Ermittlungen gegen Kartoffel-Kartell:Das große Geld mit Linda und Belana

51. Kartoffelbörse in Hannover, 2002

Jede Menge verschiedene Sorten - mit den Lizenzen lässt sich das große Geld machen.

(Foto: dpa)

Luxuskarossen, mutmaßliche Preisabsprachen und Monopole der Züchter: Ein Kartoffel-Kartell macht mit der kleinen Knolle das große Geschäft. Während womöglich auch die Supermärkte davon profitieren, entsteht für die Bauern großer Schaden.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Jede Branche hat ihr eigenes Milieu, ihr spezielles Aroma, und es gibt manchmal Auffälligkeiten, die die Zeit in ein Davor und ein Danach scheiden.

Vor dem mutmaßlichen Kartoffel-Kartell bevorzugten Chefs großer Handels- und Sortierbetriebe eher unauffällige Autos - wie Volvo oder gewöhnliche Daimler-Diesel. Danach wurde in der Branche klotzig verdient, was sich auch an der neuen Auswahl des Fuhrparks zeigt: Einige Größen der Branchen bevorzugen jetzt Wagen der CL-Klasse von Mercedes-Benz: Sie fahren in einem CL 63 AMG oder in einem CL AMG 65 vor. Exklusiv, luxuriös. Man hat es sich doch verdient.

Die Luxuskarossen passen derzeit nicht so ganz zu der Befindlichkeit der Branche. Seit einer Weile geht schon das Gerücht um, ein ehemaliger Angestellter habe beim Bundeskartellamt wegen Preisabsprachen anonym Anzeige erstattet oder ausgepackt. An ein paar Personal-Rochaden und auch Firmenverkäufen war die aufkommende Nervosität zu erkennen und auch daran, dass sich einige der Kartoffel-Manager in jüngerer Zeit Handys mit Prepaid-Karte zulegten: Sicher ist sicher. Man weiß doch nicht, wer noch zuhört. Wenn es um Kartelle geht, ist die Prepaid-Karte sozusagen systemimmanent.

Bauern wie Verbraucher zahlen die Zeche

Die Republik staunt über die Kartoffel-Branche: Das Bundeskartellamt ermittelt gegen zahlreiche große Betriebe, offenbar zehn und mehr an der Zahl. Gegen fünf Firmen wurden bereits Bußgeldverfahren eingeleitet. Das allein zeigt schon die Dimensionen dieses Falles. Gewöhnlich bilden nur ganz wenige Unternehmen ein Kartell.

Jeder Wettbewerbsverstoß schadet irgendjemanden, und in diesem Fall zahlen wohl Bauern wie Verbraucher die Zeche. Auf der Gewinnerseite sind Kartoffelfabriken, Abpackbetriebe - und womöglich auch die Supermarktketten, die überteuerte Ware gekauft haben sollen. Es ist deshalb kein Aufschrei der Discounter- und Einzelhandels-Branche zu erwarten, sie sei reingelegt worden. Reingelegt? Es könnte ganz anders sein.

Früher musste eine Supermarktkette die Kartoffel-Tarife bei den anderen Discountern immer im Blick haben und zur Grundlage der eigenen Kalkulation machen. Unterscheiden sich die (angeblich abgesprochenen) Angebote der großen Erdäpfel-Händler kaum noch, dann haben die Discounter einerseits kaum Spielraum für Preiskämpfe, und geben andererseits einfach die Preisaufschläge an die Verbraucher weiter. Höhere Preise bedeuten dann auch höhere Gewinnmargen für die Supermärkte. Sie könnten also indirekt von einem Kartell profitiert haben.

Die Masse macht den Gewinn

Darüber, welchen Gewinn das vor etwa zehn Jahren angeblich gegründete Kartoffel-Kartell gemacht haben soll, gibt es unterschiedliche Schätzungen. Von 100 bis 500 Millionen Euro ist die Rede. Unklar ist, wie umfassend die Kenntnisse des Anonymus sind, der das Kartellamt in die Spur gebracht hat. Deshalb stützt sich die SZ derzeit auf Branchenkenner, die das System über alle die Jahre verfolgt haben.

Nach deren Expertisen lag die Netto-Marge vor dem Kartell pro Tonne Kartoffeln bei etwa zehn Euro. Nach dem Kartell sei diese Marge, saisonale Schwankungen und Sonderereignisse inbegriffen, auf bis zu 100 Euro geklettert. Besonders viel Geld werde mit den Premium-Kartoffeln verdient, die in kleinen schicken Verpackungen in die Läden kämen. Da liege der Gewinn erheblich höher. Die Masse macht den Gewinn: Pro Kopf werden in Deutschland im Jahr etwa 30 Kilogramm Speisekartoffeln gekauft und verspeist.

Das Geschäft mit den Lizenzen

Kartoffeln sind manchmal Mimosen, die durch Grünstellen, Eisenflecken oder Schorfbefall angegriffen werden können. Früher war es üblich, dass etwa zwei Prozent der Rohware befallen sein durften, heute gilt meist die Null-Toleranz. Das trifft die Bauern beim Preis. Der Verbraucher ist an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Er bevorzugt, das sagen alle Branchenkenner, gut aussehende Kartoffeln, die hübsch sind - auch wenn sie nicht gut schmecken. Sie dürfen nicht faulen, nicht schrumpeln und schon gar nicht austreiben.

Die Welt der Kartoffel ist eine eigene Welt mit neuen Regeln. Einige Sortier-Unternehmen, die bis zu 300.000 Tonnen im Jahr umsetzen, kamen auf die pfiffige Idee, sich Saatzucht-Betriebe zuzulegen. Kartoffeln haben eine Art Patent, das Sortenschutz heißt und in der Regel drei Jahrzehnte lang gilt, bevor es ausläuft. Danach kann jeder, ohne dafür extra zu zahlen, diese Sorte Kartoffel vermehren und verkaufen. Deshalb ist es wichtig, neue Sorten zu züchten, für die dann von den Bauern wieder Lizenz-Gebühren verlangt werden können. Und die alten Sorten auslaufen zu lassen. Die Zulassung erteilt das Bundessortenamt in Hannover.

Rettungsaktion für Linda - Kalkül?

Wie das große Geld gemacht wird, zeigt das Beispiel zweier Kartoffeln: Linda und Belana. Linda wurde von einem Saatzucht-Unternehmen entwickelt und bekam 1974 den Sortenschutz. Ende 2004 zog ein Unternehmen, das zu den Großen der Branche gehört, seine Zulassung zurück.

Angeblich war die alte Linda sehr anfällig gegen Krautfäule und andere Übel geworden und ausgerechnet mit Ablauf der Lizenz nicht mehr resistent genug gegen Kartoffelkrebs und andere Krankheiten. Wundersamerweise hatte die Nation diese Kartoffel über so lange Zeit verspeisen können, ohne Schaden zu nehmen.

Bauern protestierten. Sie argumentierten, der Züchter habe sein Monopol ausgereizt und jetzt habe die Allgemeinheit das Recht, die Sorte ohne Lizenz frei nutzen zu können. Kartoffel-Liebhaber starteten eine Rettungsaktion für Linda. Nach langem Rechtsstreit erteilte das Bundessortenamt im Jahr 2010 dieser Kartoffelsorte eine neue Zulassung für Deutschland, die nicht mehr an die Lizenz des ursprünglichen Zuchtunternehmens gebunden ist. Bauern können die Sorte nutzen, ohne dafür zahlen zu müssen, aber der Markt dafür ist weg. Linda ist eine Randmarke geworden.

"Massiv geschädigt und betrogen"

Nachfolgerin ist die Sorte Belana, die im Jahr 2000 die Zulassung für 30 Jahre bekam und vom selben Zuchtunternehmen stammt. Sie nahm einen reißenden Siegeszug bei den festkochenden Speisekartoffeln. Die Sorte Belana hat in der Tat ein paar bessere Eigenschaften als die alte Linda. Vor allem aber bringt sie Saatzüchtern und den damit meist verbundenen Sortier-Betrieben einen Bomben-Profit. Sie wurde in den Markt gedrückt, schafft Lizenz-Gebühren und erzielt gute Preise in der besten Kategorie, der Premium-Klasse.

Die Verbindung von Zuchtunternehmen und Abpack-, also Handelsbetrieben führt offenbar auch dazu, dass Bauern, die nicht die erwünschten Sorten anliefern, abgewiesen werden. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) spricht von einem "undurchsichtigen Gebaren". Viele Landwirte seien durch das mutmaßliche Kartell "massiv geschädigt und betrogen" worden.

Bei Belana sind Zucht und Handel offenbar nicht mehr miteinander verbandelt, in vielen anderen Fällen aber schon. Die Einnahmen aus den Lizenzen für Pflanzkartoffeln und den Verkaufspreisen im Supermarkt fließen dann in eine große Kasse; der Wettbewerb ist bestens geregelt. Die gute alte Kartoffel hat eine solche Melange eigentlich nicht verdient.

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