Einigung über Kredite:Welche Einschnitte den Griechen drohen

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  • Griechenland verhandelt mit seinen Gläubigern noch über "Einzelheiten".
  • Die Regierung in Athen wird vielen ihrer Bürger etwas abverlangen müssen.
  • Tspiras drängt zu einer schnellen Einigung, er hat Angst, dass die Banken in Griechenland kollabieren könnten.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Als Euklid Tsakalotos an diesem Dienstagmorgen aus dem Hotel Hilton in Athen kommt, sieht er müde aus. Müde, aber zuversichtlich. 18 Stunden lang hat der griechische Finanzminister mit den Gläubigern verhandelt, um das zu bekommen, was sein Land dringend braucht: neue Milliardenkredite. Und wie er da so vor dem Hotel steht, den roten Rucksack lässig über der rechten Schulter, sagt er einen Satz, der fast wie eine Erlösung klingt, aber eben nur fast. "Beide Seiten sind sehr nahe an einer Einigung", sagt Tsakalotos. Nur noch Details seien offen, es werde noch verhandelt. Einer seiner Mitarbeiter spricht von "zwei, drei kleineren Einzelheiten", die noch zu klären seien. Aber immerhin, man habe sich auf eine "Grundsatzvereinbarung" geeinigt.

Genau um diese Grundsatzvereinbarung geht es, Bürokraten sagen dazu "Memorandum of Understanding", abgekürzt in drei Buchstaben: MoU. Ist dieses Memorandum formuliert, kann es von den Euro-Partnern beschlossen werden. Doch so weit ist es noch nicht an diesem Dienstagmorgen in Athen. Man müsse sich zum Beispiel noch über die Funktionsweise des geplanten Privatisierungsfonds wie auch den Umgang mit den faulen Krediten in den Bankbilanzen verständigen, sagt der Mitarbeiter von Tsakalotos. Die Fachleute würden nun die Maßnahmen diskutieren, die Athen leisten muss, um schnell eine erste Zahlung aus dem Programm zu erhalten. Wie gesagt, zwei, drei kleinere Details.

Feinheiten, an denen ein Kompromiss scheitern könnte

Kleinere Details? In Berlin steht Jens Spahn im Frühstücksfernsehen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er sagt: "Wir werden das Ergebnis von Athen nun in den nächsten Tagen sorgfältig prüfen." Das klingt so, als könnten die Details noch Bedeutung erlangen.

Vielen griechischen Unternehmen könnte wegen der schwierigen Lage einzelner Großbanken schon bald das Geld ausgehen: Straßenszene in Athen. (Foto: Yorgos Karahalis/AP)

Es ist zwölf Uhr mittags, in Brüssel beginnt das tägliche "Midday Briefing" der EU-Kommission. Die Sprecherin der Behörde hat nichts bekannt zu geben. Also fragen die Journalisten, sie fragen nach Griechenland, sie wollen wissen, was drin steht in diesem MoU. Die Sprecherin sagt, es gebe eine "Grundsatzeinigung auf technischer Ebene". Es seien aber noch Details zu klären. "Was wir derzeit noch nicht haben, ist eine Einigung auf politischer Ebene." EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe am Vorabend mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gesprochen und wolle im Lauf des Tages mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande telefonieren. Alexis Tsipras, der griechische Premier, hatte wiederum mit Merkel, Hollande und Juncker bereits am Montagabend telefoniert. Aus Athen heißt es, die Atmosphäre des Gesprächs mit der Kanzlerin sei "nicht sehr warm" gewesen.

Griechenland steht, mal wieder, vor harten Einschnitten. Bevor die Euro-Partner das Memorandum billigen, muss das Parlament in Athen sogenannte Prior Actions beschließen, das sind Reformen, die vorrangig umgesetzt werden sollen. Aus Verhandlungskreisen heißt es am Nachmittag, die Maßnahmen sollten in mehreren Schritten verabschiedet werden. Ein Teil sofort, ein anderer im Herbst. "Tsipras muss die Reformen vor den spanischen Parlamentswahlen beschließen, die Euro-Partner haben Angst, dass sie ansonsten von den Spaniern erpresst werden könnten", sagt ein EU-Beamter. In Madrid bangt Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy um seine Wiederwahl. Er sagt: "Die EU geht erneut eine hohe Wette ein. Hoffen wir, dass damit ein für alle Mal die Dinge wieder zur Normalität zurückfinden."

Die Regierung in Athen wird vielen ihrer Bürger etwas abverlangen müssen. So sollen die Steuern und Abgaben für Landwirte erhöht werden, die Reeder verlieren Steuerprivilegien. Der Verteidigungshaushalt wird gekürzt, dieses Jahr um 100 Millionen Euro, 2016 um 400 Millionen Euro. Außerdem werden mehr Steuerfahnder eingesetzt und Steuerhinterziehern ist es nicht länger erlaubt, ihre Schulden in Raten abzustottern. Die Abschaffung der Frührente, ein Plan zur Rekapitalisierung angeschlagener Banken und zum Umgang mit faulen Krediten sowie die Liberalisierung des Energiemarktes und Privatisierungen zählen ebenfalls dazu. Ein Streitpunkt ist das geplante Insolvenzgesetz.

Verhandlungskreisen zufolge haben Griechenland und die Gläubiger auch die Haushaltsziele für die kommenden Jahre festgelegt. So soll Athen in diesem Jahr nur noch einen Primärüberschuss - also einen Überschuss vor Abzug des Schuldendienstes - von minus 0,25 Prozent erzielen, 2016 dann 0,5 Prozent und 2017 schließlich 1,75 Prozent. Die Gläubiger würden sich also mit deutlich niedrigeren Zielen zufriedengeben als bislang gefordert. Die Anpassung ist vor allem der Regierung Tsipras geschuldet, die seit ihrem Amtsantritt im Januar einen Absturz der griechischen Wirtschaft geradezu herausforderte - inklusive Bankenschließungen. Die Wirtschaftsleistung dürfte 2015 um mehr als zwei Prozent schrumpfen, heißt es in Athen. Die EU-Kommission war in ihrer Frühjahrsprognose noch von einem Wachstum um die 0,5 Prozent ausgegangen.

SZ-Grafik (Foto: er)

Es hängen viele Schicksale an diesem Memorandum

Bis zum 20. August braucht Athen frisches Geld, um 3,2 Milliarden Euro an die EZB zurückzuzahlen. Ansonsten wäre eine weitere Brückenfinanzierung nötig. Doch Tspiras drängt zu einer schnellen Einigung, er hat Angst, dass die Banken in Griechenland kollabieren könnten. Deshalb fordert er eine Soforthilfe in Höhe von zehn Milliarden Euro für die Institute. Anfang September geben die Banken traditionell sogenannte Refinanzierungskredite an die Unternehmen. So bekommen zum Beispiel die Getreidehändler Geld, um Getreide kaufen und verkaufen zu können. Der Erlös geht direkt zurück an die Bank; aber mindestens eines der vier großen Institute hat nicht genug Kapital für solche Kredite. So manchem Getreidehändler bliebe also nichts anderes übrig als Mitarbeiter zu entlassen, weil er nicht genug Getreide einkaufen könnte. Und so mancher Bäcker hätte dann ebenfalls ein Problem.

Es hängen also viele Schicksale an diesem Memorandum. Wenn es alle Euro-Partner gutheißen, soll das Parlament in Athen am Donnerstag über die Vereinbarung abstimmen. Am Freitag könnten die Euro-Finanzminister darüber beraten. Sollten sie es annehmen, müssten noch einige nationale Parlamente wie der Bundestag dem neuen Hilfsprogramm zustimmen. Bis es so weit ist, muss Euklid Tsakalotos, der Finanzminister mit dem roten Rucksack, noch ein wenig warten.

© SZ vom 12.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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