Einzelhandel:Der Countdown läuft

Einzelhandel: Edeka will die Verluste schreibende Tengelmann-Gruppe als Ganzes übernehmen. Sichert das mehr Jobs als ein Verkauf an mehrere Konkurrenten?

Edeka will die Verluste schreibende Tengelmann-Gruppe als Ganzes übernehmen. Sichert das mehr Jobs als ein Verkauf an mehrere Konkurrenten?

(Foto: Stephan Rumpf)

Kommt es doch noch zu einer Fusion von Edeka und Kaiser's Tengelmann? Die Unternehmen prüfen derzeit fierberhaft die Alternativen.

Von Kirsten Bialdiga, Düsseldorf

Das interne Papier klingt wie ein Traum für Manager. Bei einer Übernahme der Kaiser's Tengelmann-Supermärkte im Raum Berlin könne Edeka nach Renovierung durchgängig mit einem erheblichen Umsatzplus rechnen, heißt es in dem Edeka-Dokument, aus dem das Kartellamt vertraulich zitiert. Vor allem in Berlin und in München sind die Kaiser's Tengelmann-Märkte der Behörde zufolge aber auch noch aus einem anderen Grund attraktiv: Die Kunden in diesen Städten sind besonders experimentierfreudig. Die Filialen gelten daher als so genannte "Lead"-Märkte, in denen sich Innovationen im Lebensmittelhandel gut testen lassen. Wenn neue Produkte in Berlin und München erfolgreich sind, kommen sie später auch andernorts in die Regale.

Doch aus der Übernahme wird vorläufig nichts. Mit seinem Veto machte das Bundeskartellamt vor fast vier Wochen die Hoffnungen der Edeka-Manager auf rasantes Umsatzwachstum zunichte. Eine Übernahme der insgesamt 451 Kaiser's Tengelmann-Märkte durch Edeka schränke den Wettbewerb zu stark ein, urteilte die Bonner Behörde. Seither prüfen die Chefs von Edeka und Tengelmann, Markus Mosa und Familienunternehmer Karl-Erivan Haub, wie sie die Fusion doch noch retten können. Ministererlaubnis, Beschwerde beim Oberlandesgericht oder ein Verkauf an Dritte - das sind die Optionen.

Aktuell verhandelt Tengelmann nach eigenen Angaben nicht über den Verkauf von Filialen an Dritte

Zumindest letztere Variante schloss eine Tengelmann-Sprecherin nun fürs Erste aus: "Es gibt zurzeit keine Verhandlungen über einen Verkauf an dritte Unternehmen." Am Montag traf sich bei Kaiser's Tengelmann dem Vernehmen nach der Aufsichtsrat zu seiner regulären Sitzung. Auch dort sei es darum gegangen, wie es nun weitergehen soll mit der Supermarktkette und ihren 16 000 Beschäftigten.

Mosa und Haub müssen sich beeilen - die Frist für eine Beschwerde gegen die Entscheidung oder eine Ministererlaubnis läuft am kommenden Montag ab. "Wir prüfen parallel, einen Antrag auf Ministererlaubnis einzureichen oder Beschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen", hieß es bei Tengelmann. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Auch bei der Edeka-Gruppe, die formell den Antrag stellen müsste, heißt es: "Wir prüfen nach wie vor die weiteren Schritte."

Dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sich über das Votum des Kartellamts hinwegsetzt und eine Ausnahmegenehmigung erteilt, wäre äußerst ungewöhnlich. Er müsste zu dem Ergebnis kommen, dass eine Übernahme der Kaiser's-Märkte von überragendem allgemeinem Interesse wäre. "Es geht im Kern darum, ob es überzeugende politische Gründe und gesamtwirtschaftliche Vorteile gibt, die Fusion zu erlauben", erläutert Kartellrechtler Carsten Grave, Partner bei der Kanzlei Linklaters. Ein solches Argument könne etwa eine gute Versorgung im ländlichen Raum sein. Im Fall von Edeka und Tengelmann eine zweifelhafte Argumentation, da nach der Übernahme Filialen geschlossen werden könnten, meint Grave. Auch ein möglicher Verlust von Arbeitsplätzen würde den Wirtschaftsminister wohl kaum überzeugen: "Die Sicherung von Arbeitsplätzen war noch nie ein relevanter Gesichtspunkt für die Erteilung einer Ministererlaubnis", sagt Grave. Haub hatte behauptet, dass bei Tengelmann Tausende Arbeitsplätze verloren gehen könnten, weil die Kette seit mehr als zehn Jahren Verluste schreibe.

Tatsächlich ist es die absolute Ausnahme, dass ein Wirtschaftsminister die Wettbewerbshüter überstimmt. "In der Vergangenheit kam die Ministererlaubnis höchst selten zum Einsatz", gibt Dario Struwe, Kartellrechtler bei der Kanzlei FPS, zu bedenken. Das kam nur 21 Mal in den letzten 40 Jahren vor. Das Ministerium will sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern, da noch kein Antrag eingegangen sei. 2007 war es, als es zuletzt eine Ministererlaubnis gab. Damals ging es um die Fusion des Uniklinikums Greifswald mit dem Kreiskrankenhaus Wolgast.

Bei Edeka und Tengelmann steht sehr viel mehr auf dem Spiel. Das Kartellamt sieht gravierende Nachteile für Verbraucher und Lieferanten voraus, sollte Kaiser's von Edeka geschluckt werden. Insbesondere in den Ballungsräumen München und Berlin, in einigen Städten des Ruhrgebiets und des Rheinlands, würde der Wettbewerb zu stark beschnitten. Kunden und Hersteller von Markenartikeln verlören der Behörde zufolge eine Alternative. Schon jetzt kontrollieren die großen Vier (Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl) rund 85 Prozent des Gesamtmarkts. Mit weitreichenden Folgen: Kleinere Händler etwa klagen bereits darüber, dass ihre Lieferanten die Läden kaum noch direkt anfahren. Sie seien inzwischen daran gewöhnt, große Zentral-Lager in den Randbezirken der Städte zu beliefern, die sich für kleinere Händler nicht lohnen.

Die Familie Haub ist in Berlin politisch gut vernetzt - aus ihrer Nähe zur CDU macht sie kein Hehl

Aus Sicht des Kartellamts dürfte Edeka daher nur höchstens 150 bis 170 und damit rund ein Drittel der Geschäfte übernehmen, von denen viele nicht zu den besten gehören. Für Mosa und Haub wäre das so ein kaum mehr akzeptabler Deal. So dürften sie alles daran setzen, den Zusammenschluss in Gänze zu retten. Vorteil eines Antrags auf Ministererlaubnis wäre dabei, dass die Entscheidung binnen weniger Monate fiele. Dagegen müssten die Unternehmen auf einen endgültigen Gerichtsbescheid möglicherweise Jahre warten.

Eine solche Hängepartie ist Gift fürs Geschäft. "Für das Unternehmen ist es hart, eine solche Entscheidung in der Schwebe zu halten: Die Unruhe bei den Mitarbeitern und Lieferanten ist groß", weiß Kartellrechtler Grave aus langjähriger Erfahrung. Konkurrenten registrieren bereits Absetzbewegungen aus dem mittleren Management von Tengelmann. In Mülheim bestätigen sie sogar, dass die Fluktuation zurzeit etwas höher ist als in normalen Zeiten. Und auch bei Edeka gerieten die Planungen durcheinander. Das für diesen Dienstag geplante Jahrespressegespräch wurde auf den 11. Mai verschoben.

Da trifft es sich gut, dass die Haubs in der Berliner Politik gut vernetzt sind. Die milliardenschwere Gründerfamilie macht kein Hehl daraus, dass sie mit der CDU sympathisiert. Die Kanzlerin wiederum besuchte 2009 die Firmenzentrale. Noch wertvoller könnte aber eine andere Verbindung sein: Das Unternehmen ist Mitglied der Lobbygruppe "Atlantik-Brücke". Und dort ist auch Wirtschaftsminister Gabriel mit von der Partie.

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