Energiewende:Vertrackte Lücke

Deutschland droht seine Klimaziele zu verfehlen. Ein Gutachten gibt Empfehlungen für den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohlekraft.

Von Marlene Weiß

Die Energiewende ist eine paradoxe Angelegenheit. Zwar wird immer mehr Strom aus Wind und Sonne erzeugt; trotzdem steigt auch der Ausstoß klimaschädlicher Gase in Deutschland. Schuld ist vor allem die Stromerzeugung, die trotz Ökostrom immer klimaschädlicher wird; denn es wird auch mehr Strom aus Kohle produziert. Dabei wäre es gar nicht so kompliziert, diese vertrackte Entwicklung zu stoppen - so jedenfalls legt es ein Gutachten dar, das die Grünen in Auftrag gegeben haben und das der SZ vorliegt. Die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm untersucht darin mögliche rechtliche Vorgaben für Bau und Betrieb von Kohlekraftwerken.

Eigentlich sollte der EU-weite Emissionshandel klimaschädliche Kraftwerke ja unattraktiv machen; rechtliche Vorgaben wären dann unnötig. Aber weil Zertifikate für CO₂-Ausstoß spottbillig geworden sind und auch Kohle derzeit günstig ist, Gas hingegen teuer, lohnt es sich kaum noch, saubere Gaskraftwerke anzuschalten. Kohlekraftwerke dagegen laufen und laufen, sie treiben den Stromexport in nie gekannte Höhen - und das, obwohl die Kraftwerke immer weniger profitabel sind. Solange der Strompreis über den Betriebs- und Brennstoffkosten liegt, gibt es für die Inhaber aber keinen Grund abzuschalten.

Die Energiewende ist nicht mit dem Atomausstieg beendet

Diese Gemengelage gefährdet die deutschen Klimaziele für das Jahr 2020. Um 40 Prozent sollen die Emissionen bis dahin gegenüber 1990 sinken, laut aktueller Prognose dürften es höchstens 33 Prozent werden. Helfen würde eine Reform des EU-Emissionshandels, um die Zertifikate knapper und teurer zu machen. Aber die Verhandlungen darüber gestalten sich traditionell zäh; schon die jüngste Entscheidung, einen Teil der Verschmutzungsrechte für einige Jahre zurückzuhalten, war hart umkämpft.

Einfacher wären nationale Regelungen, wie sie etwa Großbritannien anwendet: Dort gilt ein Deckel für die Menge an CO₂, die ein Kraftwerk pro Jahr ausstoßen darf. Denkbar wäre auch ein Mindestwirkungsgrad für abgeschriebene Anlagen oder eine Obergrenze für den CO₂-Ausstoß pro Kilowattstunde, wie sie in Kanada ab 2015 für alte Kraftwerke gilt. Allerdings gibt es da in Deutschland eine Barriere: Das Gesetz mit dem unhandlichen Namen Bundesimmissionsschutzgesetz verbietet derlei Vorschriften für Anlagen, die dem Emissionshandel unterliegen, also auch alle Kohlekraftwerke.

Das aber gehe über die Anforderungen des EU-Rechts hinaus, schreibt Cornelia Ziehm im Gutachten. Wäre ja noch schöner, wenn die EU nationale Regelungen verbieten würde, da doch vom Emissionshandel gar keine "Lenkungswirkung" ausgehe: "Ein unwirksames System kann nicht über seine eigene Wirkungslosigkeit hinaus auch noch das Ergreifen wirksamer Maßnahmen verbieten", meint Ziehm. Und empfiehlt, den Absatz im Gesetz ersatzlos zu streichen, dann ließen sich CO₂-Standards festlegen.

"Die Bundesregierung hat rechtliche Instrumente für den Kohle-Ausstieg"

Laut Gutachten gäbe es weitere Möglichkeiten, die Überkapazitäten bei Kohlekraftwerken abzubauen: Mehr Flexibilität ließe sich vorschreiben, das könnte die Kraftwerke kompatibler mit Ökoenergien machen. Auch ein Mindestpreis für CO₂-Zertifikate in Form einer zusätzlichen Steuer wäre möglich, auch das hat Großbritannien eingeführt. Nach deutschem Recht könnte das allerdings laut Ziehm nur mit einem Kniff umgesetzt werden, etwa in Form einer Verbrauchssteuer auf Zertifikate. "Die Studie belegt, dass die Bundesregierung eine Reihe von rechtlichen Instrumenten zum Ausstieg aus der Kohle besitzt", sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter. Die Lethargie in der Klimapolitik müsse aufhören; die Energiewende sei nicht mit dem Atomausstieg beendet. Das dürfte auch schon anderen klar geworden sein.

Ende April hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Eckpunkte für einen Klima-Aktionsplan vorgelegt, der bis zum Herbst fertig werden soll. Die Energiewirtschaft müsse einen entscheidenden Beitrag zur Schließung der Klimaschutz-Lücke leisten, heißt es darin. Fragt sich nur, wie das den Konzernen vermittelt werden soll.

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