Einzelhandel:Mindestlohn beim Discounter

Ausgerechnet der öffentlichkeitsscheue Discounter Lidl heizt die Mindestlohn-Debatte an - und kassiert nicht nur Zustimmung, sondern auch kräftigen Gegenwind.

Silvia Liebrich

Da mag sich mancher wundern: Ausgerechnet Lidl macht sich stark für die Einführung von Mindestlöhnen im Einzelhandel. Dabei ist der viel gescholtene Discounter nicht gerade bekannt für seine arbeitnehmerfreundliche Haltung. Soll das vielleicht eine neue Kampagne sein, um das Image aufzupolieren? Keinesfalls. Der Vorstoß des Billiganbieters, der vor zwei Jahren durch Datenmissbrauch und die Bespitzelung seiner Mitarbeiter in die Schlagzeilen geriet, hat durchaus einen ernsten Hintergrund.

Lidl, Mindestlohn, Reuters

Lidl prescht vor - und macht sich stark für einen Mindestlohn im Einzelhandel.

Denn es gibt den klaren Trend im Einzelhandel, Mitarbeiter schlechter zu bezahlen. Knapp die Hälfte der 2,9 Millionen Beschäftigten in der Branche werden unter Tarif entlohnt. Zu den schwarzen Schafen zählen etwa der Textildiscounter Kik, aber auch die Drogeriemarktketten Schlecker und Müller, die immer häufiger Leiharbeiter einsetzen, die teilweise weniger als sieben Euro pro Stunde bekommen. Damit verschaffen sie sich einen Kostenvorteil gegenüber all jenen, die Tariflöhne von zwölf Euro und mehr zahlen, wie Lidl und auch Branchenprimus Aldi. Breitet sich das Lohndumping im Einzelhandel weiter aus, geraten auch die Kostenkalkulationen der zwei größten deutschen Discounter stärker unter Druck. "Die Firmen, die ordentliche Löhne zahlen, sind besorgt, dass sie unterboten werden", heißt es in Gewerkschaftskreisen.

Zweiklang aus Aufsehen und Widerspruch

Dass ausgerechnet der sonst eher öffentlichkeitsscheue Discounter die politische Debatte über Mindestlöhne anheizt, erregt Aufsehen in der Branche - und auch Widerspruch.

Ein Sprecher des Metro-Konzerns wies die Forderung umgehend zurück. Das Unternehmen sei offen für tarifliche Festlegungen, aber strikt gegen staatliche Mindestlöhne. Lidl reagiert mit seinem Vorstoß auf den Vorwurf, der Händler drücke die Löhne seiner Beschäftigten. Entsprechend hatte sich vor kurzem der Leiter des Instituts für Arbeit und Wirtschaft, Rudolf Hickel, in der ARD geäußert. Das Unternehmen stellte nun in einem Brief an Hickel klar: "Wir teilen Ihre Auffassung, dass im Einzelhandel unbedingt Mindestlöhne eingeführt werden müssen." Das Schreiben ist unterzeichnet von Aufsichtsratschef Klaus Gehrig.

Cornelia Haß von der Gewerkschaft Verdi begrüßte die Initiative: "Der Einzelhandel hat hier ein gravierendes Problem." Die Chancen für einen Mindestlohn in der Branche sind deshalb gar nicht so schlecht. Bevorzugt wird eine freiwillige Tarifvereinbarung, die derzeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ausgehandelt wird. Sie soll auch eine Klausel über einen Mindestlohn enthalten, der bei etwa neun Euro je Stunde liegen könnte. So viel verdient eine ungelernte Verkäuferin im ersten Jahr ihrer Anstellung. Sowohl beim Handelsverband HDE als auch bei Verdi geht man davon aus, dass der Vertrag bis Frühjahr 2011 unterschriftsreif sein wird. Dann werde es "eine für alle Unternehmen des Einzelhandels verbindliche, von den Sozialpartnern festgelegte Lohnuntergrenze geben", betonte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Dies ist eine gute Nachricht für diejenigen, die unter Tarif bezahlt werden, weil ihre Arbeitgeber nicht Mitglied der Handelsverbände sind. Auch diese Unternehmen wären dann gezwungen, den von den Tarifparteien ausgehandelten Mindestlohn zu zahlen. Vorausgesetzt, die schwarz-gelbe Regierung willigt ein. Sind sich die Tarifparteien einig, sieht es gut aus: Bei anderen Branchen hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen bereits zugestimmt.

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