Entscheidung in Brüssel:Keine Extrawurst für VW

Die Neufassung des VW-Gesetzes stimmt die EU-Kommission nicht milde - sie klagt erneut. Die Begründung: Ausländische Investoren könnten benachteiligt werden.

C. Gammelin, A. Hagelüken und C. Hulverscheidt

In Europa eskaliert der Streit über das VW-Gesetz, das den 170.000 deutschen Beschäftigten des größten europäischen Autokonzerns Sonderrechte sichert. Die EU-Kommission will nun auch gegen die geplante Neufassung des Gesetzes klagen, das den Arbeitnehmern ein Veto gegen Fabrikschließungen einräumt und den Bestand Volkswagens als eigenständiges Unternehmen sichert. Am Freitag wollen 30.000 Mitarbeiter in Wolfsburg für die Regeln demonstrieren.

Volkswagen, AP

Das VW-Gesetz ist in seiner Form einzigartig. Doch Brüssel gibt nicht nach - und klagt abermals.

(Foto: Foto: AP)

EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy ließ am Dienstag ankündigen, er wolle die Bundesregierung auch wegen der Neufassung des Gesetzes vor den Europäischen Gerichtshof bringen. 2007 hatte Brüssel bereits das alte VW-Gesetz gekippt. Strittig ist erneut die Vorschrift, wonach wichtige Entscheidungen bei VW nur mit den Stimmen von 80 Prozent der Aktionäre fallen dürfen. Das sichert dem Land Niedersachsen mit seinem Anteil von 20,3 Prozent ein Vetorecht, etwa bei der Frage, ob die Produktion aus deutschen Fabriken mit hohen Löhnen ins Ausland verlagert wird. Auch die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat können solche Verlagerungen verhindern, weil das Gesetz vorschreibt, dass der Aufsichtsrat darüber nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden kann.

Nach Ansicht von Kommissar McCreevy verstoßen die Regeln gegen die Kapitalverkehrsfreiheit und drohen ausländische Investoren fernzuhalten. Die Bundesregierung wies diese Vorwürfe zurück. Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums sagte, bevor Brüssel den Gerichtshof erneut einschalten könne, müsse Berlin gemäß EU-Vertrag eine weitere Möglichkeit erhalten, die Bedenken auszuräumen. Die übliche Frist liege bei zwei Monaten.

Kritische Töne von den Gewerkschaften

Scharfe Kritik kam von den Gewerkschaften. Die "permanente Kritik Brüsseler Technokraten am VW-Gesetz richtet sich gegen die Interessen der Volkswagen-Beschäftigten", sagte der niedersächsische IG-Metall-Bezirkschef Hartmut Meine. Während der für Freitag dieser Woche geplanten Sitzung des VW-Aufsichtsrates will die IG Metall massiv gegen die vermeintlichen "Angriffe" auf das Gesetz protestieren. "Volkswagen muss Volkswagen blieben", sagte Meine. Er erwartet mehr als 30.000 Arbeitnehmer "zu der seit Jahren größten Protestaktion von VW-Beschäftigten".

Die Proteste richten sich auch gegen Großaktionär Porsche. Chef Wendelin Wiedeking hatte erklärt, er sei der festen Überzeugung, dass das VW-Gesetz nicht notwendig sei. Der geplante neue Vorstoß der EU-Kommission "ist durchaus in unserem Sinne", sagte ein Unternehmenssprecher. Wenn auch die Neufassung des Gesetzes scheitert, könnte Großaktionär Porsche schon bald einen Gewinnabführungs-Vertrag mit Volkswagen abschließen. Damit wäre die Selbständigkeit des größten europäischen Autokonzerns mit insgesamt 350.000 Leuten zu Ende. Das Sagen hätten die Familien Piëch und Porsche, die den Sportwagenkonzern mit nur 11.000 Mitarbeitern kontrollieren. Der Betriebsrat von Volkswagen wehrt sich seit Monaten dagegen, dass der Großaktionär die alleinige Macht bekommt und die Arbeitnehmerrechte reduziert.

Der Europäische Gerichtshof kann nationale Gesetze nicht aufheben, aber Mitgliedstaaten auffordern, sie abzuschaffen. Da ein neuer Richterspruch der zweite gegen die Regelung wäre, drohen Berlin hohe Zwangsgelder. In Kommissionskreisen hieß es, Berlin dürfe die Ankündigung als "finale Warnung" verstehen. Bis Ende kommender Woche sei Zeit, den Streit beizulegen.

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