Elektronische Kassenzettel:Kassenbon aufs Handy

Sony erwartet drastisch höheren Verlust

Auf dem Smartphone können Nutzer nun auch ihre alten Kassenbons abrufen.

(Foto: dpa)

Einzelhändler können ihre Kunden nicht so zielgenau ansprechen wie die Online-Konkurrenz. Das soll sich ändern: Deichmann, dm und andere testen jetzt den digitalen Kassenbon - direkt auf das Smartphone.

Von Benedikt Müller

Die Ware liegt auf dem Kassentisch, der Geldbeutel ist gezückt - doch dann überrascht die Verkäuferin mit einer Bitte: "Jetzt brauche ich noch Ihre E-Mail-Adresse für den elektronischen Kassenzettel."

Noch sind Situationen wie diese selten in deutschen Geschäften. Aber immer mehr Händler tüfteln daran, den Kassenbon ins digitale Zeitalter zu führen. Zum Beispiel die Drogeriekette dm, der Schuhhändler Deichmann und die Modekette American Apparel. Wer sich für den elektronischen Kassenzettel anmeldet, erhält nur dann eine ausgedruckte Quittung, wenn er das ausdrücklich wünscht. Sonst flattert die Rechnung in das E-Mail-Postfach oder auf das Mobiltelefon des Kunden. Dort bleiben die Belege stets auffindbar - praktisch für den Kunden, sollte er die Ware eines Tages umtauschen oder beanstanden wollen.

Die Handy-Anwendung Nubon, mit der unter anderem Deichmann, dessen Konkurrent Görtz und der Textilhändler Wöhrl zusammenarbeiten, bietet noch weitere Dienste an. Dort können Nutzer gedruckte Kassenzettel auch nachträglich digitalisieren. Auf Wunsch stellt die App eine Übersicht über alle Einkäufe zusammen - und erinnert den Käufer, kurz bevor wichtige Garantiefristen ablaufen.

Über die digitalen Bons sammeln die Unternehmen Daten

Die Händler bewerben den digitalen Kassenbon als Projekt, das die Umwelt schützt. Wenn Käufer die Quittung auf den Computer oder auf das Mobiltelefon statt auf die Hand erhielten, müsse kein Papier verschwendet werden, argumentieren sie unisono. In der Tat sind Kassenzettel umweltschädlich. Sie enthalten so viele Chemikalien, dass man sie im Restmüll statt im Altpapier entsorgen und Kindern nicht in die Hand drücken sollte.

Doch in Wahrheit geht es den Firmen um mehr als nur um Umweltschutz, sagt Martin Meinert, Projektmanager bei der Münchner Beratungsgesellschaft Mücke, Sturm & Company: "Der elektronische Kassenzettel ist ein ganz gutes trojanisches Pferd, um die Kundenbindung zu erhöhen und Daten zu sammeln." Wie die Payback-Karte macht der digitale Kassenbon aus dem anonymen Laufkunden eine Person, die man identifizieren und deren Kaufverhalten man analysieren kann. Auf dieser Basis können Händler dem Kunden zielgerichtete Werbung zukommen lassen - gerade dann, wenn der Kunde seine E-Mail-Adresse angegeben hat, erläutert Meinert: "Die E-Mail ist ein wichtiges Mittel der Kundenkommunikation und für die Händler eine weitere Zugangsmöglichkeit zu ihrer Kundschaft."

Mit dem Kaufbeleg kommt Werbung

Die Drogeriekette dm hat vor zwei Jahren ein eigenes System für den elektronischen Kassenzettel eingeführt. Seitdem haben sich nach Angaben des Unternehmens etwa 11 000 Kunden für den E-Bon angemeldet. Sie erhalten beim Einkauf keine Quittung mehr, sondern sofort eine PDF-Datei per E-Mail. Dass die Drogeriekette mit dem E-Bon auch eine Werbestrategie verfolgt, bestreitet das Unternehmen auf Nachfrage: "Eine Verwendung der Daten für Marketingzwecke erfolgt bei dm nicht."

Auffällig ist allerdings, dass man eine Payback-Karte besitzen muss, um bei dm am E-Bon-System teilnehmen zu können. Dies sei erforderlich, um den Kunden an der Kasse als einen Nutzer des digitalen Kassenbons erkennen zu können, sagt das Unternehmen. Branchenkenner werten die Zusammenarbeit mit Payback dagegen als Indiz, dass im Hintergrund Käuferdaten gesammelt werden. Schließlich ist es das Geschäftsmodell von Payback, einerseits den Händlern weitreichende Markt- und Produktanalysen zur Verfügung zu stellen, andererseits den Kunden passgenaue Rabattangebote zu unterbreiten. Beispielsweise schickt Payback seinen weiblichen Kunden andere Coupons zu als den männlichen. Doch das soll nur ein Anfang sein.

Weniger Umtausch

Keine Zettelwirtschaft mehr: Der digitale Kassenbon spart Papier.

(Foto: dpa)

Um bei Neuerungen wie dem elektronischen Kassenzettel mit von der Partie zu sein, rüsten die Händler ihre Technik auf. So setzt beispielsweise die Modekette Wöhrl von Herbst an neue Kassen ein, mit denen die Verkäufer die Codes der Nubon-App auf dem Mobiltelefon der Kunden scannen können. Sobald das funktioniert, sollen die Beschäftigten an der Kasse verstärkt auf die "digitalen Services" hinweisen, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt.

Obwohl Wöhrl-Kunden ihren Kassenbon schon seit einem Jahr digital erhalten können, sei das Projekt "nach wie vor in einer Testphase". Auch die Nürnberger beteuern, die Käuferdaten, die durch die elektronischen Kassenzettel generiert werden, nicht auszuwerten. Aber: "Wir prüfen den Einsatz der angebotenen Möglichkeiten sehr genau."

Personalisierte Werbung auch bei stationären Händlern

Der Schuhhändler Deichmann ist schon einen Schritt weiter. Seit März dieses Jahres können sich die Kunden in allen Filialen und auch bei der Konzerntochter Roland ihre Quittungen auf das Handy schicken lassen. Die Käuferdaten, die sich dabei ansammeln, will Deichmann nutzen, um seine Kunden "auch mobil aktiv anzusprechen", wie es die Essener nennen. Was man sich darunter vorstellen kann, kennen Internetnutzer von den Online-Platzhirschen Amazon und Zalando: Wer ein bestimmtes Produkt gekauft hat, erhält danach personalisierte Werbung auf allen Kanälen. Wie wäre es zum Beispiel mit den neuen Winterschuhen der Marke, von der man zuletzt ein Paar für den Sommer gekauft hat? Oder dem passenden Gürtel zu den neuen Lackschuhen? Oder den berühmten Pflegemitteln, die jeder Schuhhändler gerne zusätzlich verkauft?

Den klassischen Läden fehlt bislang meist die Grundlage für zielgerichtete Werbung, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln. Doch das soll sich ändern: "Viele stationäre Händler stehen in Zeiten der Digitalisierung und immer weiter wachsenden Online-Anteile vor großen Herausforderungen", erklärt Hudetz. "Deshalb suchen sie nach Möglichkeiten, ihre Kunden besser zu verstehen und sie zielgerichteter zu adressieren." Zwar sei der Handel eine vergleichsweise konservative Branche, die so lange auf alten Pfaden bleibe, wie es geht, sagt Hudetz. "Doch man ist grundsätzlich empfänglicher geworden gegenüber neuen Techniken und Dienstleistungen."

Der Kassenzettel ist erst der Anfang

Davon profitieren Anbieter wie das Hamburger Start-up Nubon. Deichmann und Görtz beispielsweise seien sofort an der App des Tochterunternehmens des Otto-Konzerns interessiert gewesen, sagt Geschäftsführer Norbert Gödicke: "Wir bieten den Händlern eine Plattform für zeitgemäße, digitale Kundenbindung." Immer mehr Unternehmen nähmen die Dienstleistungen in Anspruch, die weit über elektronische Kassenzettel oder digitale Kundenkarten hinausgingen: "Für Händler ist Nubon eine Marketingplattform, mit der sie ihre Kunden schnell und zielgerichtet über Produkte und Aktionen informieren können", sagt Gödicke. Für die einzelnen Dienstleistungen stelle Nubon den Händlern unterschiedliche Gebühren in Rechnung.

Mittelfristig will das Start-up seine App zu einem digitalen Geldbeutel ausbauen. Noch in diesem Jahr sollen die 200 000 Kunden, die Nubon bisher auf ihr Handy geladen haben, auch ihre Kreditkarte mit der Anwendung verbinden können. "Sämtliche Kassenfunktionen - also das Punktesammeln, das Einlösen mobiler Coupons, der Bezahlvorgang und der digitale Beleg - werden dann mit nur einem Smartphone-Scan automatisch verknüpft und verarbeitet", so Gödicke. An der Kasse soll dadurch alles effektiver und schneller gehen.

Damit wagt sich die junge Firma auf das große Terrain des digitalen Bezahlens, auf dem zurzeit Branchenriesen wie Apple oder Google genauso an Konzepten tüfteln wie viele Banken. Für Martin Meinert ein wichtiger Schritt: "Ich wage zu bezweifeln, dass Apps, die den elektronischen Kassenzettel anbieten, eine lange Daseinsberechtigung haben", sagt der Berater, "es sei denn, die Anwendung geht Hand in Hand mit elektronischen Bezahlsystemen."

Kunden sollen nicht zu viel von sich preisgeben

Wie viel Erfolg die Hamburger mit ihrer App und die Handelsketten mit ihrem zaghaften Datensammeln haben werden, hängt letztlich davon ab, wie viel die Verbraucher über sich preisgeben. Nubon-Nutzer können beispielsweise persönliche Interessen in der App hinterlegen, um noch passgenauere Werbung zu erhalten. Sie müssen aber nicht. Meinert rät zur Vorsicht: "Die Kunden sollten nicht davon ausgehen, dass es irgendetwas umsonst gibt, gerade nicht bei Gratis-Apps." Auch wer dem Händler seine E-Mail-Adresse gebe, dürfe sich nicht wundern, wenn er fortan einen Newsletter erhalte. Schlechtreden möchte Meinert zielgerichtetes Marketing allerdings nicht: "Personalisierte Werbung ist für den Kunden nicht unbedingt schlecht - jedenfalls solange es nicht zu viel wird", sagt der Berater. Es liegt somit auch im Interesse der Einzelhändler, die Fülle an Möglichkeiten, die im digitalen Zeitalter zur Verfügung stehen, nicht überzustrapazieren.

Es gab übrigens schon einmal ein Unternehmen, das sich die Digitalisierung des Kassenbons auf die Fahnen geschrieben hat. 2011 wurde die Handy-Anwendung Reposito gegründet. 250 000 Menschen haben sich die App heruntergeladen, um Kassenzettel und Kundenkarten zu digitalisieren. Für die Gründer war das Geschäft allerdings zu keinem Zeitpunkt rentabel. Im August dieses Jahres ist Reposito offline gegangen.

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