Entsetzen in der Alpenrepublik:Das Schweizer Kreuz und die Messerhelden

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Die Armee der Schweiz muss womöglich ihre berühmte Soldatenklinge künftig aus China beziehen. Die Empörung ist riesig. Nun wollen einige aus dem Messer eine Waffe machen.

Hans von der Hagen

Die Nachricht traf das Land völlig unvorbereitet. Einen furchtbaren Satz sagte Anfang Juli ein Sprecher des Militärdepartements früh morgens im Radio: Die Schweizer Armee müsse den Auftrag zur Erneuerung des Soldatenmessers weltweit ausschreiben. Und, ja, Schweizer Soldaten würden künftig womöglich mit chinesischer Klinge das Land verteidigen.

Feldwerbung: Das Bild eines Schweizer Offiziersmessers auf einer Gesamtfläche von mehr als 33.000 Quadratmetern. Es wurde im Jahr 2006 - von einem Schweizer Landwirt - mit GPS-Hilfe maßstabsgetreu auf das Feld übertragen. Eingesetzt wurden verschiedene Pflanzentypen und Farbe auf Milchbasis. Das Messer lag in der Einflugschneise des Münchner Flughafens: Es sollte von Passagieren aus der Luft gesehen werden. (Foto: Foto: ddp)

Anschließend spielten sich Szenen ab, die an den Untergang der Swissair erinnerten. Das Telefon stand bei dem Messerhersteller Victorinox nicht mehr still, Berge von Post trafen ein und das Fernsehen eilte aufgeregt herbei. Der Tenor war stets der gleiche: nacktes Entsetzen. Ein urschweizerisches Symbol für Sicherheit und Autarkie war in Gefahr.

Wie konnte es dazu kommen? Der Auftrag für die Beschaffung des neuen Soldatenmessers 08 - es ersetzt Soldatenmesser 61 - ist mit 1,2 Millionen Schweizer Franken so voluminös, dass er nach den Richtlinien der Welthandelsorganisation WTO international ausgeschrieben werden muss. Wenn ein anderes Unternehmen ein Messer gleicher Qualität zu besseren Konditionen bauen würde, müsste es den Auftrag erhalten. Das sind die Regeln.

Mehr innere Sicherheit

Bislang wünscht sich die Armee, dass die Schneideklinge des neuen Werkzeugs mit Wellenschliff versehen und arretierbar ist und mit einer Hand geöffnet werden kann. Zusätzlich sollen Kreuzkopfschraubenzieher, Holzsäge, Ahle und Dosenöffner vorhanden sein.

Die Arretierfunktion soll vor allem die innere Sicherheit des Messers erhöhen, in dem es das Verletzungrisiko verringert. Doch sie kann auch aggressiver gedeutet werden, hat der Schwyzer Rechtsanwalt Alois Kessler erkannt. "Sie macht das Messer zur Stichwaffe", sagt der frühere Oberst im Generalstab und Mitinitiant der Petition "Soldatensackmesser nur Swiss made!".

Der Clou: Für Stichwaffen gilt eine Sonderregelung: Sie können auch ohne internationale Ausschreibung beschafft werden. Die Gefahr aus Fernost wäre gebannt.

"Rasche Klärung der Situation"

Kessler möchte übrigens im Herbst für die Christdemokratische Volkspartei in den Ständerat einziehen - mithin für die Partei, deren Ständeräte nach eigenen Angaben "sofort" nach Entstehen der Messerdebatte beim Militärdepartement "vorstellig wurden" und nun eine "rasche Klärung der Situation" erreichten.

Möglicherweise unbeeindruckt von den Ständeräten aber schockiert vom Aufschrei der Öffentlichkeit teilte die Beschaffungsstelle der Schweizer Armee Armasuisse jetzt mit, dass die Spezifikationen des Messers nun doch noch nicht feststünden - und damit auch nicht das Beschaffungsverfahren.

Die Klassifikation als Stichwaffe käme Victorinox allerdings höchst ungelegen. Das Unternehmen, in der gesamten Debatte bislang nur als teilnehmender Beobachter aufgetreten, sieht das Messer als Multiwerkzeug und keinesfalls als Waffe. Selbst der Begriff Messer wird vermieden, erst recht seit dem 11. September 2001.

Betont gelassen

Victorinox zeigt sich betont gelassen - zu überzeugt ist man von Qualität und Preis der eigenen Produkte.

Die Firma ist ohnehin nicht auf den Auftrag angewiesen. Victorinox produziert täglich 55.000 Taschenmesser und Multiwerkzeuge und beliefert mehr als zehn Armeen. Der Schweizer Auftrag zur Lieferung von 65.000 Messern hätte lediglich die Größenordnung einer Tagesproduktion.

Der Imageverlust würde freilich schwerer wiegen. Für Victorinox - und auch für die Soldaten. Sackmesser 08, das ab dem Jahr 2009 verteilt werden wird, soll nicht mehr im Hosensack getragen werden, sondern in einem Gürteltäschchen. Die China-Rekruten wären mühelos auszumachen.

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