Energiepolitik:Das Rohr zum Westen

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Ob Ostsee-Pipeline oder Kraftwerke in Deutschland: Der Kreml orientiert sich wieder stärker nach Westeuropa. Für Europas Energiemarkt ist die russische Strategie Gefahr und Chance zugleich.

Markus Balser

Die neue Zeit landete mit großem Auftritt am Ostseestrand. Fünf riesige weiße Kuppeln ragten bei Lubmin hinter den Dünen in den Himmel, als Politprominenz aus ganz Europa vergangene Woche am Bodden einschwebte. Weit sichtbar symbolisierten die Zelte eine enge Verbindung: CH4 - die chemische Formel für Erdgas. In der futuristischen Konstruktion drehten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew die Ostsee-Pipeline auf.

Die Haltung der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des russischen Staatspräsidenten Dmitrij Medwedjew sind nicht so skeptisch, wie sich anhand dieses Bildes vermuten ließe. (Foto: dpa)

Der 1200 Kilometer lange Milliardenbau bedeutet den ersten direkten Anschluss Westeuropas an die riesigen Erdgas-Felder Russlands. Der Startschuss für eine engere Verbindung auf dem Energiemarkt ist beiderseits der Ostsee mit großen Hoffnungen verbunden - weit über die Pipeline hinaus. Europa will sich im immer härteren Kampf um Rohstoffe Vorteile verschaffen - und Russland seinen Einfluss auf Europa stärken.

Was genau der Kreml in den nächsten Jahren plant, machte nun Russlands Energieminister Sergej Schmatko per Interview öffentlich: Sein Land sei bereit, gemeinsam mit deutschen Partnern Bau, Finanzierung und Betrieb von Kraftwerken zu übernehmen, sagte der russische Energieminister. Im Klartext: Russland will mit eigenen Milliarden im großen Stil auf dem europäischen Strommarkt expandieren, vor allem in Deutschland.

Hinter dem Vorstoß steckt das Kalkül der russischen Regierung, die Rolle des Landes als reiner Rohstofflieferant zu wandeln. Statt das eigene Gas wie in den vergangenen Jahrzehnten einfach an der Grenze der Kunden abzuliefern, will Russland künftig auch ins lukrative Stromgeschäft einsteigen, Energie produzieren und selbst an private Haushalte verkaufen.

Mit Macht sucht Russlands Rohstoffmonopolist Gazprom derzeit deshalb die Nähe zu deutschen Unternehmen. Erst vergangene Woche übernahm der Konzern mit 400.000 Beschäftigten den kleinen hessischen Anbieter Envacom - ein symbolischer erster Schritt auf den deutschen Strommarkt. Hinter den Kulissen geht es bereits um einen viel größeren Deal: eine Partnerschaft Gazproms mit Deutschlands Energieriesen RWE zum Bau und Betrieb von Großkraftwerken. Für Moskau bedeutet der Vorstoß eine Umkehr in der internationalen Energiepolitik.

Dass Russland sich mit geplanten Investitionen im großen Stil wieder stärker nach Westeuropa orientiert, gilt auch in Berlin als wichtiges Signal. Es hat vor allem damit zu tun, dass Gazprom beim Werben um neue Märkte vor allem in Asien herbe Rückschläge einstecken musste.

Signal zum Aufbruch

Zwar setzt auch die wachsende Wirtschaftsmacht China auf russisches Gas. Doch Peking lehnt es ab, sich langfristig auf ähnlich hohe Gaspreise einzulassen, wie es europäische Versorger noch immer tun. Und weil die Börsenpreise für Gas heftig schwanken, ist der Elan Russlands erlahmt, neben dem Pipelinebau groß ins Flüssiggasgeschäft einzusteigen und den blauen Rohstoff in Schiffsbäuchen flexibel dorthin zu schicken, wo er teuer bezahlt wird.

Für Deutschland bedeutet der Vorstoß Gefahr und Chance zugleich. Denn die Abhängigkeit von Moskau wächst weiter. Erst recht, wenn Russland seine Pläne wahr macht, Europa mit einer weiteren Gaspipeline im Süden in die Zange zu nehmen. Realisiert Russland das Projekt South Stream in den Kaukasus, bliebe das EU-Projekt Nabucco wohl auf der Strecke - und damit auch das Ziel Brüssels, die Abhängigkeit zu reduzieren.

Und doch freuen sich führende Politiker in Berlin über das geplante Engagement von Gazprom in Deutschland. Es gilt als Signal zum Aufbruch für die Energiewende. Denn es zeigt, dass sich Investitionen in den nötigen Umbau durchaus rentieren können. Die großen vier Energiekonzerne hatten daran zuletzt immer wieder Zweifel angemeldet. Nun müssen sie mit neuer Konkurrenz rechnen.

© SZ vom 15.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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