Ex-Vorstand der BayernLB Kemmer:Die nächste Aussage, bitte!

Ex-BayernLB-Vorstände sollen Schadenersatz leisten

Michael Kemmer 2009 bei der Sitzung der BayernLB-Kontrollkommission im Bayerischen Landtag.

(Foto: dpa)

Ein Cheflobbyist wird wahrscheinlich Dauergast vor Gerichten - Michael Kemmer, einst Vorstandschef der BayernLB, wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Vielleicht denkt er sich: Ich hab' schon Schlimmeres erlebt.

Von Cathrin Kahlweit, Wien, und Andrea Rexer, Berlin

Michael Kemmer überragt schon von Natur aus die meisten Menschen, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) ist ein auffällig großer, schlanker Mann, er misst zwei Meter. An diesem Morgen jedoch, bei seiner Zeugenvernehmung vor dem Handelsgericht Wien, wirkt er auch sonst sehr überlegen - so, als sei er nicht nur körperlich der Größte unter den vielen eifrigen Juristen, die ihn in dem stickigen Dachzimmer des Unabhängigen Finanzsenats umringen, in dem das Gericht ausnahmsweise tagt.

Kemmer muss in diesem Jahr wahrscheinlich öfters vor Gericht erscheinen. Nach dem Zeugen-Termin in Wien zeichnet sich ein Strafprozess in München ab, mit dem heutigen BdB-Mann als einem von acht Angeklagten. Kemmer saß im Vorstand der BayernLB, als dieser einen ebenso spektakulären wie teuren Coup einfädelte. Die Übernahme der Hypo Alpe Adria Bank aus Kärnten. Später wurde er Vorstandschef, musste aber nach kurzer Zeit zurücktreten, als die österreichische Tochterbank zwangsverstaatlicht wurde und klar geworden war, dass die Bayern sich bei dem Bankengeschäft in Österreich kräftig verhoben hatten.

An diesem sonnigen Morgen im Frühjahr 2013 nun, fast vier Jahre später, wird der Prozess fortgesetzt, in dem die BayernLB gegen die MAPS, die Mitarbeiterstiftung der österreichischen Bank, klagt. Es geht um den Vorwurf der Bayern, sie seien arglistig getäuscht worden über die Eigenkapitalausstattung der Bank. Diese hätten sie nämlich, so die Argumentation, womöglich nie gekauft, wenn sie denn um die wahre Situation gewusst hätten.

"Ich bin pragmatisch, nicht emotional"

Ziemlich viel hätte, wäre, könnte - und so ist auch das ganze Verfahren vor allem ein juristischer Kleinkrieg. Und ein zeitraubender dazu. Von der Vorstellung, dass die Aussage in Wien vielleicht eine Viertelstunde dauern könnte, muss sich Kemmer schnell verabschieden. Drei Stunden nimmt ihn die Richterin in die Mangel. Dass ihn dies überrascht hat, gibt er später zu. Aber Ärger? So etwas zeigt er nicht nach außen. "Ich bin pragmatisch, nicht emotional", sagt er.

Diese Einstellung wird ihm helfen, denn mit der Justiz hat der Banker inzwischen öfter zu tun. An diesem Dienstag wird, nach einem halben Jahr Pause, in München die Verhandlung in einem delikaten Fall fortgesetzt: Die Bayerische Landesbank will von früheren Vorständen Schadensersatz. Die Bank hofft, so zumindest einen Teil des Verlusts wieder in die Kassen zurückspülen zu können, der ihrer Ansicht nach durch Fehlentscheidungen eigener Manager verursacht wurde. Das Desasterer bei der österreichischen Hypo Alpe Adria kostete die BayernLB 3,7 Milliarden Euro.

Dieses Verfahren dürfte nur ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was Kemmer nach der Sommerpause erwarten könnte. Die Anklage der Münchner Staatsanwaltschaft gegen acht frühere Vorstandsmitglieder der BayernLB liegt schon seit zwei Jahren vor. Ihnen wird Untreue vorgeworfen, weil die Münchner Landesbank die Hypo Alpe Adria möglicherweise zu einem überhöhten Preis gekauft hat. Jetzt zeichnet sich ab, dass im Herbst der Prozess beginnen wird. Und das dürfte Kemmer dann richtig Zeit kosten: Zwei bis drei Tage pro Woche würde der Bankenlobbyist in München auf der Anklagebank sitzen.

Planungen, wer in dieser Zeit für Kemmer im Bankenverband einspringen soll, wenn dringende Termine anstehen, gibt es nicht. Das Führungsgremium der Finanzlobby arbeite ohnehin arbeitsteilig, heißt es im BdB. Schließlich könne Kemmer ja auch von München aus vieles per E-Mail erledigen. Über Inhalte spricht er nicht, das haben ihm seine Anwälte verboten. Es komme bei den Richtern nicht so gut an, wenn man mit der Presse plaudere, sagt er, und verzieht das Gesicht zu einem hilflosen Lächeln. Man merkt ihm an, dass es ihn nervt, wenn ihn die Vergangenheit einholt. Als Bayer würde er dazu vielleicht sagen "das stinkt mir", aber er schweigt.

Kleinkrieg der Nebenkläger

Im Vergleich zu seinen damaligen Kollegen steht Kemmer heute gut da: Er ist der Einzige aus der Runde, der eine öffentlich wahrnehmbare Funktion hat. Er tritt in Talkshows auf, gibt Interviews, wird bei Politikern vorstellig. Bislang führte Kemmer den Verband Seite an Seite mit HSBC-Trinkaus-Chef Andreas Schmitz, im April hat Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen den Posten als Chef des Bankenverbandes übernommen. Mittlerweile hat sich Kemmer auch mit Berlin angefreundet, wenn auch zögerlich. Seinen zweiten Wohnsitz in München hat er nicht aufgegeben, man weiß ja nie.

Schließlich war ja auch sein Gang nach Berlin nicht gerade eine geplante Karrierestation. Die süddeutsche Sprachfärbung hat er nie verloren, das will er auch nicht. Er ist zwar einer, der sich anpassen kann, aber verrenken will er sich nicht. "Ich sitze nicht auf dem Schoß der Politik", sagt er, wenn die Sprache auf die Lobbyarbeit kommt. Er sehe sich mehr als Vermittler, wenn es auf der Arbeitsebene klemme. Etwa, wenn die Politik an einem Trennbankensystem festhält, obwohl der Bankenverband strikt dagegen ist. Dann mischt er sich ein.

"Lobbyisten und Banker stehen in der öffentlichen Meinung nicht gerade hoch im Kurs. Ich bin beides. Und mich reizt die Aufgabe", sagt er. Selbst wenn ihm wütende Reaktionen auf seine Äußerungen zu Ohren kommen, sucht er darin das Positive: Das zeige immerhin, dass der Verband gehört werde.

Dabei ist es gerade die Tatsache, dass er selbst einmal Banker war, die ihm bei seinem neuen Job hilft. Das unterscheidet ihn von anderen Lobbyisten. Die Politiker schätzen es, dass Kemmer weiß, wovon er spricht. An den Vorwürfen der Staatsan-waltschaft stößt sich im politischen Berlin kaum jemand - auch wenn der ein oder andere verwundert war, dass BdB den Bayern zum Geschäftsführer gemacht hat, als die Ermittlungen schon bekannt waren. Doch der Verband nahm Kemmer damals in Schutz.

Die pragmatische Einstellung vieler Politiker klingt etwa so: "Die werden schon genau abgeklopft haben, ob man Kemmer etwas nachweisen kann." Den anstehenden Prozess in München stempeln einige sogar als Aktionismus der Justiz ab, bei dem sowieso nichts herauskommen werde. Öffentlich sagen würden sie das freilich nicht.

Wer darf wen unterbrechen?

Auch in Wien ist das Ergebnis der Befragung eher bescheiden. Kemmer ist umringt von Anwälten der BayernLB und der Hypo Alpe Adria, von Nebenklägern, und die liefern sich einen bisweilen so absurden Kleinkrieg, dass der Banker lange Zeit fast gar nichts sagen muss. Wer darf wann befragen? Wer darf wen unterbrechen? Hat Richterin Charlotte Schillhammer, die wiederholt um Fassung ringt, die Aussagen der Zeugen richtig zusammengefasst, oder sollte man das, was sie eilig in ein kleines Diktafon spricht, nicht doch noch mal in Details anders formulieren?

Kemmer schweigt, lehnt sich zurück, schaut und wundert sich womöglich. Zu strategischen Überlegungen aus seiner Zeit als Vorstandschef der BayernLB mag er nichts sagen, den Großteil der Fragen hält er für hypothetisch, und überhaupt fühlt er sich seiner Sache überaus sicher und selbstbewusst in seinen spröden, eher vagen Antworten.

Vielleicht denkt er sich dabei: Ich hab' schon Schlimmeres erlebt. Die Krisenzeit bei der BayernLB habe ihn gefestigt, turbulente Situationen meistere er heute viel gelassener, sagt Kemmer über sich selbst. "Ich habe bei jeder beruflichen Station etwas gelernt, im operativen Bankgeschäft vielleicht am meisten. Gerade in Krisenphasen lernt man viel. Vielleicht zählt ein Jahr in einer Krisenzeit mehr, so wie Hundejahre. Da zählt ja auch ein Jahr für sieben", sagt Kemmer. Und meistens war es früher schlimmer.

Die Zeit, als er immer gehetzt war, ist für Kemmer jedenfalls vorbei. Regelmäßig joggt er, wenn er in Berlin ist, am Ufer der Spree zum Reichstag und zurück zu seiner Wohnung. Wie viele Kilometer das sind, darüber macht er sich keine Gedanken. Ehrgeiz, das war gestern.

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