Entspannung an den Finanzmärkten:Gefährliche Ruhe

The curve of the German share price index DAX board at the Frankfurt stock exchange

Niedrige Zinsen, kaum Kursschwankungen, zufriedene Ruhe an den Börsen. Die Finanzkrise 2007 hat gezeigt: Diese Ruhe kann gefährlich sein.

(Foto: REUTERS)

Die Lage in den Krisenländern der EU hat sich gebessert. Das Resultat sind niedrige Zinsen, kaum Kursschwankungen und Zufriedenheit an den Börsen. Doch die Geschichte zeigt: Wenn es an den Märkten ruhig ist, dann sollte der Rest der Welt sich fürchten.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Gerade einmal drei Jahre ist es her, da schien Spanien vor dem Zusammenbruch zu stehen. Die Regierung in Madrid musste immer höhere Zinsen zahlen, wollte sie überhaupt noch Geld auf den Kapitalmärkten bekommen. Das überstieg die Möglichkeiten des Landes. Zeitweise sah Spanien aus wie das größte denkbare Risiko, nach Griechenland, für den Bestand der Euro-Zone.

Und heute? Heute werden spanische Anleihen gehandelt, so als sei nie etwas gewesen. Am Dienstag rentierten zehnjährige Papiere zeitweise mit 2,55 Prozent, womit deren Rendite unter der entsprechender amerikanischer Staatsanleihen lag. Und US-Papiere gelten bis heute als die sichersten Finanzprodukte der Welt. Auch italienische Anleihen werden heute kaum noch höher verzinst als US-Treasurys. Wenn Anleihezinsen messen, für wie hoch Anleger das Risiko halten, dass sie ihr Geld verlieren, was für eine Botschaft steht dann hinter der neuesten Entwicklung in Spanien und Italien?

Die Antwort auf diese Frage hat zwei Teile: einen einfachen und beruhigenden und einen komplizierteren und nicht so schönen Teil. Zunächst das Einfache: Die Lage in den Krisenländern der EU hat sich wirklich gebessert, die Reformen wirken, die Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu, und die Finanzmärkte vertrauen der Europäischen Zentralbank. Wenn man zudem die höhere Inflation in den Vereinigten Staaten in Rechnung stellt und die reale Verzinsung ermittelt, verschwindet auch ein Teil der Anomalität aus dem Bild. In Italien und Spanien, wo die Teuerung wegen der Krise bei praktisch null liegt, beträgt der Realzins 2,3 Prozent, in den USA 0,6 Prozent. Das scheint auf den ersten Blick normal zu sein.

Der zweite Blick allerdings fällt auf etwas Beunruhigendes: Die Anleihezinsen insgesamt, auch die der USA, sind zu niedrig. Die Unterschiede in der Verzinsung zwischen den Anleihen unterschiedlicher Staaten und zwischen Firmen und Staaten sind gesunken. Sicher, es gibt kein objektives Maß für die "richtige" Bewertung von Risiken. Aber es gibt immer Gründe, alarmiert zu sein, wenn die Märkte Risiken nicht mehr ernst zu nehmen scheinen. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die Kurse kaum noch schwanken, auch die der Aktien. Der Vix-Index der Chicagoer Börse CBOT, ein anerkannter Maßstab für die Volatilität an den Märkten, ist so niedrig wie seit sieben Jahren nicht mehr. Der Vix gilt auch als "Pegel der Furcht" an der Wall Street. Wenn die Anleger keine Furcht mehr kennen, dann sollte der Rest der Welt sich fürchten.

Geschichte wiederholt sich nicht

Niedrige Zinsen, kaum Kursschwankungen, zufriedene Ruhe an den Börsen - all das gab es schon einmal vor Ausbruch der Finanzkrise 2007. Damals sprach man von der "Great Moderation", heute weiß man, dass sich hinter dem Schleier der "Großen Mäßigung" die Risiken in den Bilanzen aufbauten, die 2007 fast eine globale Katastrophe ausgelöst hätten. Es ist ein altes Paradox: Wenn die Leute denken, dass nichts passieren kann, dann verhalten sie sich so, dass ganz sicher etwas passiert. Ein Indiz: Hochspekulative strukturierte Finanzprodukte - einst als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" verdammt, haben wieder Konjunktur.

In dem Zusammenhang ist von der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank zu reden. Die Notenbanken haben nach 2008 den Absturz in die Depression verhindert, indem sie die Märkte mit Geld fluteten und in Sicherheit wiegten: Die Fed versprach, die Zinsen so lange nicht zu erhöhen, bis sich der amerikanische Arbeitsmarkt nachhaltig erholt haben würde. EZB-Chef Mario Draghi sicherte zu, "alles zu tun, was nötig ist", um den Euro zu retten. Die Beruhigung war bitter nötig, um den gegenwärtigen Aufschwung überhaupt zu ermöglichen. Aber wahrscheinlich haben EZB und Fed des Guten zu viel getan. Sie verleiteten die Märkte dazu, Risiken systematisch zu unterschätzen. Und sie signalisierten den Politikern, sie könnten weitere unpopuläre Reformen verschieben.

Nun sollte man Weltuntergangs-Propheten entgegentreten. Geschichte wiederholt sich nicht, und auch 2008 wird sich nicht wiederholen. Vieles ist heute anders als vor dem Ausbruch der Finanzkrise: Die Bilanzen der Banken, zumindest der amerikanischen, sind wesentlich besser mit Kapital ausgestattet. Die staatlichen Regulierer haben dazugelernt. Es gibt keinen Kreditboom. Und trotz der Spekulationsblasen in Deutschland, Großbritannien und Teilen der USA ist der Immobilienmarkt nicht so überhitzt wie damals. Eine neue Finanzkrise ist also, nach menschlichem Ermessen, nicht zu befürchten, wohl aber eine kräftige Korrektur an den Finanzmärkten. Und auch die kann sehr unangenehm werden.

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