Einkauf am Sonntag:"Mangel an religiöser wie kultureller Achtung"

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Kulturkampf um den Einkauf am Sonntag: Kirchen und Gewerkschaften wehren sich in Karlsruhe gegen das Berliner Ladengesetz.

Helmut Kerscher

Der Prozess um das Berliner Ladenöffnungsgesetz hat vor dem Bundesverfassungsgericht stellenweise Züge eines Kulturkampfes angenommen.

Die beiden großen christlichen Kirchen haben die häufigen Sonntagsöffnungen der Geschäfte in Berlin als Verstoß gegen das Grundgesetz angegriffen. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vertraten der evangelische Bischof Wolfgang Huber (links) und der katholische Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky ihre Klagen. (Foto: Foto: dpa)

Während die evangelische und die katholische Kirche den Schutz des Sonntags ausgehöhlt sehen, verteidigten Politiker und Einzelhändler die seit 2006 geltende Regelung.

Der evangelische Bischof Wolfgang Huber und der katholische Bischof Georg Kardinal Sterzinsky beschworen das Gericht, das Gesetz wegen seiner Auswirkungen auf die Religionsausübung für verfassungswidrig zu erklären. Demgegenüber verneinten die Befürworter eine solche Beeinträchtigung. Sie sprachen sowohl den Kirchen als auch dem Gericht das Recht auf eine Korrektur des Gesetzes ab. Es sei klarer als andere Ländergesetze mit ihren vielen Ausnahmeregelungen. In den Mittelpunkt des Streits rückten die Adventssonntage.

"Großzügigste Ladenöffnungsmöglichkeiten" in Deutschland

Das Berliner Gesetz erlaubt die Öffnung der Läden an allen vier Adventssonntagen von 13 bis 20 Uhr, an vier weiteren Sonn- oder Feiertagen bei Vorliegen eines "öffentlichen Interesses" sowie an zwei zusätzlichen Tagen bei "besonderen Ereignissen" wie Jubiläen oder Straßenfesten. In der Summe kann in Berlin an bis zu zehn Sonn- oder Feiertagen im Jahr eingekauft werden. Damit habe Berlin die "großzügigsten Ladenöffnungsmöglichkeiten" in Deutschland, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier.

Der Erste Senat wird in den nächsten Monaten über die Verfassungsbeschwerden der Kirchen urteilen, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund und von der Gewerkschaft Verdi unterstützt werden. Im Zentrum stehen laut Papier zwei Grundsatzfragen nach den Klagemöglichkeiten der Kirchen zum Sonn- und Feiertagsschutz sowie nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Ladenöffnung. Nach einer vom Grundgesetz übernommenen Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung sind Sonn- und Feiertage "als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung gesetzlich geschützt".

Bischof Huber sah diese Bestimmung sowie das Grundrecht auf gemeinsame Ausübung der Religion als verletzt an. Vor seinen stellenweise scharfen Angriffen auf das Gesetz berief sich Huber auf das biblische Gebot der Sonntagsruhe und auf die Tradition.

Der Sonntag sei für die Christenheit der Tag der Auferstehung und ein wichtiges Element der Lebenskultur. Der Gesetzgeber müsse dieses Verfassungsgut wie früher schützen. Von einer Verletzung des Sonntagsschutzes seien die Kirchen unmittelbar betroffen, weil sowohl die Gottesdienste und andere religiös motivierte Veranstaltungen beschränkt würden als auch das ehrenamtliche Engagement.

Insbesondere die Freigabe der Adventssonntag greife, so Bischof Huber, "in eklatanter und gravierender Weise in den kirchlich geprägten Jahreslauf" ein. Es zeuge von einem "beunruhigenden Mangel an religiöser wie kultureller Achtung", wenn der besondere Charakter der Adventssonntage "mit solcher Gleichgültigkeit" übergangen werde.

Kardinal Sterzinsky widersprach dem Argument, dass das Gesetz die Ladenöffnung erst nach 13 Uhr und damit nach den Hauptgottesdiensten erlaube. Das Grundgesetz kenne keine Abstufungen, sagte er. Sterzinsky verwies auf eine Gemeinsame Erklärung der beiden großen Kirchen aus dem Jahr 1999 zur Notwendigkeit eines arbeitsfreien Sonntags.

Vor allem Frauen betroffen

Für das Land Berlin erklärten übereinstimmend zwei Politikerinnen, das angegriffene Gesetz habe niemanden im Vergleich zur früher bundeseinheitlichen Regelung schlechter stellen wollen. Der Gesetzgeber habe die große Bedeutung des Sonntags betont, aber auch die Interessen von Kunden und Anbietern berücksichtigt, sagte die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, die SPD-Politikerin Karin Seidel-Kalmutzki. Die zuständige Senatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei verteidigte das Gesetz als Beitrag zur Klarheit und Verlässlichkeit. Sie wies auf die besondere Situation Berlins als Hauptstadt und Stadt mit Bedeutung für den Tourismus hin. Bei der Zahl der Gäste sei Berlin mittlerweile mit Paris und London vergleichbar.

Beide Politikerinnen hielten die Klagen der Kirchen für unzulässig. Ihr Prozessvertreter Philip Kunig schilderte die Bedeutung des Sonntags als eines Erlebnis- und Einkaufstages. Die Leute hätten dabei anders als früher kein schlechtes Gewissen, weil die Bedeutung der Kirchen als Autoritäten für die Lebensführung geschwunden sei. Kunigs Kollege Hufen skizzierte den Rückgang der Kirchenbesuche und meinte, dies liege gewiss nicht an den neuen Ladenöffnungszeiten.

Vertreter des Handels schilderten deren Auswirkungen auf Beschäftigung und Umsatz positiv. Verdi-Vertreter Ulrich Dalibor bestritt dies und beklagte die zunehmende Sonntagsarbeit. Betroffen seien zu etwa 75 Prozent Frauen, viele davon mit Kindern.

© SZ vom 24.06.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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