Entscheidung in Karlsruhe:Ein Pfund für die Nachwelt

Manager und Untreue? Keine Seltenheit vor Gericht. Doch die Justiz muss noch genauer hinschauen. Eine Verurteilung hängt künftig davon ab, wie konkret sich der Schaden abzeichnet.

Helmut Kerscher, Karlsruhe

Es ist nur ein einziger, langer Satz im Strafgesetzbuch, der die "Untreue" definiert. Aber mit ihm quälen sich die Juristen seit 150 Jahren und in der letzten Zeit ganz besonders, vor allem mit der Frage der Strafbarkeit von Managern wegen riskanter Finanzmanöver. Es geht beispielsweise darum, wann eine leichtfertige Kreditvergabe oder das Führen schwarzer Kassen strafbar ist. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht einige Nebel gelichtet, die den Untreue-Paragraphen 266 umgeben. Dieser hat den Angriff von mehreren prominenten Strafjuristen im Kern überstanden. Die Strafvorschrift sei zwar "sehr weit gefasst und verhältnismäßig unscharf", räumte Karlsruhe ein. Das Gesetz sei aber bei Anwendung präziser Kriterien mit dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes "noch zu vereinbaren", hieß es in der Entscheidung des Zweiten Senats unter Federführung des Richters Herbert Landau.

Untreue - Karlsruhe verschärft Voraussetzungen für Urteile

Untreue ist eines der häufigsten Wirtschaftsdelikte. Karlsruhe hat jetzt die Bedingungen für eine Verurteilung verschärft.

(Foto: dpa)

Es handelt sich um ein sehr dickes Urteil, 55 Seiten umfasst es - ein echtes Pfund. In zwei Fällen bestätigte Karlsruhe die Verurteilung von Managern zu Freiheitsstrafen auf Bewährung wegen schwarzer Kassen und wegen überhöhter Prämienzahlungen. Lediglich im Fall des früheren Berliner CDU-Politikers Klaus Landowsky und vier seiner Vorstandskollegen bei einer Bank verlangte Karlsruhe eine Neuauflage des Prozesses. Das Landgericht Berlin habe in seinem Urteil vom März 2007 nicht nachvollziehbar festgestellt, welcher Schaden der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank genau entstanden sei. Vor allem vermisste das Verfassungsgericht eine genaue Darstellung des "Gefährdungsschadens", also der konkreten Gefährdung des Vermögens der Bank durch eine Kreditbewilligung.

Deren Vorstände hatten in den 1990er Jahren großzügig Darlehen an eine Unternehmensgruppe vergeben, die Plattenbauwohnungen in den neuen Ländern erwerben und verkaufen wollte. Bis September 1997 summierten sich die Kredite auf rund 400 Millionen Euro. Gegenstand des Strafurteils war aber nur ein Darlehen in Höhe von etwa zehn Millionen Euro für ein Plattenbauobjekt in Plauen. Das Landgericht Berlin vermisste eine pflichtgemäße Bonitätsprüfung und eine ausreichende Information des Kreditausschusses; zudem hätten die Bankmanager weder das "Klumpenrisiko" der Unternehmensgruppe berücksichtigt noch die Unbeherrschbarkeit des Kreditengagements oder den "ungebremsten Kaufrausch" der Schuldner gesehen. Schon mit der Vergabe des konkreten Kredits sei eine "schadensgleiche Vermögensgefährdung" eingetreten, da rund 1,5 Millionen Euro nicht durch Grundschulden gesichert gewesen seien.

Das Verfassungsgericht billigte die Ausführungen zur Pflichtverletzung der Beschuldigten, nicht aber die zur Feststellung eines Vermögensnachteils in Form eines Gefährdungsschadens. Darunter verstehen die Strafjuristen eine konkrete Gefährdung fremden Vermögens, ohne dass schon ein Schaden eingetreten ist. Es reiche aus, wenn ein Schadenseintritt so naheliegend sei, dass der Vermögenswert bereits gemindert sei. Gegen diese problematische Gleichsetzung von Schaden und Gefährdung erhob Karlsruhe "keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen Einwände", verwies jedoch auf die "Gefahr einer Überdehnung des Tatbestands". Die Lösung sah das Gericht in einer restriktiven Auslegung: Gefährdungsschäden müssten "in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise" festgestellt werden; dabei seien komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen und anerkannte Bewertungsverfahren zu berücksichtigen. Im "Fall Plauen" sei dies nicht geschehen. Beispielsweise hätte das Landgericht die konkreten Gewinnaussichten zum Zeitpunkt der Kreditbewilligung, die Höhe der Mieteinnahmen und die genaue Höhe der Zinsen benennen müssen. Die Berechnung des Forderungswerts sei "offensichtlich ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht zu leisten" gewesen. Auch die Argumente des Bundesgerichtshofs (BGH), der das Urteil bestätigte, überzeugten das Verfassungsgericht nicht.

Hingegen überstanden zwei weitere Urteile den verfassungsrechtlichen Prüfstand. So bleibt es bei der rechtskräftigen Verurteilung eines Siemens-Managers, der als Bereichsvorstand schwarze Kassen verwaltet und daraus Bestechungsgelder gezahlt hatte. Für diesen Angeklagten hatten prominente Strafrechtler eine Verfassungsbeschwerde eingelegt: der Hochschullehrer Bernd Schünemann sowie die Verteidiger Eberhard Kempf und Gunter Widmaier. Sie griffen fundamental die neuere BGH-Rechtsprechung zum Untreue-Paragraphen an, weil dieser zu Lasten der Betroffenen über den Wortlaut hinaus ausgedehnt worden sei. Im Ergebnis führe das Vorgehen des BGH zu einer zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit vor Eintritt eines Schadens. Dies sei mit dem Willen des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren, den Versuch der Untreue straflos zu stellen. Im konkreten Fall hatte der BGH die Verurteilung wegen Untreue durch das Landgericht Darmstadt weitgehend bestätigt. Der Manager habe nämlich seiner Arbeitgeberin bislang unbekannte, ihr zustehende Vermögenswerte nicht offengelegt. Das Verfassungsgericht billigte den BGH-Spruch, weil der Schaden in Höhe von rund sechs Millionen Euro "wirtschaftlich nachvollziehbar und somit verfassungsrechtlich unbedenklich" beziffert worden sei.

In einem weiteren Fall bestätigte Karlsruhe die Verurteilung des Vorstands einer Betriebskrankenkasse. Er hatte zwei Mitarbeitern über mehrere Jahre hinweg hohe Prämien gezahlt, die zu einer Verdopplung ihrer ohnehin hohen Gehälter geführt hätten. Das Landgericht Kassel sah darin einen groben Verstoß gegen den "Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit" und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. Gegen das vom BGH bestätigte Urteil hatte Karlsruhe keine Einwände.

Das Gericht ließ auch das Argument nicht gelten, dass der jetzige Untreue- Paragraph im Kern auf das Jahr 1933 zurückgehe. Die zugrunde liegenden Wertungen könnten nicht als nationalsozialistisches Gedankengut angesehen werden. Ziel der auch in anderen Ländern vorhandenen Strafvorschrift sei es, Vermögensinhaber vor Schädigungen "von innen heraus" wirksam zu schützen. Weil in der modernen Wirtschaft häufig Manager über fremde Vermögen entschieden, sei dieses Anliegen des Gesetzgebers "von hoher und zunehmend aktueller Bedeutung".

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