Eon-Vorstandschef Teyssen:"Wir können mit jeder Regierung leben"

Wohin steuert die Energiebranche? Eon-Chef Johannes Teyssen über Kundenklagen, Fehler im Energiekonzept - und Trägheit.

Markus Balser und Caspar Busse

Er gilt als einflussreichster Strommanager des Landes. Seit Mai dieses Jahres ist Johannes Teyssen, 51, Chef von Eon, dem größten privaten Energieversorger der Welt. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung übt er harte Kritik an der Protestkultur gegen Großprojekte im Land und warnt: "Die Ziele des Energiekonzepts sind in Gefahr." Seiner Branche sagt Teyssen einen beispiellosen Wandel voraus und will sein Unternehmen auf einen neuen Markt führen: China.

Eon - Hauptversammlung

Eon-Chef Johannes Teyssen: "Wir ziehen nicht mit der Bettelbüchse durchs Land."

(Foto: dpa)

SZ: Herr Teyssen, die drei größten Energiekonzerne haben seit 2002 Gewinne von mehr als hundert Milliarden Euro erzielt. Trotzdem steigen die Strompreise. Verstehen Sie den Ärger im Land?

Teyssen: Das ist nicht fair. Es kommt doch nicht auf die absolute Höhe von Gewinnen an, sondern auf die Rentabilität. Wenn man wie wir über 80 Milliarden Euro investiert hat, sind Gewinne von gut acht Milliarden Euro nicht mehr besonders hoch. Wenn Sie sich die profitabelsten Unternehmen in Deutschland anschauen, kommt Eon gerade mal auf Platz 71.

SZ: Bei den Milliardengewinnen hält sich unser Mitleid hält sich in Grenzen.

Teyssen: Das stimmt, wir ziehen nicht mit der Bettelbüchse durchs Land, aber unsere über 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun auch viel für Deutschland und sind darauf zurecht stolz. Aber ein Eindruck ist wirklich falsch: Eon erwirtschaftet keine maßlosen Überrenditen, schon gar nicht auf Kosten der Kunden. Ganz im Gegenteil. Unsere Preise sind fair. Wir sind dabei aber, auch im Vergleich zu anderen Unternehmen, nicht immer rentabel genug. Und das müssen wir ändern.

SZ: Der Gewinn soll weiter wachsen?

Teyssen: Unsere Aktionäre, das sind auch viele Bürger wie Sie und ich, die ihre Ersparnisse angelegt haben, erwarten eine ordentliche Rendite, sonst entziehen sie uns ihr Kapital. Schauen Sie sich unsere Aktie an. Sie hat seit Jahresanfang 25 Prozent an Wert verloren. Der Druck der Börse und unserer Eigentümer ist zurecht groß.

SZ: Der Druck auf die Kunden auch. Die europäische Statistikbehöde hat festgestellt, dass die deutschen Stromtarife die zweithöchsten in Europa sind. In Deutschland sind die Preise 2009 gestiegen, im Rest Europas gefallen. Wie erklären Sie das?

Teyssen: Schon wieder so ein verzerrtes Bild: Wenn man die staatlichen Abgaben aus dem Strompreis herausrechnet, liegt Deutschland sogar am unteren Ende der Skala. Der Strompreis in Deutschland beinhaltet auch eine seit Jahren deutlich steigende Abgabe für erneuerbare Energien, auf die wir keinen Einfluss haben. Dadurch wird der Strom teurer.

SZ: An der Strombörse in Leipzig sinken die Preise doch. Warum zahlen die Kunden trotzdem mehr?

Teyssen: Die Endkundenpreise bestehen zu 40 Prozent aus Steuern und Abgaben, zu 30 Prozent aus Netzentgelten und nur zu den letzten 30 Prozent aus Beschaffung und Vertrieb. Die Beschaffungskosten reagieren zudem mit Verzögerung auf Veränderungen an der Börse. Stromanbieter decken sich mit ein bis zwei Jahren Vorlauf ein - Börsenpreisänderungen, nach oben wie nach unten, schlagen da nicht sofort durch.

SZ: Das heißt: wir können demnächst mit sinkenden Preisen rechnen?

Teyssen: Ich gebe grundsätzlich keine Prognosen zu Preisen. Da würde mich sofort das Kartellamt anrufen und ermahnen, denn wir sind eines der stärkeren Unternehmen am Markt.

SZ: Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke spült viel Geld in ihre Kassen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle erwartet, dass schon deshalb die Preise sinken. Den wollen Sie doch nicht enttäuschen?

Teyssen: Unsere Strompreise werden ja nicht hier am Vorstandstisch in Düsseldorf festgelegt. Wir müssen uns an den regionalen Märkten orientieren. Das einzige, was ich hierzu verlässlich sagen kann, ist: Die Entwicklung der Strompreise wird deutlich günstiger sein als ohne Laufzeitverlängerung.

SZ: Von gnadenlosem Wettbewerb kann auf dem Strommarkt auch zehn Jahre nach der Liberalisierung nicht die Rede sein. Vier Konzerne kontrollieren 80 Prozent der Produktion . . .

Teyssen: Da täuschen Sie sich gewaltig. Der Wettbewerb ist doch im Vertrieb längst da. Da liegt der Marktanteil von Eon bei nur zehn bis vierzehn Prozent. Die vier Großen liegen zusammen deutlich unter 50 Prozent.

SZ: Noch immer sind die meisten Deutschen aber im teuersten Tarif. Freuen Sie sich über so viel Trägheit?

Teyssen: Die Mehrheit der Deutschen ist auch noch Kunde der ersten Sparkasse. Übrigens genau wie ich. Die Deutschen sind beim Austausch von Dienstleistern eher zurückhaltend, das stimmt. Immerhin: Mehr als jeder fünfte hat inzwischen einen neuen Stromanbieter gewählt und wohl alle Stromunternehmen bieten ihren Kunden verschiedene Produkte und Preise an. Deswegen motiviert ein Preisunterschied von beispielsweise 20 Euro im Jahr eben nicht alle zum ständigen Wechsel.

"China ist ein interessanter Markt"

SZ: Lange war die Energiewirtschaft so dynamisch wie der Stromzähler eines Rentnerhaushalts nach der Tagesschau. Jetzt steht das Land vor einem Umbau, wie es ihn noch nicht gegeben hat. Was erwartet uns?

Teyssen: Es wird in der ganzen Welt tatsächlich einen fundamentalen Wandel geben - mit sehr unterschiedlichen Richtungen. Weltweit sehen wir ein rasantes Bevölkerungswachstum. Mit einer Ausnahme: Europa. Der Kontinent verliert in den nächsten vier Dekaden 50 Millionen Bürger. Was fern klingt, wird bald einen Paradigmenwechsel auslösen. Als erster Kontinent werden wir zum Transformationslabor. Wir müssen künftig mit weniger Bürgern mindestens die gleiche Wirtschaftsleistung schaffen - ein Abschied vom historischen Wachstumsprinzip. Nicht Wachstum, sondern der Umbau wird die Entwicklung unserer Volkswirtschaften prägen. Um es klar zu sagen: Mit den alten Geschäftsansätzen werden wir nicht weiterkommen.

SZ: Sondern?

Teyssen: Für die Energiebranche heißt das: Global wächst der Energiebedarf. In Europa geht er eher zurück. Wir müssen uns zum einen neue Geschäftsfelder suchen und uns neu positionieren. Viele unserer Privatkunden werden heute, zum Beispiel mit Solaranlagen, selbst zu Energieproduzenten. Das bricht den Markt auf. Wir müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln - zum Beispiel Kunden dabei helfen, weniger Energie zu verbrauchen. Und neue Märkte erschließen. Das Elektroauto zum Beispiel. In zehn Jahren soll es eine Million Fahrzeuge geben.

SZ: Heißt das auch: raus aus Europa?

Teyssen: Natürlich fragen wir uns: Können wir unser großes Know-how im Bereich regenerativer und konventioneller Energien für die Wachstumsregionen der Welt anbieten? Können wir besser liefern, was ihnen fehlt? In China beispielsweise ist der Drang zur Veränderung groß. Das Land investiert viele Milliarden in den Umbau seiner Wirtschaft. Es will mit Kernenergie und erneuerbaren Energien in eine CO2-arme Zukunft gehen. Und meint es mit der Vision sehr ernst, den Einsatz fossiler Energien auch durch mehr Effizienz in Kraftwerken zurückzufahren. Schon aus Eigennutz. Wir werden prüfen, ob und wie wir helfen können.

SZ: Klingt nach einem neuen Weltkonzern. Eon geht nach China?

Teyssen: China ist ein interessanter Markt, keine Frage. Dort oder auch in anderen Wachstumsregionen könnte unser breites Knowhow genauso Wert schaffen wie im europäischen Transformationsumfeld. Das sind aber erst einmal nur grundsätzliche Überlegungen, entschieden ist nichts.

SZ: In Deutschland plant die Bundesregierung in ihrem Energiekonzept 50 Prozent weniger Energieverbrauch, 25 Prozent weniger Strom und über 50 Prozent weniger Erdgas. Wie hart wird der Schrumpfkurs auf dem Heimatmarkt?

Teyssen: Um es klar zu sagen: Da liegt die Regierung in ihren Umsetzungsplanungen zum Klimaschutz eher falsch. Ich halte das für absolut unmöglich. Der Stromkonsum wird nicht sinken, jedenfalls nicht um solche Raten. Aus einem ganz einfachen Grund: Wer effizient Energie sparen will, muss andere Energieträger immer stärker durch Strom ersetzen - so wie im Elektroauto. Der Strombedarf wird auf Jahre eher stabil bleiben.

SZ: Dann sind die Ziele des Energiekonzepts in Gefahr.

Teyssen: Nicht zwingend, wichtig ist doch vor allem das Ziel eines besseren Klimaschutzes und nicht des genauen Umsetzungspfades. Die Ziele sind aber vor allem aus einem ganz anderen Grund gefährdet. Der Anteil erneuerbarer Energien soll bis 2050 auf 80 Prozent steigen. Ich mache mir ernste Sorgen, ob dieser Umbau der Energiewirtschaft im geplanten Tempo gelingt. Technisch ist das alles machbar. Aber nicht mit der gegenwärtigen Protestkultur im Land.

SZ: Fürchten Sie, zum Ziel zu werden?

Teyssen: Wir wissen seit Jahren, dass wir neue Hoch- und Höchstpannungsleitungen brauchen. Bis zu 3500 Kilometer. Gebaut haben wir gerade mal 90. Alle wollen eine erneuerbare Energiewelt. Auf dem Weg dahin sieht die Realität aber anders aus: Zwischen Braunschweig und Bad Hersfeld sollen 190 Kilometer Netz gebaut werden. Bürgerinitiativen haben angekündigt, an jedem Maststandort eine Mahnwache und ein Mahnfeuer zu veranstalten. Wenn das so weitergeht, werden wir den Umbau nicht schaffen. Dann ist das Energiekonzept Makulatur. Für Windparks auf hoher See oder Desertec brauchen wir Transitleitungen. Sonst kommt der saubere Strom nicht zum Kunden. Ganz einfach.

SZ: Sollte es wieder zu einer rot-grünen Regierung kommen, droht die nächste Energiewende. Haben Sie Angst davor, dass bald alles wieder gekippt wird?

Teyssen: Wir können mit jeder Regierung leben - und müssen das mit jeder demokratischen Entscheidung tun. Wenn uns etwas nicht passt, können wir unsere Kraftwerke ja nicht einfach einpacken und nach Rumänien gehen - so wie Nokia das gemacht hat.

Interview: Markus Balser und Caspar Busse.

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