Erbschaftsrecht:Erben ist ungerecht - und sollte mit 100 Prozent besteuert werden

Erbschaftsrecht: Blick auf ein Villenviertel in Hamburg: Wer seinen Angehörigen viel hinterlassen möchte, müsste es per Schenkung tun - und entsprechend hohe Steuern bezahlen.

Blick auf ein Villenviertel in Hamburg: Wer seinen Angehörigen viel hinterlassen möchte, müsste es per Schenkung tun - und entsprechend hohe Steuern bezahlen.

(Foto: imago stock&people/imago/Hans Blossey)

"Kommunistisch, wachstumsfeindlich, wirklichkeitsvergessen": Die Kritik an einer hundertprozentigen Erbschaftsteuer ist oft heftig. Trotzdem wäre eine solche Abgabe richtig.

Gastbeitrag von Volker Grossmann und Guy Kirsch

Ohne Zweifel ist die Erbschaftsteuer eine der umstrittensten Steuern überhaupt. Es ist also nur verständlich, dass ein Vorschlag, der eine hundertprozentige Erbschaftsteuer vorsieht, geradezu als Provokation empfunden wird: Ein solcher Vorschlag sei wachstumsfeindlich, wirklichkeitsvergessen und - was auch immer das heißen mag - "kommunistisch". Bestenfalls könne man diesen Vorschlag als utopische Spielerei wahr-, wenn auch nicht ernst nehmen.

Der Vorschlag in seinen Grundzügen: Beim Tod des Erblassers soll das gesamte Erbe an einen Fonds abgeführt werden. Will sagen: Die Söhne und Töchter reicher Eltern erhalten vorerst nichts. Im Weiteren aber werden sie dann - wie alle anderen Mitglieder der heranwachsenden Generation - mit einem bestimmten Betrag ausgestattet. Der Vorschlag sieht demnach nicht nur vor, dass die einen das Erbe ihrer reichen Eltern nicht antreten können, sondern auch, dass alle ein Erbe erhalten. Was diese vielen dann jeweils mit "ihrem" Erbe machen, bleibt ihnen überlassen.

Dieser Vorschlag hat mit kollektivistischer Gleichmacherei nichts zu tun. Im Gegenteil: Er entspringt dem Engagement für einen individualistischen Liberalismus. In der Tat: Wer den Einzelnen ernst nimmt, muss es geradezu als Ärgernis empfinden, wenn die Söhne und Töchter reicher Väter im Zweifel nur deshalb besser als andere durch das Leben gehen können, weil sie reiche Eltern haben. Auch dann, wenn man nicht jede Ungleichheit als ungerecht empfindet, wird man darüber stolpern müssen, dass hier die einen oder anderen sich mehr als andere leisten können, ohne mehr als andere geleistet zu haben.

Gibt es nicht auch andere Wege, Elternliebe auszuleben?

Man mag hier einwenden wollen, dass es zwischen den Eltern und den Kindern Beziehungen gibt, die sich nicht in Heller und Pfennig in Testamenten niederschlagen, sondern dass die Väter etwa aus Liebe zu ihren Kindern diesen etwas hinterlassen wollen. Das ist - hoffentlich - in vielen, den meisten Familien der Fall. Es trifft nun gewiss zu, dass hohe Erbschaft- und Schenkungsteuern verhindern, dass sich die Zuneigung der Eltern für ihre Kinder in einer mehr oder weniger großen Vermögenshinterlassenschaft ausdrückt.

Die Frage ist, ob es nicht auch andere Wege gibt, die Verbindung der Generationen untereinander auszuleben. Wenn dies allerdings nicht der Fall sein sollte, man also um der intergenerationellen Verbundenheit willen glaubt, auf hohe Erbschaft- und Schenkungsteuern verzichten zu sollen, so sollte man ehrlich genug sein zu bekennen, dass man das liberal-individualistische Engagement wenigstens zum Teil verrät und feudal-tribalem Denken anhängt: Wie ehedem der Sohn im Zweifel nur deshalb ein Graf war, weil der Vater ein Graf war, so soll dann der Sohn ohne Weiteres bemittelt sein, weil der Vater bemittelt war.

Das eigene Ableben kann nicht perfekt geplant werden

Allerdings: Auch wenn man dem liberalen Engagement für den Einzelnen - für jeden Einzelnen - treu sein will, darf man sich keinen Illusionen hingeben: Wer kein Utopist sein will, muss die Argumente ernsthaft prüfen, die gegen ihre Einführung ins Feld geführt werden.

Dazu Folgendes: Viele Erbschaften sind der Tatsache geschuldet, dass das eigene Ableben nicht perfekt geplant werden kann. So mancher Erblasser möchte sein Vermögen gar nicht vererben, sondern hat den Zeitpunkt seines Todes falsch eingeschätzt. In diesem Fall würde kein Euro mehr gespart und produktiv in den Wirtschaftskreislauf eingebracht, wenn Erbschaften mit einem geringeren Steuersatz als 100 Prozent besteuert würden.

Auch Erbschaftsteuer auf Familienbetriebe könnte per Kredit bezahlt werden

Schenkungen hingegen sollten steuerlich moderater behandelt werden, um die Ersparnisbildung aufgrund des Schenkungsmotivs nicht nennenswert zu beeinträchtigen. Dem Ziel wäre durchaus gedient, wenn beispielsweise die Hälfte des Betrages der Schenkung ebenfalls in den genannten Fonds fließen würde. Würde jemand also eine Million hinterlassen wollen, müsste er oder sie eben zwei Millionen ansparen und schenken. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass eine deutlich höhere Schenkungsteuer als derzeit die Vermögensbildung nicht signifikant reduzieren würde.

Ein weiterer, oft genannter Punkt betrifft das Erbe in Form von Familienbetrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung aufgefordert, die weitgehende oder sogar komplette Freistellung von Erbschaft- und Schenkungsteuern bei Hinterlassenschaft eines Familienbetriebs zu ändern. Die Bevorzugung tritt in Kraft, wenn der Betrieb einige Jahre weitergeführt wird und die Lohnsumme weitgehend stabil bleibt.

Erbschaftsrecht: Volker Grossmann hat ebenfalls an der Universität Freiburg den Lehrstuhl für Makroökonomie inne.

Volker Grossmann hat ebenfalls an der Universität Freiburg den Lehrstuhl für Makroökonomie inne.

(Foto: privat)

Derzeitige Erbschaftssteuer schützt vor allem Partikularinteressen

Es wird dabei nicht nur gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Sondern es dient insgesamt auch nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen, wenn möglicherweise mit wenig unternehmerischem Talent ausgestattete Erben gegenüber anderen, gründungswilligen Unternehmern bevorzugt werden. Ist der Sohn oder die Tochter eines Familienunternehmens von der Zukunft des Betriebes und des eigenen Talents überzeugt, warum soll er oder sie nicht einfach einen Kredit aufnehmen wie andere Unternehmensgründer auch? Nur würde hier die Kreditaufnahme nötig zur Entrichtung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer.

Erbschaftsrecht: Guy Kirsch, 77, emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Freiburg, gehört zu den Pionieren der Neuen Politischen Ökonomie.

Guy Kirsch, 77, emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Freiburg, gehört zu den Pionieren der Neuen Politischen Ökonomie.

(Foto: OH)

Im Übrigen: Nicht selten verkaufen Erben den Familienbetrieb, nachdem sie sicher sein können, keine Erbschaft- oder Schenkungsteuer mehr entrichten zu müssen. Das mag gut sein, allerdings hätte eine vorgängige Besteuerung der Allgemeinheit über den Fonds mehr eingebracht. Die derzeitige Regelung in Deutschland ist vor allem ein Schutz von Partikularinteressen - inklusive der Möglichkeit, Privatvermögen als Unternehmensvermögen getarnt am Fiskus vorbeizuschleusen.

Die Akzeptanz einer marktwirtschaftlichen Ordnung setzt Chancengleichheit voraus, welche ein urliberales Anliegen ist. Eine Vermögensverteilung, die als ungerecht empfunden wird, unterminiert das Funktionieren von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ungemein. Die Abstiegsängste weiter Bevölkerungsteile wären in einem chancengleichen System ungleich geringer.

Empirische Evidenz legt außerdem nahe, dass eine hohe Vermögenskonzentration zu geringer sozialer Mobilität führt - also nicht die talentiertesten Menschen im Leben Erfolg haben, sondern diejenigen aus reichen Elternhäusern. Es geht hierbei nicht nur um Gerechtigkeit, über die man immer trefflich streiten kann. Es geht auch darum, dass wir Wachstum und Wohlstandsmehrung nicht zugunsten reicher Erben opfern, indem wir die Entfaltungsmöglichkeiten anderer beeinträchtigen.

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