EU-Bürokratie:610 Euro Stundenlohn

610 Euro Stundenlohn, ein Politikersohn unterrichtet die "Versilberung von Uhren": Ein griechischer Beamter kämpft darum, dass die EU Millionen Euro von korrupten Lehrern einer Athener Bildungseinrichtung zurückfordert. Doch Brüssel stellt sich taub.

Christiane Schlötzer, Athen

Griechische Beamte haben nicht den besten Ruf. Giorgos Boutos würde dies gern ändern. Versucht hat er es auch, er wollte einen Fehler wiedergutmachen, den nicht er begangenen hat, sondern andere, Prominentere. Aber dort, wo Griechenland so gern kritisiert wird, bei der Europäischen Union in Brüssel, haben sie nicht auf ihn gehört. Im Vergleich zu den großen Korruptionsfällen könnte man den Vorgang fast lächerlich nennen, aber auch hier geht es um Millionen, Geld der EU, die in die Taschen von Ministersöhnen und Politikergattinnen geflossen sind. "Man könnte das Geld zurückfordern, aber es passiert nichts", sagt Giorgos Boutos. "Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll."

Der Athener Finanzbeamte Boutos, 59, drängt sich nicht auf mit seiner Geschichte. Er will kein Nestbeschmutzer sein. Nur wenn man ihn bittet, erzählt er von seinem schier unermüdlichen Ringen um die Rettung der verschleuderten Millionen. Alles begann, als Boutos im Jahr 2006 in offiziellem Auftrag die Finanzen des Griechischen Instituts für Berufliche Bildung (OEEK) unter die Lupe nahm. Was zunächst wie eine Routineangelegenheit aussah, entwickelte sich zu einer bis heute nicht erledigten Sisyphos-Arbeit, ohne absehbares Ende. Dies kann man den zahlreichen Schreiben von Boutos an die Europäische Antikorruptionsbehörde, abgekürzt Olaf, entnehmen.

Der Beamte fand zum Beispiel heraus, dass in jenem Berufsbildungsinstitut Stundenlöhne von bis zu 610 Euro für das Lehrpersonal bezahlt wurden, und einige der Ausbilder lehrten gar 225 Stunden im Monat, und dies auch noch zu Zeiten, als sie sich nachweislich im Ausland befanden. "Vielleicht konnten sie sich ja mit besonderen geistigen Fähigkeiten an andere Orte beamen", spottet Boutos.

Politikergattin als Multitalent

An der Qualifikation des Personals in diesem fröhlichen Institut fehlte es auch oft. So lehrte die Gattin eines Politikers der Sozialisten (Pasok) außer Zahntechnik auch noch Geografie. Der Sohn eines Kabinettsmitglieds fand sich ebenso unter den Vielbeschäftigten, er unterrichtete unter anderem die Kunst der "Versilberung von Uhren". Verwandte des Institutschefs waren auch gut beschäftigt und sogar Vertreter des Rechnungshofs, der in Griechenland als höchste Instanz die Staatsausgaben überprüft. Kein Wunder, dass der Rechnungshof die Sache nur mit spitzen Fingern anfassen wollte.

Deshalb hat sich Boutos dann an die EU gewandt, zum ersten Mal im Juli 2010, zum letzten Mal vor wenigen Wochen. Boutos konnte Belege vorweisen, Unterschriften unter Verträgen, auch offensichtlich gefälschte, Namen, Daten, Flugtickets, Hotelrechnungen, Bankauszüge und die Gesamtschadenssumme: mindestens sechs Millionen Euro, 75 Prozent davon aus EU-Kassen.

Verhindern Polit-Promis eine Untersuchung?

Nach dem ersten Neun-Seiten-Schreiben des Finanzprüfers passierte erst einmal lange gar nichts. Nachdem der griechische Repräsentant bei Olaf nicht reagierte, wandte sich Boutos an dessen Chef, den Generaldirektor der Antikorruptionsbehörde. Wieder keine Antwort. Erst als Boutos einen Beschwerdebrief an den Kabinettschef der EU-Kommission, Kestutis Sadauskas, schrieb, antworteten die Korruptionswächter erstmals. In diesem Schreiben wird der Eingang der Boutos-Briefe bestätigt. Der Vorgang bekommt eine Nummer: OF/2011/0704. "Danke für Ihr Interesse am Schutz der finanziellen Interessen der EU", so schließt der Text.

Gut sieben Monate lang passiert dann wieder nichts, trotz mehrerer Nachfragen von Boutos. Am 26. Januar 2012 bekommt er noch einmal eine kurze Nachricht aus Brüssel. Darin heißt es, Olaf sei "im Begriff einer umfangreichen Reorganisation", man bitte um Verständnis. Darauf antwortet Boutos bitter: Nach allem habe er den Eindruck, die europäische Antikorruptionsbehörde könne es "an Ineffizienz entweder mit dem öffentlichen Sektor in Griechenland aufnehmen" oder man betrachte den Aufklärer aus Athen schlicht als "Störenfried".

Einige Fälle inzwischen verjährt

Inzwischen sind einige der Verschwendungsfälle schon strafrechtlich verjährt, nachdem ein griechischer Richter festgestellt hat, dass es sich angeblich nicht um systematischen Betrug gehandelt habe. "Aber das EU-Geld könnte immer noch zurückgefordert werden", betont Boutos. In seinem bisher letzten Schreiben nach Brüssel - das er auch wieder an die Kommission adressiert hat - fragt er, ob es bei Europas Korruptionsbekämpfern vielleicht "interne Regeln" gebe, die eine Verfolgung verhinderten, wenn hochrangige Parteivertreter oder Regierungsmitglieder verwickelt seien.

Zurückgezahlt haben die Betroffenen inzwischen nur ein Zwölftel der veruntreuten Summe, genau 516.000 Euro. Boutos, seit 29 Jahren im Staatsdienst, inzwischen mit gekürztem Krisengehalt, sagt: "Ich habe mehr gemacht, als ein durchschnittlicher Beamter." Gedankt hat ihm dies bisher niemand wirklich. "Ich wurde wegen meiner Beharrlichkeit eher belächelt." Boutos aber sagt auch: "Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass die Sache ad acta gelegt wird." Sicher gebe es größere Korruptionsfälle, meint der Beamte. Aber selten so gut belegte. "Hier wär es so einfach, aber es passiert nichts." Das Schlimmste, so sagt der beharrliche Mann in Athen, sei für ihn, "dass es so aussieht, als sei es auch der EU egal".

Eine frühere Version von Teaser und Überschrift hat die beschriebenen Vorgänge zu stark zugespitzt. Wir haben sie daher geändert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: