Erbschaft:Geben, um zu bleiben

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Immer mehr Organisationen werben um Erbschaften. Sie nutzen dabei auch aus, dass Tod und Testament nach wie vor Tabuthemen sind.

Von Lea Hampel, München

"Alles, was ein Mensch auf dieser Erde geschaffen hat, das hat nur einen Fortbestand, wenn es von anderen gelebt und weitergetragen wird", sagt er und hebt seine große Hand. Von Reinhold Messner, dem unermüdlichen Bergapostel, wird schon wegen seines ureigenen Tonfalls noch eine Weile die eine oder andere Anekdote zurückbleiben. Das wünscht er offenbar auch anderen, zumindest könnte das ein Grund sein, warum er den Kurzfilm, in dem er darüber redet, was im Leben bleibt, gedreht hat.

Der Film ist einer von elf, in denen Persönlichkeiten wie Friede Springer und Richard von Weizsäcker über Leben und Tod philosophieren. Dahinter steht die Initiative "Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum". Der Zusammenschluss verschiedener Hilfsorganisationen, unter anderem der SOS-Kinderdörfer und Greenpeace, wirbt seit 2013 darum, dass Menschen ihr Erbe wohltätigen Zwecken widmen.

Der Ansatz als solcher ist nicht neu, das Ausmaß hingegen schon. Lange waren es einzelne Organisationen wie die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, die seit bald 150 Jahren auch um Nachlässe werben. In der Schweiz und in den USA ist das Prinzip des gemeinnützigen Vererbens schon lange verbreitet. In Deutschland jedoch sprechen Organisationen erst seit einigen Jahren gezielt Spender auf ihre Hinterlassenschaft an.

Die Gründe dafür sind unter anderem demografische: "Insgesamt werden in diesem Jahrzehnt Vermögenswerte in Höhe von 2,6 Billionen Euro vererbt", rechnet Susanne Anger von "Mein Erbe tut Gutes" vor. Gleichzeitig steigt die Zahl der Singles - und potenziellen Spender. Ein Viertel der Klienten, die bei ihm ihr Erbe regeln, haben keinen direkten Nachkommen, schätzt der Münchner Erbrechtsanwalt Bernhard Klinger. "Die wissen oft nicht, wer ihr Vermögen bekommen soll."

"Was bleibt von mir, wenn ich nicht mehr bin?" Dieser Frage ist Bettina Flitner nachgegangen. Hier: Schriftsteller Günter Grass in seinem Skulpturengarten. (Foto: Bettina Flitner)

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Viele Menschen befassen sich nicht gern mit dem eigenen Ende. "Manchmal scheinen sie zu fürchten: Wenn ich mein Testament aufschreibe, bin ich morgen tot", sagt Anger. Auch in Familien wird das Thema oft vermieden. Ein Fehler, wie Anger betont: "Wir glauben immer nur, dass es ein sehr großes Tabu ist - aber das stimmt gar nicht", sagt Anger. "Zu dem Thema gilt: Je älter die Menschen, desto klarer ihre Meinung." Stattdessen hätten oft die Nachkommen Angst vor Konflikten oder kämen nicht damit klar, wenn die eigenen Eltern ihr Ende regeln wollen.

Zudem sind das Erbrecht und das Verfassen von korrekten Testamenten eine komplexe Angelegenheit. "Die Menschen scheuen den Weg zum Zahnarzt, Rechtsanwalt und Notar, weil's wehtut", sagt der Anwalt Klinger. Die Folgen sind fatal: In einer großen Mehrheit aller Todesfälle wird kein Testament gefunden. Vorhandene, nicht notariell beglaubigte Testamente sind oft voller Fehler. Selbst in den intaktesten Familien führt der Erbfall oft zu Streit und Auseinandersetzungen - und das Geld wird für Gerichtskosten verpulvert.

Wenige Nachkommen, wenig Wille, sich damit zu befassen - in diese Lücke stoßen die Organisationen. Informationsbroschüren, aber auch Veranstaltungen mit Experten gibt es nicht mehr nur von Volkshochschulen. Sondern die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe bietet das genauso an wie Bethel. Auch eine Ausstellung, mit der die Initiative "Mein Erbe tut Gutes" durchs Land tourt, ist solch ein niedrigschwelliges Angebot. Regelmäßig finden am Ort Expertenvorträge statt. Zudem werben die Organisationen auf Seniorenmessen wie der "66plus" in München. Viele übernehmen bei Bedarf zudem die Grabpflege oder, wie Bethel etwa, die Haushaltsauflösung - gerade für alleinstehende Senioren ein wichtiges Argument.

Die Ausstellung "Ein Fotoessay zur Frage 'Was bleibt?'" ist ab 2. Oktober im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen. (Foto: Bettina Flitner)

Spenden die Menschen ihr Geld, dann haben sie zu Lebzeiten das Gefühl, etwas Gutes zu tun

Doch was ist von solchem Umwerben zu halten? Prinzipiell spreche nichts dagegen, sagt dazu Anwalt Klinger. Er rät Menschen, die sich dafür interessieren, dennoch auf der Hut zu sein. "Es gibt Abzocker, die es auf arme, alte, einsame Menschen abgesehen haben." Gerade bei kleineren, weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Organisationen sollten potenzielle Erblasser den deutschen Spendenspiegel konsultieren, sagt er. Annabel Oelmann, bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen für Finanzfragen zuständig, rät "sich die Satzung genau anzuschauen und zu prüfen, ob diese mit den eigenen Interessen übereinstimmen".

Die Vorteile jedenfalls liegen auf der Hand: Geben die Menschen das Geld einer Organisation ihrer Wahl, haben sie zu Lebzeiten das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Zudem fallen auf das Erbe keine Steuern an. "Da ist das Spenden oder Vererben dann kein abwegiger Gedanke", sagt Klinger weiter. Und der Erfolg gibt den Organisationen Recht.

Noch kommen zwar laut Anger etwa 90 Prozent der Erbspenden von Personen, mit denen die Stiftungen vorher nicht in Kontakt waren. Aber etwa tausend Anrufe mit Fragen gingen bei "Mein Erbe tut Gutes" seit Jahresanfang ein. Die Fragen, die dann kommen, sind gar oft sehr allgemeiner Art: Wie muss ein Testament verfasst sein? Welche Aspekte müssen unbedingt rein?

Erfolge in Spendensummen beziffern kann und will die Kampagnensprecherin nicht - auch, weil in den Gesprächen keine einzelnen Organisationen empfohlen werden, sondern beraten wird. "Wir raten zum Beispiel, sich zu fragen: Was war mir im Leben wichtig, wo habe ich vielleicht selbst Hilfe bekommen und möchte diese nun weitergeben?", erläutert Anger. Auch den Rat, das nicht "heimlich und allein", sondern in Abstimmung mit den Erben zu regeln, gibt Anger mit auf den Weg.

Zu funktionieren scheint das Prinzip. Seit der Gründung sind 15 neue Organisationen hinzugekommen. Und die Zahl der Spenden wächst. Die wichtigsten Erblasser sind tatsächlich alleinstehende Senioren; sie bedenken oft Organisationen zugunsten von Kindern oder der Umwelt besonders oft. "Aber es gibt eben auch Menschen, die möchten, dass Dorfkirchen erhalten bleiben", sagt Anger. Auch dann bleibt etwas - es kann ja nicht bei jedem ein ganzes Museum sein wie bei Reinhold Messner.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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