Ermittlungen wegen Aktienbetrugs:Spur der Gier

Ein wüster Börsen-Krimi um Luxus und Manipulation: Tobias Bosler sollte eigentlich Aktionäre schützen, jetzt soll ihm wegen mutmaßlichen Aktienbetrugs der Prozess gemacht werden. Womöglich finanzierte er seine 20-Meter-Yacht mit Kurstricks von beispiellosem Ausmaß. Nach SZ-Informationen führt eine Spur zum Erlanger Chaos-Unternehmen Solar Millennium.

Markus Balser und Uwe Ritzer

Er war ein Mann von Welt. "Kapitän", nannte ihn seine Börsenclique. Tobias Bosler herrschte über seine Münchner Investmentfirma TFB Capital, er residierte im noblen Kitzbühel, und im Mittelmeer kreuzte seine 20-Meter-Yacht Excalibur 1. Über seinen Börsenbrief verschickte er brandheiße Infos zu kleinsten Firmen. Credo: "Börsengewinne sind kein Zufall."

Probebetrieb Solarthermisches Parabolrinnenkraftwerk Andasol 1

Bauarbeiter am Solarkraftwerk Andasol 2 von Solar Millennium in der spanischen Provinz Granada. Eine Spur führt von mutmaßlichen Anlagebetrügern zu dem Erlanger Unternehmen.

(Foto: Solar Trust of America / dpa)

Der "Kapitän" gab zudem als Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) gerne den Robin Hood der Börsenwelt. Einer, der für Anleger kämpft. Dessen Mitarbeiter auf Hauptversammlungen den Vorstandschefs so richtig zusetzen. Inzwischen jedoch hält ihn die Staatsanwaltschaft in München für einen systematischen Aktienbetrüger: Bosler sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. 2012 will ihm das Landgericht München den Prozess machen. Im Herbst schon ist Anklage gegen Bosler und drei weitere Beschuldigte erhoben worden.

Er gilt nun als Abzocker. Strafverfolger werfen ihm und seinem ehemaligen SdK-Freund Markus Straub Kursmanipulation und Insiderhandel vor. Die Ermittlungen gelten als bislang größter Schlag gegen mutmaßlichen organisierten Aktienbetrug in Deutschland. Bosler und Straub sollen Teil eines illegalen Netzwerks von gewaltiger Dimension und Dreistigkeit gewesen sein. Zusammen mit mehr als 30 anderen Finanzleuten sollen sie über Jahre hinweg die Aktien von zahlreichen Unternehmen manipuliert haben. Womöglich kassierten sie mit Insiderwissen Millionen ab.

Der Fall könnte das ohnehin dünne Vertrauen in Deutschlands Aktienmärkte aufs Heftigste beschädigen. Verdächtig viele Fäden laufen ausgerechnet in der Zentrale der Aktionärsschützer an der noblen Münchner Maximilianstraße zusammen: ein wüster Börsen-Krimi um Gier und Luxus, um einen Zirkel von Finanzmanagern, angeblichen Börsenaufpassern und Finanz-Journalisten. Sie alle verdienten offenbar kräftig, indem sie Aktienkurse wie Jo-Jos hüpfen ließen. Sie spielten nach Überzeugung von Fahndern mit zum Teil wertlosen Unternehmen. Leidtragende waren Aktionäre, die den Imagekampagnen Glauben schenkten.

Das System kann man anhand des Beispiels Solar Millennium erklären, einer einst ambitionierten Firma aus Erlangen, die überall in der Welt Sonnenkraftwerke bauen wollte. Auch Aktien dieser grünen Firma seien von den Jo-Jo-Spielen betroffen, heißt es in Kreisen der Staatsanwaltschaft.

Die Kursturbulenzen begannen vor zwei Jahren. Am 18. Januar 2010 stürzte die Aktie an einem Tag um 22,58 Prozent ab. Der Süddeutschen Zeitung liegen Dokumente vor, die einen direkten Kontakt zwischen der Solar-Millennium-Spitze und dem dubiosen Zirkel um die SdK offenbaren. Am 1. Februar 2010 schrieb Ex-Sprecher Bosler einen achtseitigen Brief an Vorstand und Aufsichtsrat der fränkischen Firma. Bosler kam schnell auf den Punkt und behauptete, er halte zusammen mit anderen Investoren Aktien über 20 Millionen Euro. Er beklagte den massiven Kurssturz vom 18. Januar, kritisierte die Informationspolitik scharf und forderte ein massives Gegensteuern - mit Aktionen zur Kurspflege. So sah es, internen E-Mails zufolge, auch der Aufsichtsrat und Gründer Hannes Kuhn. "Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass die Staatsanwaltschaft auf eine mit Sicherheit hochprofessionell verfasste Strafanzeige hin Ermittlungen einleitet", warnte Bosler noch.

Mehrere Skandale führen zu Solar Millennium

Boslers Anwalt lehnt auf Anfrage einen Kommentar ab. Doch Anleger sind in großer Sorge: Warum hatte der Aktionärsschützer seinerzeit Angst vor staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen? Wieso der außergewöhnliche Rund-um-die-Uhr-Einsatz für Solar Millennium? Denn Bosler notierte freimütig, er mache seit drei Monaten nichts anderes, als "full time am Investment Solar Millennium" zu arbeiten.

Die Fragen werden umso drängender, je mehr Solar Millennium selbst schwächelt. Vorstände kamen und gingen in rasendem Tempo. Der ehemalige EnBW-Chef Utz Claassen warf nach 74 Tagen hin. Er fühlte sich vom Aufsichtsrat getäuscht und lieferte sich mit der Firma einen erbitterten Rechtsstreit. Längst haben sich Behörden eingeschaltet. Die Staatsanwaltschaft und die Finanzaufsicht Bafin untersuchen den Verdacht von Insidergeschäften mit Aktien der kleinen Firma. Angekündigt wurde viel im Lauf der Jahre, und es wurde ein dreistelliger Millionenbetrag von Anlegern eingesammelt. Verwirklicht wurde wenig. Ermittler gehen inzwischen Untreuevorwürfen nach, möglicher Steuerhinterziehung und der Frage, welche Rolle eine dubiose Briefkastenfirma im Geflecht um Solar Millennium gespielt hat. Ins Zentrum vieler merkwürdiger Geschehnisse ist Firmengründer Kuhn gerückt: Er hat an die 20 Verfahren am Hals. Es geht auch um die Pleite der Düsseldorfer DM Beteiligungen AG. Anleger verloren bis zu 90 Millionen Euro. Kuhn weist Vorwürfe gegen ihn zurück.

Warum nur laufen bei dem kleinen Unternehmen in Franken die Fäden gleich mehrerer Skandale zusammen?

Untersuchungshäftling Tobias Bosler war nicht der einzige ranghohe Funktionär aus der Börsianer-Schutzgilde SdK, der sich bei Solar Millennium engagierte. Harald Petersen, Wirtschaftsanwalt aus München und bis heute Vorstand der SdK, mischte ebenfalls kräftig mit. Offenbar auf Bitten des Aufsichtsrates von Solar Millennium verfasste Petersen am 26. Januar 2010 eine Stellungnahme zum Kurssturz. Ausdrücklich verweist er gleich zu Beginn auf seine langjährige SdK-Tätigkeit und seine Mitgliedschaft im Börsenrat der Münchner Börse. Im Ergebnis kommt er zu einem auffallend ähnlichen Urteil wie Bosler nur vier Tage später: Das Auf und Ab bei den Kursen zu Jahresbeginn 2010 sei ein Angriff von "Shortsellern", also von Spekulanten, die kurzfristig auf Kursrückgang setzen. Petersens Botschaft: Man könne dem begegnen, indem man etwas für den Kurs tue.

Heute weist Petersen den Verdacht von Absprachen mit Bosler zurück. Zum laufenden Verfahren könne er sich nicht äußern, teilt er der SZ mit. Über seine gutachterliche Stellungnahme für den Aufsichtsrat von Solar Millennium habe er zu keinem Zeitpunkt mit Tobias Bosler gesprochen, "geschweige denn diese mit ihm abgestimmt". Außerdem habe er am 26. Januar 2010 weder unmittelbar noch mittelbar Aktien der Solar Millennium AG gehalten.

Es ist nicht die einzige Merkwürdigkeit rund um die Aktien der Firma. Im November 2009 war sie interessant geworden, weil der damalige Aufsichtsrat Kuhn an einem Coup arbeitete: der Verpflichtung des Industriestars Claassen als Vorstandschef für Solar Millennium. Wer von der Nachricht vorher Wind bekam und Solar-Millennium-Papiere eingekauft hatte, konnte binnen weniger Stunden Millionen verdienen. Ein ungewöhnlich guter Zeitpunkt für einen Einstieg also. Und just jener, an dem sich Tobias Bosler nach eigenen Angaben bereits "full time" um Solar Millennium kümmerte. Verblüffend sicher hatte er auf Solar Millennium gesetzt. Seine TFB-Capital sei schon seit Sommer 2009 "nennenswert an der Solar Millennium AG (SMAG) beteiligt", ließ er in seinem Brief an das Unternehmen wissen.

Anfang 2010 waren Bosler und "Dutzende professioneller Kapitalmarktteilnehmer" mit mehr als 500.000 Aktien bei dem Kraftwerkebauer engagiert. Ungewöhnlich viel für einen derart kleinen Wert. Überhaupt kümmerte sich die Clique auffallend intensiv: "Seit Ende Oktober tauschen wir uns regelmäßig mit ca. 70 Kapitalmarktteilnehmern (Analysten, Fondsmanagern, Vermögensverwaltern, Börsen- und Wirtschaftsjournalisten) über SMAG aus", notierte Bosler.

Wie eng der Draht gewesen sein könnte, zeigen vertrauliche Dokumente aus dem Unternehmen. So forderte der Aufsichtsrat den damaligen Vorstandschef Claassen gleich nach dessen Amtsantritt im Januar 2010 zu einem bizarren Geschäft auf: Der Vorstand sollte ein Darlehen an Aufsichtsrat Hannes Kuhn in unbegrenzter Höhe gewähren, damit der eigene Wertpapierpositionen schließen könne. Das war wohl als Maßnahme gegen den vermeintlichen Angriff von Spekulanten gedacht - eine eigentümliche Verquickung des Unternehmens mit geschäftlichen Interessen Kuhns. Ehemalige Führungskräfte berichten, mehrfach seien Wünsche, die zunächst Kuhn an den Vorstand herangetragen habe, zeitlich kurz danach auch von SdK-Mann Bosler vorgebracht worden.

"Börsengewinne sind kein Zufall" - dieses Credo könnte nun zum Bumerang werden.

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