntag treffen sich dann alle EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Am Nachmittag schließt sich dann eine Runde der Chefs der Euro-Länder an. Das Ende dieses Treffens ist offen. Spätestens, wenn in den frühen Morgenstunden die Börsen in Asien den Handel aufnehmen, soll klar sein, wie die Schuldenkrise künftig bewältigt werden soll. Da allerdings kurz vor Beginn des Treffens am Freitag der Gipfel zweigeteilt wurde, dürften weitere Entscheidungen voraussichtlich am Mittwoch präsentiert werden.

Welche Lösung zeichnet sich für Griechenland ab?

Zuletzt waren zwei Möglichkeiten ins Spiel gebracht worden. Entweder könnte es einen harten Schuldenschnitt für das Land geben - oder eine sogenannte "freiwillige" Beteiligung der privaten Banken an einer Umschuldung. Die "Freiwilligkeit" könnte bedeuten, dass Griechenland am Ende wohl nicht formell für zahlungsunfähig erklärt wird. Der wiederholt geforderte Austritt Griechenlands aus der Währungsunion als dritte Option zur Lösung der Schuldenkrise steht derzeit nicht zur Debatte.

Welche Konsequenzen hätte ein klassischer Schuldenschnitt?

Ein klassischer Schuldenschnitt würde zur Pleite Griechenlands führen - ein Schuldenschnitt von 50 Prozent würde dann beispielsweise bedeuteten, dass Griechenland die Hälfte seiner Schulden erlassen wird. Die Konsequenzen wären weitreichender als bei einer "freiwilligen" Umschuldung der Banken, da bei einer formellen Pleite eine Kettenreaktion an den Finanzmärkten in Gang gesetzt wird. Beispielsweise müssten Ausfallversicherungen für die Pleite zahlen, sofern Anleger ihr Engagement in griechischen Papieren entsprechend abgesichert haben. Dies hatte nach dem Lehman-Kollaps 2008 zahlreiche Finanzunternehmen in Bedrängnis gebracht. Hinzu kommt, dass bei einer Staatspleite auch öffentliche Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssten. Es gibt allerdings - anders als bei Unternehmen - keine Insolvenzordnung für Staaten. Darum ist unklar, was Deutschland bei einem klassischen Schuldenschnitt am Ende tatsächlich zahlen müsste.

Wie ist Deutschland bislang in Griechenland engagiert?

Deutschland bürgt bislang für 13,5 Milliarden Euro, die von der staatseigenen KfW an Griechenland gezahlt wurden. Da demnächst nochmals acht Milliarden Euro an europäischer Hilfe nach Athen überwiesen werden sollen, müsste Deutschland für weitere rund 2,3 Milliarden Euro haften. Zusätzlich bürgt die Bundesrepublik noch für einen Teil des Geldes, das über den Internationalen Währungsfonds den Griechen zur Verfügung gestellt wurde. Hier haftet Deutschland aktuell für rund eine Milliarde Euro.

Wie funktioniert eine "freiwillige" Umschuldung

Hat Deutschland direkt Kredite an Griechenland vergeben?

Nein. Die KfW hat sich das Geld am Kapitalmarkt besorgt und es an Griechenland weitergeleitet. Athen verwendet es vor allem zur Rückzahlung auslaufender Staatsanleihen. Es ist also ein kurioser Kreislauf: Die KfW leiht sich Geld bei Anlegern, am Ende zahlt es Griechenland wieder an Anleger aus.

Wie könnte eine "freiwillige" Umschuldung ablaufen?

In diesem Fall würden Banken oder Versicherer Anleihen in längerfristige Papiere umschulden. Die Bankenorganisation Institute of International Finance (IIF) hatte unter ihrem Chef Josef Ackermann im Sommer schon Vorschläge erarbeitet, wie eine solche Umschuldung vorgenommen werden könnte. Der Trick: Durch Kursabschlag oder Reduktion der Zinsen sollten die Banken bei einem Tausch von alten in neue Anleihen auf einen Teil ihrer Forderungen auch tatsächlich verzichten. Der ursprünglich ins Auge gefasste Zielwert von gut 20 Prozent Schuldenerlass gilt allerdings nicht mehr - mittlerweile ist von 50 bis 60 Prozent die Rede. Und ob immer noch das ursprüngliche IIF-Modell mit den unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten für die Finanzunternehmen von der Politik favorisiert wird, ist offen. Am Anleihemarkt notieren griechische Papiere mit zehnjähriger Laufzeit nur noch bei rund 40 Prozent.

Wären bei einer "freiwilligen" Umschuldung nur Anleihen betroffen?

Nach bisherigem Kenntnisstand ja. Jedenfalls wurden Finanzinstitutionen offenbar nur zu einer möglichen Umschuldung von Staatsanleihen befragt. Von sonstigen Krediten war bislang keine Rede. Da eine "freiwillige" Umschuldung womöglich bedeutet, dass Griechenland nicht formell Pleite ist, blieben auch die Spekulanten außen vor, die mit dem Handel von Kreditderivaten auf den Kollaps von Griechenland spekulierten.

Welche Lösung wäre sicherer?

Eine Umschuldung wäre eine Verhandlungslösung, da die Banken mitentscheiden dürften. Dies würde mehr Kontrolle ermöglichen und käme der Vorstellung von einer "kontrollierten Pleite" etwas näher. Ein Schuldenschnitt wäre hingegen die harte Variante. Bei ihr wäre die Unsicherheit an den Finanzmärkten erheblich größer, da sich Anleger schwer tun, die Risiken eines umfassenden Schuldenschnitts abzuschätzen. Allerdings wuchs zuletzt bei den Banken die Zuversicht, dass auch eine harte Pleite beherrschbar sein könnte. Ohnehin ist unklar, ob die Ratingagenturen mitspielen. Die Agentur Fitch hatte bereits im Juli signalisiert, dass eine "freiwillige" Lösung am Ende eben doch einen Zahlungsausfall darstellen würde. Daher deutete sie an, dass Griechenland mit der Note "Restricted Default", also "begrenzter Zahlungsausfall", für den Zeitraum des Umtauschs eingestuft werden könnte.

Welche Lösung wäre für Griechenland besser?

Das hängt von einer Ausgestaltung der "freiwilligen" Lösung ab: Wenn Griechenland tatsächlich Schulden erlassen und gleichzeitig eine Pleite des Staates vermieden werden kann, ist sie attraktiver. Wenn allerdings - was nicht anzunehmen ist - vor allem Altschulden in neue Schulden mit langer Laufzeit getauscht werden, würden die Staatsschulden kaum reduziert.

Welche Lösung ist wahrscheinlicher?

Hatten unlängst Experten angenommen, dass sich die EU nun doch eher zu einem harten Schuldenschnitt durchgerungen habe, gilt aktuell eher wieder die "freiwillige" Lösung als wahrscheinlicher. In Brüssel wird denn derzeit - öffentlich - auch nur diese Lösung diskutiert.

Wie werden die Finanzmärkte reagieren?

Bislang konnten die EU-Vorschläge die Anleger nicht beruhigen - meist folgte einer kurzfristigen Erholung ein neuerlicher Absturz. Das Problem: Es ist unklar, wohin die Politik längerfristig steuert. Erst wenn die europäischen Regierungschefs einen Weg finden, die Probleme der Eurozone grundsätzlich zu lösen und nicht allein Symptome zu kurieren, werden Investoren wieder Mut fassen.

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