ESMA:Beschützer mit neuer Macht

Lesezeit: 3 min

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde bekommt dank einer neuen Richtlinie mehr Befugnisse - zu viele, meinen Kritiker aus Deutschland. Sie warnen vor zu großer Regulierung.

Von Nils Wischmeyer, München

Keine 15 Tage hat sie gewartet, um ein erstes Zeichen zu setzen. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat seit Jahresanfang mehr Macht als je zuvor und testet diese gleich aus. Im ersten Diskussionspapier schlägt sie vor, einige spekulative Finanzprodukte teilweise zu verbieten oder einzuschränken. Es wäre das erste Mal, dass eine solche Maßnahme europaweit gilt.

Anders als in der Bankenaufsicht ist die Aufsicht der Finanzmärkte bisher Sache der Nationalstaaten. In Deutschland ist dafür die Bafin zuständig, in Großbritannien die FCA und in Frankreich die AMF. Mit der neuen Finanzmarktrichtlinie, die zum 3. Januar in Kraft getreten ist, verschiebt sich die Macht langsam aber sicher hin zur ESMA. Sie darf nun beispielsweise einzelne Finanzprodukte vorübergehend europaweit einschränken. Noch ist nicht klar, ob es tatsächlich dazu kommt. Das veröffentlichte Papier ist nur ein Entwurf. Der Vorstoß der Behörde gilt aber als Gradmesser dafür, wie sie mit ihrer neuen Macht umgehen will. Wird sie hart durchgreifen? Und wird sie der neue Beschützer der Privatanleger?

Tatsächlich ist die Erweiterung der ESMA-Befugnisse nur der jüngste von vielen Schritten hin zu einer starken europäischen Finanzaufsicht. Hintergrund diesmal ist die EU-Richtlinie Mifid 2, die als späte, aber umfangreiche Antwort auf die Finanzkrise gilt. Sie soll Privatanleger schützen und mehr Transparenz in den europäischen Finanzmarkt bringen. Ausgearbeitet hat sie die ESMA, die Implementierung hat sie ebenfalls überwacht.

Seit ihrer Gründung 2011 bekommt die Pariser Aufsicht regelmäßig neue Kompetenzen zugesprochen. Zu Beginn war die ESMA vorrangig für die Überwachung von Ratingagenturen zuständig. Heute ist sie für fast alles verantwortlich, was an den Finanzmärkten passiert, darf bei Ratingagenturen Sanktionen verhängen und arbeitet neue Richtlinien wie die Mifid 2 bis ins Detail aus. Aus den Anfangs 180 Mitarbeitern sind 270 geworden, bis 2022 könnten es noch einmal doppelt so viele werden. Damit wird die ESMA zu einem bedeutenden Akteur auf dem europäischen Finanzmarkt und zu einer Instanz, die Anleger bald europaweit schützen könnte.

Von einem großen, mächtigen Beschützer auf EU-Ebene will in der ESMA aber niemand etwas hören. Man wachse Schritt für Schritt und das sei gut so. Die Hauptaufgaben würden nach wie vor die 28 Mitgliedsstaaten bewältigen. Sie stellen auch die Gremien, ähnlich wie im EU-Ministerrat.

Zurückhaltende Töne sind das, die sich nicht unbedingt mit den Ambitionen des Chefs decken, dem Niederländer Steven Maijoor. Er gilt als pragmatischer Lenker einer ständig wachsenden Behörde. Mit der Einführung der Mifid 2 hat er die ESMA erstmals ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit geholt. Auf Dauer will er mehr. Maijoor äußert sich zu vielen Themen. So warnte er Privatanleger vor Investitionen in Bitcoins und andere Kryptowährungen. Langfristig will er die Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte wesentlich stärker zentralisieren und die ESMA als zentralen Spieler etablieren.

Eine Vision, die nicht überall auf Zustimmung stößt. Zunehmend sehe man, dass die ESMA in Gebiete vorstößt, in denen sie gar keine Kompetenzen habe. In vielen Punkten der neuen Richtlinie sei die Behörde "weit über das Ziel hinausgeschossen", sagt Henning Bergmann vom Deutschen Derivateverband (DDV). Das hänge natürlich auch mit den Ambitionen des Chefs zusammen. In einigen Gremien wundert man sich zudem über die forsche Art der ESMA. So etwas ist man von der Finanzaufsicht Bafin nicht gewohnt.

Generell gibt es den Konsens unter deutschen Finanzakteuren, dass die Zusammenarbeit mit der Bafin alles in allem angenehm laufe. "Die Bafin ist immer gesprächsbereit - auch wenn es naturgemäß in manchen Punkten unterschiedliche Sichtweisen gibt", sagt Bergmann. Verlagere sich der Prozess nach Paris, werde ein direkter Zugriff schwieriger. Zu weit weg sei die ESMA von den nationalen Behörden. Eine einheitliche europäische Regulierung sei gut, gehe aber möglicherweise nicht auf die Unterschiede zwischen den Ländern ein - statt einfacher könnte die neue Behörde einiges komplizierter machen.

Auch die Ausrichtung der ESMA bereitet Finanzakteuren Sorge. Wird die Regulierung nun wesentlich härter? Die Ausarbeitung der Finanzmarktrichtlinie deutet darauf hin. Mit ihren 20 000 Seiten gilt sie als größtes Regulatorik-Projekt der vergangenen Jahrzehnte. Die Finanzindustrie kostet die Umsetzung 2,5 Milliarden Euro. Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum Schutz der Anleger, heißt es bei Fonds und Verbänden. Die ESMA hält dagegen und sagt, es könne gar nicht genug Schutz für Privatanleger geben - ein klarer Wink in Richtung der Finanzmärkte.

Der nächste Richtungsgeber wird die Entscheidung über mögliche Verbote sein. Es kann Monate dauern, bis sie fällt. Zeit für die deutsche Finanzindustrie, sich an die ESMA zu gewöhnen. Aufzuhalten ist die Entwicklung hin zu einer stärkeren europäischen Aufsicht wohl nicht. Die Europäische Kommission plant mit der ESMA als wichtigen Eckpfeiler für eine Finanzmarktunion. Mehr Mitarbeiter soll sie auch bekommen. ESMA-Chef Maijoor wird sich freuen.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: