Elektroauto:Faraday Future: Das große Elektroauto-Versprechen

Der Faraday Future FF91 im Beschleunigungs-Test gegen einen Tesla Model S

Im Video zeigt Faraday einen Beschleunigungstest des FF91 gegen einen Tesla Model S

(Foto: AFP)

Faraday Future präsentiert auf der Messe CES in Las Vegas ein revolutionäres Elektroauto, das schon 2018 in den Handel kommen soll. Dabei hat das Start-up noch nicht mal eine Fabrik.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Der phrygische König Tantalos hielt sich für klüger als die Götter und wurde für diesen Frevel mit schlimmen Qualen bestraft: Die saftigen Früchte blieben für ihn unerreichbar, über seinem Kopf schwebte drohend ein gewaltiger Felsbrocken. Solch wunderbare Geschichten von Größenwahn und Scheitern gibt es zuhauf in der griechischen Mythologie, sie werden heutzutage und insbesondere an der amerikanischen Westküste nur anders interpretiert. Größenwahn gilt als dringend nötige Eigenschaft für weltverändernde Ideen, Scheitern als notwendige Erfahrung.

Tantalos wäre heute ein gefeierter Held der Technologiebranche, vielleicht wäre er sogar Chef von Faraday Future. Der kalifornische Autobauer, der bislang noch kein Auto für die Straße gebaut hat, hält sich für klüger als die etablierten Firmen, die tatsächlich Fahrzeuge produzieren und nun auf der Technologiemesse CES in Las Vegas vernetzte, elektrische und pilotierte Prototypen vorstellen. Faraday freilich will sich nicht mit diesem Kleinkram abgeben und lieber den kompletten Transport des Menschen revolutionieren.

Mangelnde Erfahrung? Für Faraday ist das Freiheit

"Die Automobilindustrie muss ersetzt werden", ruft Entwicklungschef Nick Sampson. Es ist Dienstagabend, irgendwo im nirgendwo von Las Vegas zwischen Strip und Downtown. In einem gewaltigen weißen Zelt steht Sampson auf der 100 Meter breiten Bühne und redet, so weit die Silicon-Valley-Worthülsen ihn tragen. Er preist mangelnde Erfahrung als Freiheit und sagt Sätze wie diesen hier: "Bei uns geht es um extreme Technologie." Oder diesen hier: "Sie werden heute das erste Exemplar einer neuen Spezies sehen." Am Ende dieser Sätze jubeln einige Menschen links hinten auf der Tribüne, nach spätestens fünf Minuten (und zehn Applaussalven) steht fest: Die Claqueure arbeiten entweder bei Faraday oder werden fürs Jubeln bezahlt.

Dieses erste Exemplar einer neuen Spezies, der FF91, sieht aus wie aus dem Science-Fiction-Film Tron, es kann Kunststücke wie Scheibenverdunkeln durch Antippen, Besitzer-am-Gesicht-Erkennen und ohne Fahrer eine Parklücke finden und dann automatisch rückwärts einparken.

Die Reichweite soll bei sparsamer Fahrweise mehr als 700 Kilometer betragen, die maximale Elektromotorleistung 1050 Pferdestärken entsprechen, worauf sie offensichtlich ganz besonders stolz sind bei Faraday. Zuerst zuckeln Fahrzeuge von Bentley, Ferrari und Tesla eher gemächlich über die Bühne, dann darf der FF91 vorbeisausen. Von Null auf Hundert in 2,39 Sekunden, so spritzig ist laut Faraday derzeit kein anderes Serienauto. Antriebstechnik-Chef Peter Savagian sagt gar: "Dieses Auto kann der Schwerkraft entwischen." Jubel links hinten.

Wem gelten die blumigen Versprechen?

Nach der unterwältigenden Präsentation im vergangenen Jahr (das Unternehmen hatte eine Art Batmobil ohne Aussicht auf Serienproduktion gezeigt) fährt nun ein Auto auf die Bühne, das straßentauglich erscheint. Die Eigenschaften klingen futuristisch, sind aber nicht so revolutionär, dass sie das Ausrufen einer neuen Spezies oder das Ende der Automobilindustrie rechtfertigen würden.

Die viel wichtigere Frage an diesem Abend lautet ohnehin, wem all diese Versprechen gelten. Es wird ein Video der geplanten Eine-Milliarde-Dollar-Fabrik im Norden von Las Vegas gezeigt, danach verkündet Sampson mit an den Ohrläppchen festgezurrten Mundwinkeln: "In dieser Fabrik wird die Zukunft gebaut werden." Wer am Nachmittag zur Baustelle gefahren ist, der hat gesehen: Da wird gerade gar nichts gebaut.

Faraday hat Finanzierungsprobleme - und will Vorbestellungen einsammeln

Faraday hat sich vom Bundesstaat Nevada Vergünstigungen und Steuerbefreiungen von 335 Millionen Dollar gesichert, allerdings soll das Unternehmen bereits Zahlungen in zweistelliger Millionenhöhe verpasst haben und dem Bundesstaat eine Erfüllungsgarantie von 75 Millionen Dollar schulden. Finanzminister Dan Schwartz nannte Faraday bereits ein "Ponzi-System" und sagte: "Wir sind noch immer nicht davon überzeugt, dass Faraday die finanziellen Mittel hat, die Fabrik fertigzustellen." Dass die Bauarbeiten ausgesetzt sind, dazu sagt Sampson: nichts.

Faraday braucht dringend Investoren, um diese neue Autospezies wirklich einführen zu können. Jia Yueting, Gründer des chinesischen Technologie-Unternehmens LeEco, soll geborgtes Geld in Faraday investiert haben, das er mit den Anteilen an seiner Firma abgesichert hat. Der Aktienkurs von LeEco ist zuletzt jedoch eingebrochen, zwischenzeitlich wurde das Papier auf Wunsch des Unternehmens vom Handel ausgesetzt.

Ehemalige Faraday-Mitarbeiter berichten nun, dass Jia nicht mehr in der Lage sei, Faraday noch mehr Geld zu geben - weshalb Sampson am Dienstag eine neue Spezies der Finanzierung präsentiert. "Join the Alliance", ruft er in Anlehnung an die gegen das böse Imperium kämpfenden Star-Wars-Rebellen und fordert die Zuschauer auf, für 5000 Dollar ein Exemplar des FF91 zu reservieren. Ach ja: Die ersten Modelle sollen im kommenden Jahr ausgeliefert werden, einen Preis für das Fahrzeug nannte Sampson nicht, noch nicht einmal eine vage Schätzung.

Auf der Bühne ist der FF91 störrisch

Die möglichen Kunden sollen also 5000 Dollar bezahlen für ein Fahrzeug, von dem es bislang erst zwölf Exemplare gibt, von dem sie keine Ahnung haben, was es kosten wird - und von dem sie noch nicht einmal wissen, ob überhaupt die Fabrik fertiggestellt werden wird, in der dieses Auto letztlich gebaut werden soll. Da klingt der Größenwahn des Tantalos, der den Göttern damals beim Festmahl nur Nektar und Ambrosia stibitzte, gar nicht mehr so schlimm.

Der FF91 ist ein revolutionäres Fahrzeug. Es wäre schade, wenn er nicht in Serie produziert würde. Faraday selbst wirkt bei dieser Präsentation am Dienstagabend, als würde über dem Unternehmen ein gewaltiger Felsbrocken schweben. Gegen Ende stehen Sampson und Jia auf der Bühne und wollen das erste Exemplar dieser neuen Spezies per Knopfdruck autonom ein paar Meter nach vorne fahren lassen. Der garstige FF91 jedoch weigert sich. "Manchmal ist er ein bisschen faul", sagt Sampson. Niemand jubelt, niemand lacht.

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