Griechenland-Krise:Wie ein unfertiges Haus, mitten im Sturm

Greek Prime Minister Consults With His Party As Greece Edges Nearer To Bankruptcy

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis während einer Sitzung im Parlament.

(Foto: Getty Images)

Ist eine Einigung mit Griechenland möglich? Kurz vor dem Sondergipfel legen die Präsidenten der mächtigsten europäischen Institutionen einen Bericht vor. Wer ihn liest, ist beunruhigt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn gleich fünf mächtige Präsidenten eindringlich warnen, die europäische Wirtschafts- und Währungsunion drohe ohne fundamentale Korrekturen zu zerbrechen, zugleich aber alle notwendigen Reformen in die ferne Zukunft verschieben, dann lässt das einige Rückschlüsse zu.

Aus aktuellem Anlass legen an diesem Montagmorgen die Chefs von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank, Europäischem Parlament, Euro-Gruppe und Europäischem Rat einen Bericht vor, Titel: "Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden". Es ist ein Report, der aufrütteln und den Weg weisen soll, die Euro-Zone krisenfest zu machen. Kurz darauf werden sich die Staats- und Regierungschefs mit den 24 Seiten umfassenden Empfehlungen beschäftigen. Sie kommen zu einem eilig einberufenen Gipfel nach Brüssel, weil die Krise um das verschuldete Griechenland zu genau dem führt, wovor die Präsidenten warnen: Sie rüttelt an den Fundamenten der Wirtschafts- und Währungsunion.

Pikant ist, dass die Warnung in den Euro-Ländern nicht gern gehört wird. Kanzlerin Angela Merkel befand noch am vergangenen Donnerstag im Bundestag, die Euro-Zone sei auf gutem Weg und Europa "robuster geworden". Sie vertritt öffentlich die Haltung, dass kein Grund zu besonderer Unruhe vorliege. Dabei bebt es im Epizentrum der Krise, in Griechenland, immer stärker. Doch ungeachtet dessen sind auch die deutschen Beiträge, die den Präsidenten beim Verfassen des Berichts zugeliefert wurden, in abwartendem Ton gehalten. Vieles kommt auf Wiedervorlage Ende 2016.

Draghi, Juncker und ihre Kollegen schätzen die Euro-Zone weniger stabil ein. Europas Währungsunion, schreiben sie, ähnele momentan einem Haus, "an dem jahrzehntelang gebaut wurde, das aber nur teilweise fertiggestellt ist. Mitten im Sturm mussten Dach und Mauern rasch befestigt werden. Jetzt ist es höchste Zeit, die Fundamente zu stärken." Konsequent weiter gedacht, heißt das: So, wie sie jetzt konstruiert ist, wird die Euro-Zone den nächsten Sturm kaum überleben.

Dann können die Euro-Länder nichts mehr tun, sonst werden sie selbst unglaubwürdig

Die Bundeskanzlerin mag diese Einschätzung innerlich mindestens ansatzweise teilen, verficht aber die Haltung, damit nicht öffentlich für Unruhe zu sorgen. Was wiederum dazu führt, dass sich Bundeskanzlerin und Präsidenten überraschend einig sind in den Konsequenzen. Keiner mag sich auf das verminte Gelände eines "Plan B" begeben.

Merkel weigert sich, laut darüber nachzudenken, was passiert, wenn die griechische Regierung sich bis zum 30. Juni um Mitternacht sträubt, die inzwischen ohnehin weit gedehnten Regeln der Euro-Zone zu befolgen. Dann können die Euro-Länder wegen der Gefahr, selbst unglaubwürdig zu werden, nichts mehr tun. Dann läuft das zweite griechische Rettungspaket ohne weitere Finanzhilfen aus, dann geht Athen das Geld aus. Dann kann der Staat kollabieren und die Krise unkontrollierbar werden - und die Euro-Zone anstecken.

Den Autoren ist diese Gefahr bewusst, aber sie weigern sich, unverzüglich konkrete Bauarbeiten am Fundament der Währungsunion zu veranlassen. Der Report lässt Grundlegendes unerwähnt, etwa dass Reformverschläge der Kommission den Stempel "verbindlich" tragen müssten - damit die Hauptstädte sie künftig endlich ernst nehmen. Merkel weiß um den Makel der Freiwilligkeit, sie hatte über Jahre immer wieder dafür geworben, dass die Euro-Länder bilaterale Reformverträge mit der Kommission abschließen sollten. Ende 2014 gab sie mangels Unterstützung auf, zumindest vorläufig.

Womöglich bringt die Zukunft ein "Europäisches Schatzamt"

Im Gegenzug vertagte Merkel ihre Zustimmung zu einem Sonderhaushalt für die Euro-Zone, aus dem soziale Härten abgefedert werden könnten, die als unliebsame Nebenwirkungen von Reformen auftreten. Im Bericht erwähnen die Autoren das Wort Euro-Budget ebenso wenig wie die vor drei Jahren aus Paris eingespeiste Idee einer Arbeitslosenversicherung. Auch strukturell soll sich vorläufig nichts ändern.

Vage bleibt die Idee, einen hauptamtlichen Vorsitzenden der Euro-Gruppe zu installieren. Der Posten "könne erwogen werden", heißt es. Womöglich könnte die Zukunft auch ein "Europäisches Schatzamt" bringen, also ein europäisches Finanzministerium mit einem Schatzkanzler. Aber darüber soll erst nach Sommer 2017, in einer "zweiten Phase" geredet werden.

Bis dahin sollen die Euro-Länder erst einmal ihre Hausaufgaben machen und längst Überfälliges umsetzen. Ein großer Teil der Hauptstädte hat die Fristen verpasst, innerhalb derer die Vorschriften zur Abwicklung nicht mehr geschäftstüchtiger Banken und für nationale Einlagensicherungssysteme umgesetzt werden sollten.

Nun fordern die Autoren, die Arbeiten an einem europäischen Einlagensicherungssystem aufzunehmen, um europaweit Spareinlagen zu sichern. Und: Damit besser überwacht werden kann, dass die Euro-Länder ihre Empfehlungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit umsetzen, soll ein "europäischer Fiskalausschuss" gegründet werden, der wiederum nationale Ausschüsse koordiniert und die nationalen Haushaltspläne öffentlich bewertet. Über "Naming and Shaming" sollen die Nationalstaaten motiviert werden, zu reformieren.

Die Autoren schlagen bestenfalls eine gemeinsame Begehung der Baustelle vor

Seltsam bleibt aber: Nach der anfänglichen Warnung vor den unzureichenden Fundamenten der Euro-Zone verfällt der Bericht zu einer bürokratische Abhandlung. Die Autoren schlagen keine Bauarbeiten vor, sondern bestenfalls eine gemeinsame Begehung der Baustelle.

Dass die Präsidenten so unambitioniert sind, lässt rückschließen, dass die Euro-Strategen offenbar meinen, Griechenland ohne große Kollateralschäden an der Währungsunion noch "retten" zu können. Sie geben damit genau die Meinung wieder, die in vielen Hauptstädten vorherrscht, wo der Appetit auf weiteres Zusammenrücken begrenzt ist. Zudem wollen sie London keinen Vorwand geben, die EU-Verträge öffnen zu lassen - weil nicht absehbar ist, wie sie wieder geschlossen werden können. Grundlegende Reformen der Euro-Zone sollen erst nach dem Referendum Großbritanniens über den Verbleib in der EU anfangen - wenn so viel Zeit bleibt.

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