Energiekonzerne:Außer Kontrolle

Bei der Energie-Aufsicht gibt es zu große Lücken, die Kartellbehörden sollten mit größeren Befugnissen ausgestattet werden. Der Staat muss eingreifen.

Markus Balser

Es klingt wie ein Freispruch erster Klasse für die zuletzt hart kritisierte Strombranche in Deutschland: Fast zwei Jahre dauerte die bislang aufwendigste Untersuchung des Marktes. Der schwere Verdacht der Kartellbehörden: Mit ihrer großen Marktmacht könnten Stromkonzerne durch gezieltes Abschalten von Kraftwerken in Zeiten großer Nachfrage das Angebot künstlich verknappen - und so die Preise im großen Stil manipulieren. Nun steht das Ergebnis fest: Das Bundeskartellamt kann dem mächtigen Energiequartett RWE, Eon, EnBW und Vattenfall keine illegalen Praktiken nachweisen.

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Zwei Jahre lang hat das Kartellamt die Praktiken der Stromkonzerne untersucht - und nichts gefunden.

(Foto: dpa)

Liegen also Verbraucherschützer, Wissenschaftler, Politiker und nicht zuletzt Millionen Stromkunden falsch, die seit Jahren über wundersame Preissteigerungen klagen? Geht am Ende doch alles mit rechten Dingen zu auf dem deutschen Strommarkt? Große Zweifel sind angebracht. Denn das Bundeskartellamt machte auch klar: Deutsche Energiekonzerne haben Anreiz und Möglichkeit zur Manipulation. Nur nachweisen lässt sich für die untersuchten Jahre 2007 und 2008 nichts.

Ohnmächtige Behörden

Von einem Freispruch erster Klasse ist die Branche damit weit entfernt. Nach wie vor teilen sich die Konzerne mehr als 80 Prozent des Strommarktes auf. Alle vier Unternehmen verfügen über eine marktbeherrschende Stellung. Das Fazit des Kartellamts ist bei weitem kein Beleg für faire Verhältnisse im Energiesektor. Es liefert vielmehr den Beleg für die Ohnmacht deutscher Behörden beim Versuch, die Marktmacht der Konzerne zu brechen.

Tatsächlich fielen den Wettbewerbshütern beim Durchleuchten von 300 Millionen Daten allerhand Seltsamkeiten auf dem Strommarkt auf. So stießen sie auf eine eigenartig hohe Zahl von Kraftwerken, die aus technischen Gründen zur Stromproduktion gerade "nicht verfügbar" waren, wenn sie gebraucht wurden. Egal, ob Kohle, Atom, oder Gaskraftwerke: Im Durchschnitt stand ein Viertel aller Erzeugungskapazitäten aus technischen Gründen still. Experten wissen, dass Ausfälle dieser Größenordnung gewaltige Preisausschläge auslösen können. Schalteten Konzerne Kraftwerke vielleicht aus fadenscheinigen Gründen ab, um den Strom künstlich verknappen und Preise zu treiben zu können?

Viele Daten sind gelöscht

Die erschreckende Antwort der Prüfer nach zweijähriger Untersuchung: Das Bundeskartellamt weiß es nicht. Und die Prüfer geben zu, sie werden es auch nie erfahren. Denn nur eine noch detailliertere Untersuchung der dubiosen Stillstände könnte Aufklärung bringen. Zu spät. Viele Daten sind in den Unternehmen längst gelöscht.

Die groß angelegte Kontrolle mutiert zum zahnlosen Papiertiger. Eine genauere Untersuchung, räumen die Kartellwächter ein, würde ihre Kapazitäten sprengen. Statt Antworten zu liefern, werfen sie so neue Fragen auf: Wenn schon die wichtigste deutsche Kontrollbehörde vor der Undurchsichtigkeit des Strommarktes kapituliert - wer eigentlich soll dann künftig für mehr Transparenz sorgen? Am Mittwoch Abend wurde beim Treffen der Energiebosse mit Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich: Die vier Konzerne sehen sich noch lange nicht am Ende. Sie wollen ihre Marktmacht weiter ausbauen. Über eine europaweite Harmonisierung der Ökostromförderung debattierte die Runde. So könnten deutsche Förderinstrumente ausgehebelt werden. Die Folge: Weniger Solarstrom von deutschen Dächern und mehr aus Solarkraftwerken in Südeuropa. Die Marktmacht der Großkonzerne wäre zementiert.

Die Regierung muss eingreifen. Bei der Aufsicht des Energiemarktes in Deutschland gibt es zu große Lücken. Kartellbehörden müssen mit größeren Befugnissen ausgestattet und zu schlagkräftigen Akteuren umgebaut werden. Vor allem der Großhandel mit Strom braucht eine eigene Aufsicht. Die Zeit drängt. Der Preisanstieg beim Strom macht das mehr als deutlich.

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