Erklärung im Wortlaut:"Wir sind kein Scherbengericht für die Wirtschaft"

Die Erklärung von Brigitte Koppenhöfer, Vorsitzende Richterin im Mannesmann-Prozess am Landgericht Düsseldorf.

"Noch nie während meiner nunmehr 25-jährigen Dienstzeit als Richterin ist wie in diesem Verfahren derart massiv versucht worden, auf die Entscheidungen direkt oder indirekt Einfluss zu nehmen.

Dass ich in meinem engen und weiteren persönlichen Umfeld angesprochen wurde, war zu erwarten. Mit Schmähbriefen habe ich ebenfalls gerechnet, nicht jedoch mit Telefonterror bis hin zu regelrechten Drohungen.

Dass sich sämtliche Stammtische Deutschlands meldeten, war nicht überraschend. Überraschend für mich war jedoch, wer im Laufe des Verfahrens - und auch bereits im Vorfeld - an einem solchen Stammtisch Platz nahm.

Da meldeten sich so genannte Rechtsexperten aus allen Teilen Deutschlands und äußerten über die Medien ihre Meinungen, selbstverständlich ohne jede Aktenkenntnis und ohne jemals die Hauptverhandlung besucht zu haben. Nur ein Beispiel von vielen: Ein solcher Rechtsexperte durfte im Feuilleton einer Zeitung einen langen Artikel über das Rechtsgespräch abdrucken lassen, der darauf beruhte, dass die Schöffen und "Ersatzrichter" vor dem Gespräch von mir "in die Kantine geschickt wurden", was schlicht falsch war. (...)

Weitere Rechtsexperten - u.a. angeblich unabhängige Wissenschaftler - haben mehr oder weniger umfangreiche, quasi gutachterliche Stellungnahmen öffentlich abgegeben, und ich musste mich nicht immer fragen, wer der Auftraggeber war.

Andere "Experten" werteten vermeintliche Aussagen aus dem nicht-öffentlichen Teil des Rechtsgesprächs, die auch nicht dadurch richtiger wurden, dass das Wort "angeblich" vorangestellt wurde. Pensionierte und nicht pensionierte Kollegen taten ihre Meinungen kund.

"Wir sind kein Scherbengericht für die Wirtschaft"

Auch unter den Politikern aller Parteien fanden sich "Stammtisch-Rechtsexperten", die unser Strafrecht neu definierten; sie erfanden Straftatbestände wie "Sauerei", "Schweinerei" oder auch "Perversion"; neu war auch die Einstellungvorschrift der "Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland".

Den Wirtschaftsstandort Deutschland fand zum Teil auch die ausländische Presse gefährdet, so zum Beispiel, wenn sie selbst die Akkreditierungsfrist für die Zuweisung von Presseplätzen verpasste. In einem solchen Fall sollte der Bundeskanzler in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen und dafür sorgen, dass dem Beschwerdeführer ein Platz zur Verfügung gestellt wird.

Dass Verteidiger und auch Angeklagte vor, während und vermutlich auch nach dem Prozess versuchen, die Presse mit mehr oder weniger Erfolg zu instrumentalisieren, mag ihr Recht sein. Ob es ein "gutes" Recht ist, möchte ich nicht beurteilen. Dass dies ebenso von Seiten der Staatsanwaltschaft geschieht, war für mich neu und befremdlich. (...)

Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zum Rechtsgespräch machen, das die Wellen hat hoch schlagen lassen. Ein derartiges Gespräch ist in der Praxis nicht nur üblich, sondern Ausdruck des fair trial. Es dient dazu, dass alle Beteiligten sich auf die Rechtsauffassung des Gerichts einstellen und ihr Prozessverhalten entsprechend einrichten können. (...)

Die Präsentation der vorläufigen Kammermeinung führt in vielen Fällen auch zu einer Verkürzung des Verfahrens; dies setzt jedoch einen Prozessbeschleunigungswillen aller Beteiligter voraus.

Ich möchte hervorheben, dass die Kammer im vorliegenden Fall lediglich für die Entscheidung der angeklagten und einbezogenen Taten als Straftatbestand zuständig war, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir haben keine unternehmerischen Entscheidungen zu treffen oder solche abstrakt zu bewerten, allenfalls deren strafrechtliche Relevanz. (...) Wir sind kein "Scherbengericht" für die deutsche Wirtschaft; wir sind Mitglieder einer Wirtschaftsstrafkammer.

Wir bewerten nicht deutsche Unternehmenskultur, selbst wenn die Beweisaufnahme insoweit Anlass zur Verwunderung ergab. Allerdings - und das sei deutlich gesagt - operieren Unternehmen und deren Entscheidungsträger in Deutschland nicht im rechtsfreien Raum, und zwar unabhängig davon, ob sie Werte schaffen oder nicht. Dies ist ein Vorteil und ein Argument für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Auch die Kammer hatte bei ihrer Entscheidung teilweise ihre Zweifel, die in der Urteilsbegründung näher konkretisiert werden. Im deutschen Strafprozessrecht werden solche Zweifel jedoch nach Abschluss der Beweiswürdigung zu Gunsten der Angeklagten gewertet.

Man muss Angeklagten zwar nicht alles glauben, man darf ihnen aber auch nicht alles unterstellen. Das ist nicht Klassenjustiz, sondern ein rechtsstaatlicher Fundamentalgrundsatz mit Verfassungsrang."

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