Förderung:Gebt keine Millionen für Bildung aus - sondern Milliarden!

Demonstration von streikenden Kita-Beschäftigten

Ihre Erzieherin ist mehr wert, finden Mila (l) und Liam aus Wettenberg.

(Foto: dpa)
  • Bildung zählt in Deutschland nicht - obwohl sie so wichtig ist.
  • Wer gut verdienen will in diesem Land, arbeitet besser mit Maschinen als mit Menschen.
  • Staat und Wirtschaft müssen sich Bildung endlich etwas kosten lassen.

Von Marc Beise

Sie machen einen super Job, und die Firma ist stolz auf Sie!" Das hören deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelegentlich - wenn sie Glück haben - aus dem Mund ihrer Vorgesetzten. Und wenn es sich um ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes handelt, dann gibt es aktuell meist auch allen Grund für anerkennende Worte, denn Umsatz und Gewinn werden wie bei derzeit vielen tausend Industrieunternehmen zugelegt haben. Der gewaltige Exporterfolg der deutschen Industrie mit einem Jahresrekordsaldo von mehr als einer Billion Euro hat viele Väter (und Mütter).

"Sie machen einen super Job, und die Gesellschaft ist stolz auf Sie!" Lehrer und Erzieher hören diesen Satz eher selten, und übrigens auch nicht die Eltern. Ihnen wird so direkt auch kein Beitrag zum deutschen Exporterfolg zugebilligt - obwohl sie doch genau für diesen die Voraussetzungen schaffen und ihr Einfluss darauf viel grundsätzlicher und umfassender ist als der von Werkzeugmachern, Elektroinstallateuren oder der von Managern.

Es ist genau dieser Widerspruch, der das größte Problem markiert, das Deutschland heute hat: Bildung zählt nicht - obwohl sie so wichtig ist. Um es an den Einkommen der Arbeitnehmer festzumachen: Wer gut verdienen will in diesem Land, arbeitet besser mit Maschinen als mit Menschen.

Erzieher und Lehrer verdienen zu wenig

Kein Politiker unternimmt ernsthafte Anstrengungen, gegen die Missachtung von Bildung vorzugehen oder auch nur den ganz großen Aufschrei loszulassen, das Thema entscheidet keine Wahlen, es mobilisiert nicht mal in großem Umfang Demonstranten. Wenn es darum geht, den Riesenauftrieb im Zusammenhang mit dem G-7-Gipfel im bayerischen Alpenvorland zu geißeln, ist das Land ganz groß. Wenn es darum geht, die Bildungsmisere anzuprangern, ganz klein.

Wer das ändern will, holt üblicherweise die Gerechtigkeitskeule raus. Das ist berechtigt, oder auch nicht. Ja, es ist ungerecht, dass Erzieher und Lehrer und übrigens mittlerweile auch Hochschullehrer so vergleichsweise wenig verdienen in diesem Land der Dichter und Denker. Dass die Einkommensschere zwischen den unterschiedlichen Berufen mittlerweile so dramatisch weit auseinanderklafft. Dass es "Minderperformer" an der Spitze von Unternehmen gibt, deren Jahreseinkommen dennoch in die Millionen geht. Aber bei dieser Debatte kommt man nicht weit.

Gerechtigkeit ist ein Wieselwort, das seine Wirkung so oder so entfalten kann. Man kann die hohen Einkommen auch mit gutem Grund mit der konkreten Verantwortung von Spitzenmanagern für Zehntausende Mitarbeiter begründen, mit der Komplexität der notwendigen Entscheidungen, der Internationalität der Tätigkeiten, teilweise mit einer sehr professionellen Ausbildung. Und am Ende muss man auf die Regeln der Marktwirtschaft verweisen und den Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Das mag im Einzelfall ungerecht wirken, funktioniert aber immer noch besser - und ist auch gerechter - als ein System aus Dirigismus und Planwirtschaft, in dem die Einkommen von irgendwem zentral festgelegt werden. Von wem eigentlich?

Der Staat muss sich die Ausbildung etwas kosten lassen

Nein, wer wirklich etwas verändern will, muss die Gesellschaft bei ihren eigenen Wirkmechanismen packen. Muss Politiker, Unternehmer, Arbeitgeber und Gewerkschaften daran erinnern, dass Staat und Wirtschaft am besten gedeihen, wenn ihre Mitglieder top ausgebildet sind. Das betrifft erstens eine solide Grundbildung für alle, beginnend bei der frühkindlichen Betreuung über alle weiteren Stationen der Ausbildung inklusive der lebenslangen Weiterbildung. Und es wird ergänzt durch die Entwicklung spezieller Fertigkeiten, was je nach Ausbildung am Ende den Facharbeiter ausmacht oder den Akademiker. Das müssen sich Staat und Wirtschaft im eigenen Interesse etwas kosten lassen. Viel mehr kosten lassen, als das bisher der Fall ist.

Zwar ist das öffentliche Schulsystem besser als in vielen anderen Staaten der Welt, ist die duale Berufsausbildung ein Hit, den man nicht ohne Grund jetzt auch den krisenbehafteten europäischen Südstaaten ans Herz legt, selbst in den USA haben sich die Vorteile dieses Systems herumgesprochen. Offensichtlich aber geschieht nicht genug. Die Defizite des Schulsystems sind seit den Pisa-Vergleichsstudien viel diskutiert, die Durchlässigkeit ist gering, wer aus sozial schwächeren Schichten kommt, schafft fast nie den Aufstieg.

Das alles ist bekannt und wird ständig "adressiert" - auch von denen, die daran nichts ändern. Warum? Weil die negativen Folgen schleichend sind, weil Maßnahmen keinen schnellen Erfolg bringen. Weil Politiker, die sich hier engagieren, nicht schon vor der nächsten Wahl Erfolge vorweisen können und Unternehmen nicht schon bei der nächsten Bilanzsaison. Und es hängt wohl auch damit zusammen, dass das Bewusstsein für "Kinderthemen" schwindet in einer alternden Gesellschaft, der die Kinder ausgehen.

Geldströme werden woanders hingeleitet

Und weil das alles so ist und weil Wirtschaften das Verteilen knapper Ressourcen ist, werden die Geldströme dann eben woanders hingeleitet. Und alle Debatten und jene kleinen Verbesserungen, die es möglicherweise gibt, bleiben Stückwerk. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie das Säkulare des Bildungsprojekts nicht erkannt wird. Bevor nicht wirklich erkannt wird, dass das Wirtschaftswachstum und der allgemeine Wohlstand umso höher sind, je besser gebildet eine Bevölkerung ist.

Drei Thesen

Die Realität: Wer gut verdienen will, arbeitet besser mit Maschinen als mit Menschen

Das Problem: Die Wirtschaft gedeiht nur gut, wenn ihre Mitglieder top ausgebildet sind

Die Lösung: Staat und Wirtschaft müssen sich Bildung etwas kosten lassen

Gerade wer die Mechanismen der Marktwirtschaft anerkennt, wer dem deutsche System der Ordnungspolitik verhaftet ist, wonach der Staat nicht alles und jedes regeln, sondern den Rahmen setzen soll, die Leitplanken sozusagen, der muss im Bildungsbereich aktiv werden, denn Bildung ist Teil dieses Rahmens, Teil der Leitplanken.

Aktuell ist über die Kindertagesstätten diskutiert worden, weil dort die Erzieherinnen und Erzieher zurecht mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen gefordert haben, aber auch ganz allgemein eine gesellschaftliche Aufwertung. Der Kita-Streik wird mit Ablauf dieser Woche ausgesetzt zugunsten eines Schlichtungsversuchs, also des Verhandelns der verkeilten Parteien (Gewerkschaften und öffentliche Arbeitgeber) unter der sanften Steuerung neutraler, wohlmeinender Persönlichkeiten.

Die Nachricht vom Streikende war für die betroffenen Eltern erst mal eine gute Nachricht, die in den vergangenen Wochen viel Improvisationskunst beweisen mussten - und das häufig unter dem Radarschirm der öffentlichen Aufmerksamkeit. Was vielleicht auch wieder mit der Unterscheidung zwischen Menschen und Maschinen zu tun hatte: Über stillstehende Züge reden alle, bald auch über leere Briefkästen, über geschlossene Kitas reden eigentlich nur die betroffenen Eltern - kein Wunder in einem Land mit immer weniger Kindern.

Das Ende der Streiks ist gut und schön. Nur reicht das ja nicht.

Denn entweder scheitert die Schlichtung, und alles geht von vorne los. Oder sie gelingt, dann ist aber nicht viel erreicht worden, Änderungen bei den Eingruppieren, hier ein bisschen mehr Geld und dort ein paar Zugeständnisse. Das Grundproblem aber ist nicht gelöst, nämlich die Frage, was dieser Gesellschaft Bildung Wert sein muss. Nach dem, was oben gesagt worden ist, müsste die Antwort klar sein: ganz viel wert.

Der Streik könnte etwas Positives bewirkt haben

Dieser Streik, und nun kommt die gute Nachricht, so mühsam er für den Einzelnen war, könnte das Bewusstsein dafür geschärft haben. Es wird seitdem etwas mehr als bisher über Bildung diskutiert worden, und vielleicht wächst ja doch, mühsam und langsam zwar, das Bewusstsein, wie wichtig Bildung und Ausbildung für eine Gesellschaft sind. Nur dann, wenn hier mehr verstanden wird, kann sich auch wirklich etwas ändern, was über die aktuelle Kita-Auseinandersetzung und den dort irgendwann zu findenden Kompromiss weit hinausgeht.

Dann muss es darum gehen, dass der Staat sein Steuer- und Sozialsystem umbaut. Dass er aber auch das ihm zur Verfügung stehende Geld anders einsetzt und die Geldströme ins Bildungssystem lenkt, dass insbesondere die frühe Bildung kostenfrei sein muss, erst recht für jüngere Mitglieder von Mehr-Kinder-Familien. Dass er nicht nur ein paar Millionen hier und da einsetzt, sondern Milliarden investiert und dafür einen Teil des Geldes am anderen Ende der Bildungskarriere wieder hereinholt, beim Studium zum Beispiel, das den Absolventen besser bezahlte Jobs verspricht und deshalb auch - sozial verträglich - Studiengebühren sinnvoll erscheinen lässt. Oder indem die Steuergelder nicht für die Betreuung zu Hause ausgegeben werden, sondern in den Bau von Krippen und Kitas investiert wird.

Oder indem Subventionen in ganz anderen Bereichen der Gesellschaft, in denen der Staat viel Geld investiert, zur Disposition gestellt werden, sagen wir: bei der Landwirtschaft und bei alternativen Energien - beides aus unterschiedlichen Gründen wichtige Themen, aber eben nicht annähernd so umfassend wichtig fürs Land wie die Bildung. Je weniger mutig der Staat hier agiert, desto mehr ist die Wirtschaft selbst gefordert, müssen Unternehmen als Lückenbüßer agieren. Einiges geschieht, ja, Mittelständler und Konzerne engagieren sich mit Stiftungen, Universitätskooperationen und Schulprojekten - es ist ein Anfang, nicht mehr.

Wirtschaftsvertreter sind gut daran, die Defizite des Staats zu beklagen. Warum bauen sie nicht ergänzende Bildungsangebote auf? Es ist nicht ihr Job, klar, aber am Ende treffen die politischen Defizite auch die Unternehmen.

Oder ganz konkret: Im aktuellen Kita-Streik haben sich, was man so sieht, einige Unternehmen flexibel verhalten, aber viele auch ignorant: Warum hat man nicht alle Eltern, deren Kinder in den Kitas nicht mehr betreut werden konnten, einfach auf Firmenkosten nach Hause geschickt und so ein Signal gesetzt? Vorschlag zur Güte: Diese Idee nehmen die Personalchefs auf Wiedervorlage, und über alles andere reden wir nach der Kita-Einigung. Dann geht es nämlich erst richtig los.

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