EU:Das Ländle baut auf den Brexit

Eine Studie mehrerer Wissenschaftsinstitute zeigt, wie die exportorientierte Industrie Baden-Württembergs von einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sogar profitieren könnte.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Diese Annahme ist im Grunde naheliegend: Wenn der Brexit kommt, wird das die Exportnation Deutschland treffen. Die Umsätze der Unternehmen werden spürbar sinken, damit auch die Gewinne. Aber was so logisch daherkommt, stimmt nicht zwingend. Unter gewissen Umständen wird genau das Gegenteil eintreten. Das behauptet zumindest eine Studie mehrerer Forschungsinstitute. Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg haben sie herausgefunden: Wenn sich Großbritannien aus der Europäischen Union verabschiedet, kann Baden-Württemberg unter dem Strich sogar mehr Waren ins Ausland verkaufen als vorher. Einige Export-orientierte Unternehmen aus dem Ländle müssen den Brexit also nicht fürchten, sondern können sich sogar auf ihn freuen.

Das gilt allerdings nur für einen sogenannten "soften" Brexit - also ohne zusätzliche Handelsbarrieren. Zwei Milliarden Euro mehr Umsatz - das sind immerhin 0,6 Prozent des Gesamtexports - prophezeit ein Simulationsmodell des Münchner Ifo-Instituts alleine dem Bundesland Baden-Württemberg, dessen Wirtschaft traditionell sehr exportorientiert ist. Die Fahrzeugbauer dürften sich der Studie zufolge sogar auf einen Export-Anstieg von einem Prozent (960 Millionen Euro) freuen. Und das wohlgemerkt Jahr für Jahr.

Woher dieses Wachstum trotz der Handelshindernisse kommt? Die deutschen Anbieter werden durch den Brexit auf dem britischen Markt zwar im Gegensatz zu den dortigen Unternehmen diskriminiert - in den anderen EU-Ländern werden die deutschen Firmen jedoch gegenüber der Konkurrenz von der Insel bevorzugt. Kurzum: Was die Schwaben und Baden im Königreich nicht mehr loswerden, können sie nach dem Brexit locker in Resteuropa verkaufen - und noch ein bisschen mehr.

Falls die britische Regierung einen "harten" Brexit, beschließt, ist es allerdings vorbei mit dem Exportplus: Dann würde das Realeinkommen in Baden-Württemberg wie auch in ganz Deutschland um 0,3 Prozent pro Jahr sinken - der Export aus Baden-Württemberg ließe sogar um ein Prozent nach.

Durchgehend negativ wären die Folgen für die Südwest-Industrie, falls US-Präsident Donald Trump Strafzölle einführen würde. In diesem Fall würden die Exporte von Baden-Württemberg in die USA - je nach Ausmaß solcher Abschottungs-Aktionen - um 40 bis 70 Prozent einbrechen. Das wäre gemessen am Gesamt-Export immerhin ein Minus von zwei bis fünf Prozent (sechs bis 17 Milliarden Euro).

Die Mittelständler sind nicht mehr so innovativ wie in früheren Jahren

"Baden-Württemberg ist durch seine starke Export-Orientierung besonderen Risiken ausgesetzt", sagte Landes-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung der Studie. Sie hatte die Institute Ifo, IAW, ZEW und Fraunhofer-ISI damit beauftragt, den Wirtschafts-Standort Baden-Württemberg "im internationalen und nationalen Vergleich" zu analysieren.

Dabei kam auch heraus, dass die Innovationskraft der mittelständischen Unternehmen in den vergangenen Jahren stark nachgelassen hat. Das müsse im Land der Tüftler und Erfinder geändert werden, sagte Hoffmeister-Kraut. Dabei sei der Grund für die Innovations-Schwäche erst an zweiter Stelle der Geldmangel. Noch viel problematischer seien die fehlenden Fachkräfte. Deshalb fordert sie von der neuen Bundesregierung "ein effizientes Einwanderungsgesetz für qualifizierte Fachkräfte". Zudem schlug sie vor, Ausgaben von Unternehmen für Forschung und Entwicklung künftig steuerlich zu fördern.

Nebenbei zeigt die Studie auch: Sowohl die USA als auch Großbritannien schneiden sich mit ihrem Rückzug vom Freihandel ins eigene Fleisch. Aber diese Erkenntnis überrascht weniger als das baden-württembergische Brexit-Plus.

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