Erfolg im Internet:Kleine Fluchten

Erfolg im Internet: Beim Self-Publishing entscheiden die Leser über ein Buch.

Beim Self-Publishing entscheiden die Leser über ein Buch.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nachwuchsautoren waren bisher vom Wohlwollen der Buchverlage abhängig. Nun bietet das Internet ganz neue Chancen.

Von Ruth Fulterer

Auf den ersten Blick unterscheidet sich Hanni Münzer nicht von den anderen Autoren im Programm der Frankfurter Buchmesse. Die blonde Bestsellerautorin wird an diesem Freitag vorlesen, Bücher signieren, für Fotos posieren. Sie wird wohl auch ihre eigene Geschichte erzählen - vom Erfolg, der sie einholte, als sie schon nicht mehr damit gerechnet hatte. Münzer hat dieses Jahr nicht nur ihren 50. Geburtstag gefeiert, sondern auch den Einzug ihres Romans "Honigtot" unter die besten zehn Titel der Spiegel-Bestsellerliste.

Man spürt Münzers Talent, sobald sie anfängt zu sprechen: Sie erzählt der Reihe nach, unaufgeregt. Das Unwichtige lässt sie weg und räumt Anekdoten doch genügend Platz ein. Obwohl sie ihre Geschichte schon unzählige Male erzählt haben muss, fühlt es sich echt an, wenn Staunen über ihren Erfolg und Dankbarkeit den Lesern gegenüber in ihrer Stimme mitschwingen. Und tatsächlich hat sie der Unterstützung ihrer Leser und Fans mehr zu verdanken als andere Autoren. Denn im Unterschied zu den meisten, die in Frankfurt lesen werden, wurde Münzer im Self-Publishing groß - so nennt man das auf Neudeutsch, wenn Schriftsteller ihre Werke selbst herausgeben. An sich ist das nichts Neues. Doch wie bei so vielen Dingen hat die Digitalisierung und Vernetzung einem alten Phänomen neue Relevanz verschafft.

Es kostet wenig Zeit und Geld, eigene Texte als E-Book verfügbar zu machen. Einschlägige Internetplattformen machen es möglich, in wenigen Schritten Text und Cover hochzuladen, einen Preis festzulegen - und fertig ist das E-Book.

So stellte auch Hanni Münzer vor einigen Jahren ihren ersten Roman "Die Seelenfischer" ins Netz. Selbst eine professionelle Agentur hatte keinen Verlag für sie gefunden. Die Autorin hatte den Traum vom Schreiben schon so gut wie aufgegeben. Sie war zufrieden, glücklich mit ihrem Job als Vorstandsassistentin beim Autovermieter Sixt. Doch dann musste sie kündigen, um ihren erkrankten Mann zu pflegen. Als sie dann von Self-Publishing erfuhr, beschloss sie, ihren Roman aus der Schublade zu holen und als E-Book verfügbar zu machen. Zu verlieren hatte Münzer nichts. "Ich dachte mir, sogar wenn nur zwei, drei Leser in das Buch schnuppern, ist das immer noch besser, als den Roman ungelesen verstauben zu lassen." Diese Entscheidung hat ihr Leben verändert.

Erste Leser empfahlen das Buch weiter. Über Amazons "Kunden kauften auch"-Algorithmus wurde "Die Seelenfischer" zum Bestseller. Münzer verkaufte Hunderttausende Exemplare und legte Folgeromane nach. Als der Piper-Verlag sie unter Vertrag nahm, war die Autorin Hanni Münzer kein Geheimtipp mehr. Vom Self-Publisher zum Bestellerautor, diese Erfolgsgeschichte ist kein Einzelfall. E.L. James, die Autorin der Erotik-Trilogie "Shades of Grey", steht seit 2013 auf der Forbes-Liste der bestverdienenden Autoren.

Für Verlage ist es praktisch, sich solche Erfolgsautoren herauspicken zu können. Durch das Online-Publikum sind die Bücher schon auf Massentauglichkeit getestet, und die vernetzte Fangemeinde ist ein idealer Ausgangspunkt für die weitere Vermarktung. Die Verlage können sich so die Autoren zurückholen, deren Werke ihre Lektoren unterschätzt und abgewiesen haben. Neue, vielversprechende Schriftsteller zu finden, ist Marco Schneider ein Anliegen, dem Programmleiter bei Bastei Lübbe. Deshalb arbeitet der Verlag nun für einen Self-Publishing-Wettbewerb auch mit Amazon zusammen: Bastei Lübbe wird das Siegerbuch, das dieser Tage gekürt wird, herausgeben - auf Papier, versteht sich. Damit wird für einen weiteren Self-Publisher ein Wunschtraum in Erfüllung gehen.

Ein unbekannter Schriftsteller ist für den Herausgeber immer ein Risiko

Von den Schwierigkeiten angehender Autoren kann Uwe Kullnick ein Lied singen. Er ist der Präsident des Freien Deutschen Autorenverbands. Denn ein unbekannter Autor stellt für Verlage immer ein Risiko dar: Es ist sehr schwierig, den Erfolg eines Buches einzuschätzen. Und ohne gutes Marketing haben die wenigsten Titel eine Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden. "Gerade kleine Verlage haben große Mühe, neue Autoren bekannt zu machen", sagt Kullnick. Autorenlesungen in halb leeren Dorfsälen seien eine deprimierende Angelegenheit. Er rät Autoren deshalb dazu, die neuen Chancen im Internet zu nutzen. Kullnick hat selbst schon sowohl mit Verlagen als auch im Alleingang Bücher veröffentlicht. Er ist Biologe und freier Journalist. Doch auch seine Bücher sind eine wichtige Einkommensquelle. Für ihn ist Self-Publishing keine zweite Wahl - im Gegenteil. Eine Marge von 70 Prozent des Verkaufspreises, im Self-Publishing-Sektor üblich, kann kein Verlag bieten.

Freilich stellt sich die Frage, wer bei dieser Entwicklung, die in erster Linie von Amazon vorangetrieben worden ist, Gewinner und Verlierer sein wird. Lange Zeit war er für Verlage nur einer unter vielen wichtigen Abnehmern. Je mehr Menschen ihre Bücher vor allem bei Amazon bestellen, desto eher kann der Konzern den Verlagen seine Bedingungen diktieren. 2014 hat eine Auseinandersetzung zwischen dem US-Verlag Hachette und Amazon für Aufsehen gesorgt. Es ging um E-Book-Preise. Amazon setzte Hachette unter Druck, verlängerte einfach Lieferzeiten für die Bücher des Verlags. Der Streit ist beigelegt, doch die Frage, wie Verlage ihr Geschäftsmodell an das E-Book anpassen können, bleibt.

Die großen deutschen Buchhandelsketten haben mit dem Tolino ein eigenes E-Lesegerät und Amazon Marktanteile abgeluchst. Auch der Tolino bietet ein Programm für Self-Publisher. Die Resonanz sei gut, so Tolino Media: Seit dem Start im Sommer wurden gut 1000 Titel hochgeladen - zu Konditionen wie bei Amazon: 70 Prozent des Preises bekommt der Autor, 30 Prozent die Plattform.

Noch stoßen diese virtuellen Verlage irgendwann an ihre Grenzen. Hanni Münzer gibt zu bedenken, dass mehr als 90 Prozent der Bücher in Papierform gelesen werden. Für sie war die Zusammenarbeit mit Piper deshalb eine Möglichkeit, mehr Leser zu erreichen. Außerdem wurden ausländische Verlage auf sie aufmerksam - Münzers Bücher sind inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt worden. Doch der E-Buch-Markt wächst stetig. Und wenn der Anteil elektronischer Bücher erst einmal weiter gewachsen ist, dann könnten klassische Verlage zunehmend ins Hintertreffen geraten.

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