Eminenz im Hintergrund:Der Mann am Zünder

Der frühere Siemens-Mann für Korruptionsbekämpfung, Albrecht Schäfer, gerät unter Druck: Packt er nun aus?

Vielleicht war es ja sein letzter großer Auftritt für Siemens, als Albrecht Schäfer vergangene Woche vor dem Landgericht Darmstadt aussagte. Der 58-jährige Jurist stellte sich dort als Chef der Hauptabteilung für weltweite Personalstrategie in der Zentrale am Wittelsbacher Platz in München vor.

Weit bedeutsamer bei der Aufklärung des Schmiergeldskandals in dem Weltkonzern sind allerdings seine früheren Funktionen als Chef der Rechtsabteilung in den Jahren 2002 und 2003 und als Anti-Korruptionsbeauftragter (Chief Compliance Officer) von Oktober 2004 an bis Ende 2006. Der Manager mit dem markanten Schnauzbart weiß viel.

Seine Kenntnisse über mögliche Korruptionsdelikte bei Siemens interessieren nicht nur die Richter in Darmstadt, die wegen Bestechung des italienischen Stromkonzerns Enel gegen zwei ehemalige Siemens-Führungskräfte verhandeln. Mit Zahlungen in Millionenhöhe soll sich Siemens Großaufträge für Gasturbinen in Kraftwerken gesichert haben.

Schäfer sagte im Zeugenstand aus, er habe sich 2003 der Sache angenommen, als das hochgekommen sei, und mit Enel über einen Schadensersatz verhandelt. Ziel von Siemens sei es gewesen, auf keinen Fall in ein Gerichtsverfahren hineingezogen zu werden. Am Ende habe man 100 Millionen Euro an das italienische Unternehmen gezahlt, davon 20 Millionen Euro in bar als Ausgleich für den entstandenen Rufschaden, berichtete der Zeuge.

"Wer sagt es ihm?"

Ob es Tradition war bei Siemens, öffentlichen Wirbel zu vermeiden, und ob deshalb womöglich vieles vertuscht wurde, dem gehen die von Siemens eingeschalteten Anwälte der amerikanischen Kanzlei Debevoise & Plimpton nach. Was die Experten aus den Vereinigten Staaten bislang herausfanden und am Mittwoch vergangener Woche dem Aufsichtsrat berichteten, löste dort Erstaunen und Entsetzen aus.

Mehrere Teilnehmer dieser Sitzung berichten, Debevoise & Plimpton habe vorgetragen, dass Schäfer als Chief Compliance Officer, also als oberster Anti-Korruptionsbeauftragter, in den Jahren 2005 und 2006 dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats wichtige Hinweise auf Korruptionsdelikte verschwiegen habe. Und dann hätten die US-Anwälte die Empfehlung ausgesprochen, Siemens solle schärfste arbeitsrechtliche Konsequenzen gegen den Juristen ergreifen, ihm also fristlos kündigen.

Insofern könnte es sein, dass der Jurist demnächst in einem Prozess nicht mehr für, sondern gegen Siemens auftritt. "Das wäre dann das spannendste Arbeitsgerichtsverfahren in Deutschland", sagt einer, der Einblick in Siemens-Akten hat. Falls Schäfer auspacke, könnte eine Bombe explodieren. Bei der Aufklärung des Skandals sei er jetzt die Schlüsselfigur, glauben mehrere Aufsichtsräte.

Schäfer gilt bei Siemens-Insidern als eine Art Graue Eminenz, als einflussreicher Mann im Hintergrund, der sich darauf versteht, delikate Fälle geräuschlos zu erledigen. Der Mann mit dem Schnauzbart ist einer der engsten Mitarbeiter von Personalvorstand Jürgen Radomski, über seinen Schreibtisch laufen seit Jahren vertrauliche Vorgänge.

Ob an den Vorwürfen und an den Vermutungen, die sich daran knüpfen, etwas dran ist, muss sich allerdings erst noch erweisen. Schäfer kämpft um seinen Ruf, und er erklärt, von "irgendwelchen Kündigungsabsichten" sei ihm nichts bekannt. "Das Problem ist: Wer sagt es ihm", glaubt ein Aufsichtsrat. Werfe der Vorstand ihn hinaus, werde er bestimmt nicht das Bauernopfer spielen. Es gebe Hinweise, sagt dieser Aufsichtsrat, dass Schäfer einigen Vorständen mehr gesagt und geschrieben habe als dem Prüfungsausschuss. Für die könne es dann eng werden.

Aus Schäfers Sicht gibt es dagegen "keinen Grund, zwischen das Unternehmen und mich einen Keil zu treiben". Er will sich nicht nachsagen lassen, sich unkorrekt verhalten zu haben.

Auf eine von mehreren SZ-Anfragen antwortete der Jurist klipp und klar: "Um es vorwegzunehmen und jeden Zweifel auszuschließen: Ich habe stets meine Aufgabe wahrgenommen, im Rahmen meiner Zuständigkeit für rechtmäßiges Verhalten im Unternehmen zu sorgen." Er ersuche dringend darum, nicht den Versuch zu unternehmen, "das unwahre Gegenteil zu konstruieren". Man würde ihm schwer schaden. Siemens selber wollte sich zum Fall Schäfer nicht äußern.

Der Mann am Zünder

Schäfer bemüht sich, jeden Vorwurf zu widerlegen, der bei Siemens gegen ihn hochkocht, und viele seiner Antworten wirken auf den ersten Blick schlüssig. Es bleiben allerdings Fragen und Zweifel. So bekam der damalige Chefjurist von Siemens im November 2003 einen Bericht aus der Rechtsabteilung über dubiose Provisionszahlungen in Nigeria auf den Tisch.

Darin ist notiert, hier lägen "Anhaltspunkte für den Verdacht der Amtsträger bzw. Angestelltenbestechung im Ausland" vor, diese könnten für deutsche Behörden unter Umständen Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sein.

Schäfer reichte den Bericht nach eigenen Angaben an den damaligen Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger weiter, gegen den die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt. Dennoch konnten einige der in dem Bericht genannten vier Verdächtigen weitermachen und, wie sich später herausstellte, ein System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen aufrechterhalten.

Inzwischen führt die Staatsanwaltschaft nach einer Großrazzia vom November 2006 alle vier als Beschuldigte. Doch schon drei Jahre vorher, im November 2003, hätte Schäfer als damaliger Leiter der Rechtsabteilung zur Staatsanwaltschaft gehen und sagen können: Hier liegt ein konkreter Verdacht vor, dem die Ermittler nachgehen sollten. Warum unterblieb das?

Ähnlich wie der Fall Enel

Schäfer antwortet, er habe davon ausgehen müssen, dass dieser Bericht mit einem so eindeutigen Verdacht vom Finanzvorstand Neubürger und der ebenfalls damit befassten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG entsprechend verwendet werde.

"Also: Übernahme durch die letztzuständigen Stellen." Er habe darauf vertrauen müssen, dass die erforderlichen Maßnahmen umgesetzt würden. Weitere Aktivitäten durch ihn wären "geradezu intrigant" gewesen. Das erinnert an den Fall Enel.

Gegen einen der vier Verdächtigen im Fall Nigeria, den langjährigen Siemens-Manager Reinhard S., ermittelte ab Ende 2004 die Staatsanwaltschaft in Liechtenstein und ab Spätsommer 2005 die Bundesanwaltschaft in der Schweiz wegen fragwürdiger Zahlungen in Millionenhöhe. Das wurde Siemens bekannt.

Doch Schäfer unterließ es, den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats darüber zu unterrichten, dass Reinhard S. schon früher auffällig geworden war. Stattdessen durfte S. am 20. Juni 2006 bei Schäfer in dessen Büro am Wittelsbacher Platz vorsprechen.

Anlass war angeblich ein Honorarstreit. Schäfer sagt, er habe S. "ausdrücklich gewarnt, irgendetwas zu machen, was in Richtung Strafvereitelung geht". S. behauptete gegenüber der Staatsanwaltschaft jedoch das Gegenteil.

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