Ein Jahr nach Insolvenz:Was von Schlecker übrig bleibt

Blau-weiße Schilder über abgeklebten Ladenfenstern, Arbeits- und Mutlosigkeit: Vor einem Jahr meldete die Drogeriekette Schlecker Insolvenz an. Anfangs war noch die Hoffnung, dass manche Läden weiterlaufen könnten. Doch jetzt ist alles zerschlagen. Eine Bilanz in Bildern, ein Jahr nach der ersten Meldung.

10 Bilder

1400 Schlecker-Frauen sind noch auf Jobsuche

Quelle: dpa

1 / 10

Blau-weiße Schilder über abgeklebten Ladenfenstern, Arbeits- und Mutlosigkeit: Vor einem Jahr meldete die Drogeriekette Schlecker Insolvenz an. Anfangs war noch die Hoffnung, dass manche Läden weiterlaufen könnten. Doch jetzt ist alles zerschlagen. Eine Bilanz in Bildern, ein Jahr nach der ersten Meldung. Von Christoph Giesen, Max Hägler, Frank Müller, Thomas Öchsner und Stefan Weber.

Ganz leise kündigte sich die Pleite an: Die Regale waren leer, und Betriebsräte lästerten hinter vorgehaltener Hand über die Strategie des Arbeitgebers. Dennoch kam die Nachricht von der Pleite überraschend, am 20. Januar 2012, einem Freitag, kurz nach 15 Uhr: "Schlecker wird über ein Insolvenzverfahren restrukturiert", stand da, verschickt aus der Zentrale des einst mächtigsten deutschen Drogeriekonzerns. Vom Erhalt der Filialen und Jobs war die Rede. Und davon, dass der Geschäftsbetrieb weiterlaufe. Doch letztlich klappte das alles nicht.

Ex-Schlecker-Mitarbeiter

Quelle: dpa

2 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Die Schlecker-Frauen

Die Schlecker-Frauen

Etwa 25.000 Menschen verloren durch die Pleite ihren Arbeitsplatz. Bis Ende 2012 meldeten sich bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) mehr als 23.400 ehemalige Beschäftigte der Drogeriekette, fast ausschließlich Frauen, die als Verkäuferinnen gearbeitet hatten. Die erste Schlecker-Jahresbilanz der BA zeigt nun: Knapp 9800 haben wieder einen Job. 115 machten sich selbständig. Und etwa 2500 meldeten sich aus anderen Gründen von ihrer Arbeitsagentur oder ihrem Jobcenter ab. Vier von zehn ehemaligen Schlecker-Mitarbeitern sind wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Von "Licht und Schatten" spricht die Gewerkschaft Verdi. Schwer haben es vor allem zwei Gruppen: diejenigen, die nicht mobil sind und nicht in größeren Städten wohnen, wo es für sie neue Jobs geben könnte. Und die Älteren. Aus der umstrittenen Anregung von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Schlecker-Frauen zu Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen umzuschulen, wurde übrigens so gut wie nichts: Anfang Oktober meldete die Bundesagentur, dass gerade einmal 81 Schlecker-Frauen eine mehrjährige Umschulung begonnen haben, wie sie für solche Berufe notwendig ist.

Firmeninsolvenzen richten 2012 hohen Schaden an

Quelle: dpa

3 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Die Arbeitslosen

Die Arbeitslosen

Elf Jahre war Olga Papadopoulou (nicht im Bild) bei Schlecker. Erst stellvertretende Filialleiterin und bald auch Betriebsrätin im Raum Stuttgart. Nach der Insolvenz fuhr sie zu ihren 27 Filialen, kümmerte sich um die verängstigten Kolleginnen. "Es kann jeden treffen", sagte sie damals zum Stellenabbau. Es traf alle. Jetzt sitzt Papadopoulou, eine große, starke Frau mit rotblonden Haaren daheim in Ruit nahe dem Stuttgarter Flughafen und ist resigniert. Die Bewerbungen der 49-Jährigen waren bislang nicht erfolgreich: "Ich bin zu alt." Viele Einzelhändler wollen junge Verkäuferinnen. Gegenüber von ihrer Wohnung sind drei Kolleginnen gerade dabei, eine Schlecker-Filiale in Eigenregie zu übernehmen, vor einigen Tagen haben sie ihr Projekt bei einer Bürgerversammlung präsentiert. Einige Dutzend solcher Projekte gibt es in Deutschland. "Das ist toll", sagt sie, und einkaufen will sie dort auch. Selbst traut sie sich das nicht zu. Sie hofft darauf, dass ihre Bewerbungen Erfolg haben - am 30. April würde sie sonst in Hartz IV fallen. Ihre Wut auf den alten Chef, Anton Schlecker, ist noch da: "Wieso geht er nicht vor die Tür und sagt: Entschuldigung, ich habe Mist gebaut?"

Lars und Meike Schlecker

Quelle: picture alliance / dpa

4 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Lars und Meike Schlecker

Die Familie

Die Pleite von Schlecker bedeutete zugleich auch die Pleite des Gründers Anton Schlecker, der persönlich für sein Drogerie-Reich haftete. Geäußert hat er sich indes nie - stattdessen schickte er seine Kinder Meike und Lars vor. Sie leben ihr Leben mittlerweile wohl vor allem außerhalb von Ehingen, in Berlin und in London. Der alte Arbeitsplatz der Familie, das verspiegelte Bürogebäude mit 34.000 Quadratmetern Fläche, wird gerade über einen Makler zum Verkauf angeboten. Das Privatanwesen im Ort dürfte der Familie erhalten bleiben. Seit Monaten ringt der Insolvenzverwalter mit den Schleckers darum, ob es wie auch andere Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehört oder nicht. Der letzte inoffizielle Stand: Zehn Millionen Euro will die Familie zahlen, um diese Werte auszulösen. Dem Vernehmen nach könnte die Einigung in den kommenden Tagen verkündet werden. Ansonsten wird das wohl ein Gericht klären müssen.

Im Bild: Lars und Meike Schlecker

Jahrespressekonferenz 2012

Quelle: dpa

5 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Martin Zeil

Die Totengräber

Er war der Buhmann, der böse Liberale, an dem die Schlecker-Rettung vermeintlich scheiterte: Ein Jahr danach steht Bayerns FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil im oberbayerischen Kloster Benediktbeuern bei einer Parteiklausur und würde alles noch einmal so machen. "Da war nichts zu retten", sagt Zeil. "Es wäre eine Verlängerung gewesen, auf Kosten des Steuerzahlers." Zeils Veto im bayerischen CSU-FDP-Kabinett hatte den Ausschlag gegeben, dass die Länderbürgschaft für eine Transfergesellschaft nicht zustande kam. Der Ärger von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) über seinen Stellvertreter Zeil war beträchtlich. "Ich würde heute nicht anders entscheiden", sagt Zeil. "Es darf keine Insolvenzen erster und zweiter Klasse geben" - keine Firmenpleiten also, bei denen der Staat nur einspringt, weil sie spektakulärer sind als andere. "Da muss man dann auch stehen, wenn es unangenehm ist." Spuren aber hat der Fall beim Wirtschaftsminister durchaus hinterlassen. Er war zur hartherzigen Symbolfigur geworden, die die Frauen von Schlecker aus ordnungspolitischen Gründen auf die Straße schickt: "Ich hatte ja manchmal das Gefühl, ich hätte Schlecker selbst in den Ruin getrieben", sagt Zeil. Er hat sich dann mindestens einmal monatlich berichten lassen, wie es den Mitarbeiterinnen weiter erging. "Es ist nicht so, dass wir blind und kalt durch die Welt gehen."

Schlecker Zentrale Ehingen

Quelle: dpa

6 / 10

Die Staatsanwälte

Die Razzia war spektakulär: 170 Staatsanwälte und Polizisten durchsuchten im vergangenen Juli Wohnungen und Geschäftsräume der Familie Schlecker. Der Verdacht: Untreue, Bankrott und Insolvenzverschleppung. Es habe "seit Langem und immer wieder Vermögensverschiebungen gegeben", beschrieb die oft sehr energisch arbeitende Staatsanwaltschaft Stuttgart den zentralen Vorwurf. Womöglich seien dadurch Gläubiger geschädigt worden - die bis zu eine Milliarde Euro von Schlecker fordern. Ob sich der Verdacht erhärtet oder das Verfahren eingestellt wird, ist völlig unklar. Bislang gibt es keinen Zwischenstand, und auch Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz meinte zuletzt, dass bislang "nichts Wesentliches" gefunden worden sei.

Im Bild: Schlecker-Zentrale nahe Ehingen

Arndt Geiwitz

Quelle: dpa

7 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Der Insolvenzverwalter

Der Insolvenzverwalter

Schlecker, das bedeutete Stress nicht nur für die Angestellten, sondern auch für den Insolvenzverwalter. Bis zu 100 Stunden pro Woche rackerte Arndt Geiwitz, und im ersten ausführlichen Resümee seit der Abwicklung gestand er jüngst im SZ-Gespräch: "Ich habe schlaflose Nächte gehabt wie nie zuvor in meinem Leben." Immer wieder habe er gegrübelt, ob es nicht doch eine Chance geben könnte - auch wegen der immer wieder aufkeimenden Kritik aus dem Arbeitnehmerlager. Doch das Image war zu beschädigt, die Lieferanten zu verunsichert, sodass er selbst für die ertragreichen deutschen Filialen keinen Käufer mehr fand. Auch ein letzter Flug im Sommer nach New York zu einem möglichen Investor blieb erfolglos. Der Beschluss zur Stilllegung Anfang Juni nach all den Fernsehauftritten, Verhandlungen, Berechnungen: beinahe "befreiend". Das Team, das sich um den Fall kümmert, ist nun kleiner geworden; 45 waren damit beschäftigt. Aber die Arbeit ist noch nicht zu Ende: Personalabrechnungen sind noch zu machen, die veräußerten spanischen Filialen müssen überführt werden, die Lagerstätten sind zu verkaufen. Es wird noch viele Monate dauern, bis der Verwalter die Akte Schlecker in den Schrank stellen kann - und die Schlussabrechnung ans Amtsgericht schickt. 15 Millionen Euro Honorar könnten am Ende auflaufen.

Treffen der Schlecker-Gläubiger

Quelle: dpa

8 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Die Läden

Die Läden

Peter Felbermeier (CSU) ist der Bürgermeister von Haimhausen, einer 5000-Einwohner-Gemeinde nördlich von München. Vor einem Jahr, als bekannt wurde, dass der lokale Schlecker-Markt schließen sollte, verfasste er einen Brief an Arndt Geiwitz. Er bat den Insolvenzverwalter "dringlich darum, bei der Schlecker-Filiale Haimhausen noch keine vollendeten Tatsachen zu schaffen". Schlecker in Haimhausen sei profitabel und die nächste Drogerie fünf Kilometer entfernt. Viel zu weit für viele der Kunden aus dem neuen Seniorenheim, ein paar Meter weiter die Hauptstraße runter. "Es hat nichts genützt", sagt Felbermeier. "Wir haben ein Standardschreiben bekommen, mehr nicht." Der Laden steht inzwischen leer. Viel Hoffnung, dass eine Drogerie einziehen wird, hat er nicht. Der kleiner Edeka-Markt im Ort habe sein Sortiment etwas erweitert, "aber das ersetzt unseren Schlecker natürlich nicht". Ein Bild, das sich in vielen kleinen Orten Deutschlands bietet: blau-weiße Schriftzüge über leeren Läden.

Rossmann Drogeriemarkt

Quelle: dpa

9 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Die Konkurrenten

Die Konkurrenten

Um die ehemaligen Schlecker-Kunden als Kunden zu gewinnen, legen sich die Konkurrenten mächtig ins Zeug. Wann sonst sind mehrere Milliarden Euro Umsatz neu zu verteilen? Auch wenn es keiner so offen sagt: Das Aus von Schlecker war ein Glücksfall für DM, Rossmann und Müller, die drei verbliebenen Drogerieketten. Aber auch für Supermärkte und Discounter, die ebenfalls Shampoos und Duschgel verkaufen. DM und Rossmann verbuchten im Jahr der Schlecker-Pleite in Deutschland Umsatzzuwächse von 14 beziehungsweise 16 Prozent. Die Gesellschaft für Konsumforschung erwartet, dass sich die Schlecker-Umsätze letztlich nach der Formel 40-40-20 verteilen werden: 40 Prozent der Kunden wandern zu den anderen Drogisten ab, 40 Prozent zu Supermärkten und Fachhändlern wie Apotheken und Parfümerien und 20 Prozent zu Discountern. Die Konsumenten profitieren von dem Kampf: Alle Anbieter halten die Preise niedrig, um Kunden zu locken.

Investor Penta rudert bei Schlecker zurueck

Quelle: dapd

10 / 10

Ein Jahr nach Insolvenz:Der Investor

Der Investor

Wenige Monate ist es her, da interessierte sich auf einmal ein Mann für Schlecker, den niemand kannte bislang: der Österreicher Rudolf Haberleitner. Unternehmenssanierer nennt er sich, verspricht Anlegern seines Private-Equity-Fonds "TAP 09" 20 Prozent Rendite und will ein europäisches Nahversorger-Netz unter dem Phantasienamen "Dayli" aufbauen: "3000 Filialen in 20 Ländern, von Süddeutschland bis Ex-Jugoslawien. Ich will den ganzen Balkan, so schaut's aus." In Deutschland will er mehr als 500 alte Filialen anmieten und 3000 Stellen schaffen. Manche, die sein Umfeld kennen, warnen vor einem "seltsamen Auftreten"; so versuchten Mitarbeiter, sich ohne Gegenleistung existierende Listen der lukrativsten Schlecker-Filialen zu besorgen. Auch der Blick nach Österreich kann nachdenklich machen: Dort hat Haberleitner bereits mehrere Hundert Schlecker-Filialen übernommen. Doch außer neuen Logos hat sich wenig getan: Oft sind die Regale leer, und mitunter tragen die Verkäuferinnen noch ihren alten Schlecker-Kittel.

© SZ vom 19.01.2013/soli
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: