Equal Pay Day:Knapp daneben ist auch unfair

  • Der Equal Pay Day ist der Tag, bis zu dem Frauen im Schnitt über Silvester hinaus arbeiten müssten, um das Jahresgehalt eines durchschnittlichen Mannes zu erreichen.
  • Wer nachrechnet, bemerkt: Der Tag der Lohngleichheit dürfte nicht der 20. März, sondern müsste der 11. April sein.
  • Eigentlich handelt es sich um einen einfachen Dreisatz, doch der Fehler blieb lange unentdeckt.

Von Marlene Weiß

Das Unangenehme an der Prozentrechnung ist, dass sie den schmerzlichen Unterschied zwischen "mehr haben" und "weniger haben" so deutlich zeigt. Man kann das gut an den Dingen sehen, die im Vorfeld des Equal Pay Day an diesem Freitag diskutiert wurden: Wenn Frau Müller halb so viel verdient wie Herr Meier, also 50 Prozent weniger, was verdient dann Herr Meier? Nicht etwa 50 Prozent mehr als seine Kollegin, nein, doppelt so viel wie sie, satte 100 Prozent mehr. Das mag man nun erst recht ungerecht finden oder auch nicht. Wenn man es aber als mathematische Gewissheit akzeptiert, so stellt man mit Schrecken fest: Der Equal Pay Day fällt bei genauem Nachrechnen gar nicht auf den 20. März. Sondern auf Mitte April.

Dies gilt zumindest, wenn man der ursprünglichen Interpretation des Tages folgt: Demnach ist der Equal Pay Day der Tag, bis zu dem Frauen im Schnitt über Silvester hinaus schuften müssten, um auf das Jahresgehalt des durchschnittlichen Mannes zu kommen. So jedenfalls wurde es lange dargestellt, auch von den Organisatoren des Tages, dem Netzwerk "Business and Professional Women" (BPW). Aber angenommen, Herr Meier verdient stolze 100 000 Euro im Jahr, während seine Kollegin mit 22 Prozent weniger nach Hause geht, also 78 000 Euro. Schlägt sie nun 22 Prozent Arbeitszeit drauf und arbeitet bis zum 20. März weiter, während Meier golfen geht, hat sie den Abstand längst nicht aufgeholt: Sie kommt nur auf 95 160 Euro, denn 22 Prozent vom kleineren Gehalt sind ja weniger als 22 Prozent vom größeren.

Auch beim Familienministerium hat man es nicht so mit Prozentrechnung

Tatsächlich müsste die Durchschnittsfrau, die pro Stunde in Deutschland 21,6 Prozent weniger verdient als der Durchschnittsmann, 27,6 Prozent mehr arbeiten, um auf das Gehalt des Kollegen zu kommen. Macht aufs Jahr etwa 101 von 365 Tagen und einen Equal Pay Day am 11. April.

Eigentlich ist es ein einfacher Dreisatz, trotzdem blieb der Fehler lange unentdeckt. Inzwischen hat das BPW-Netzwerk nachgebessert. Es verkauft den 20. März jetzt als den Tag, bis zu dem Frauen gar nicht bezahlt würden - wenn sie während des restlichen Jahres den gleichen Stundenlohn erhielten wie Männer. Etwas unhandlich, dafür korrekt. Aber die alte Formulierung geistert weiter durch die Geschlechterdebatte und landet zuweilen sogar noch in Mitteilungen des Netzwerks, wie eine Sprecherin kleinlaut einräumt. Auch beim Familienministerium hat man es offenbar nicht so mit der Prozentrechnung, in dessen Erklärung zum Start der Equal-Pay-Day-Kampagne taucht der Fehler nämlich ebenfalls auf.

Günter Ziegler, Mathematiker an der FU Berlin, findet das Anliegen der gerechteren Bezahlung gut und wichtig, aber die Zahlen-Schlamperei stört ihn schon lange - und die unterläuft nicht nur dem BPW-Netzwerk. "Es geht schon damit los, dass das Statistische Bundesamt von 22 Prozent 'Verdienstunterschied' spricht", sagt Ziegler. "Was soll das heißen? So kommen wir nicht weiter." Denn es ist ja keineswegs einerlei, ob nun Männer 22 Prozent mehr oder, so ist es hier gemeint, Frauen 22 Prozent weniger verdienen. Schon in der Schule müsste Mathematik anders dargestellt werden, meint Ziegler daher, vielfältiger, alltagsrelevant.

Dann klappt's vielleicht auch mit dem Dreisatz.

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