Edmund Phelps:"Ohne den Staat würde der Kapitalismus kollabieren"

Nobelpreisträger Edmund Phelps über perverse Banken, populistische Krisenpolitik und die "vergessene Kunst" der alten Handelsbanken.

Catherine Hoffmann

Edmund Phelps, 76, ist erschöpft. Er kämpft mit dem Jetlag an diesem kalten Winterabend. Der Wirtschaftsprofessor der Columbia University in New York, der für seine Beschäftigung mit dem Phänomen der Arbeitslosigkeit 2006 den Nobelpreis bekam, ist ein gefragter Mann. Gemeinsam mit seiner Frau Viviana eilt er von Konferenz zu Konferenz. Die Krise hat auch die Überzeugungen des großen US-Ökonomen ins Wanken gebracht, der Kritikern oft als marktradikal galt.

Edmund Phelps: US-Ökonom Edmund Phelps: "Der Markt war schrecklich überfüllt mit Banken weltweit."

US-Ökonom Edmund Phelps: "Der Markt war schrecklich überfüllt mit Banken weltweit."

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Phelps, mal ehrlich: Haben Sie die Finanzkrise kommen sehen?

Phelps: Ich habe schon erkannt, dass die amerikanische Wirtschaft zu stark auf das Wachstum im Immobiliensektor vertraut hat. Aber wie das alles zusammenhängt, habe ich nicht gesehen. Die Banken waren so besessen davon, den Amerikanern Häuser zu finanzieren, dass sie zu viel Geld verliehen haben und verletzlich waren, als die Immobilienpreise kollabierten. Mir war auch nicht bewusst, wie sehr viele Unternehmen nur noch auf kurzfristige Gewinne aus sind. Das ist schlimm.

SZ: Wie erklären Sie heute, dass es beinahe zum Zusammenbruch der globalen Finanzwelt kam?

Phelps: Der Grund, warum die Banken so verrückt viel Geld mit einem so hohen Risiko verliehen haben, war, dass es so viele Banken gab, der Markt war schrecklich überfüllt mit Banken weltweit. Weil die Konkurrenz so groß war, haben die Geldhäuser mit ihren gewöhnlichen Geschäften wenig verdient. Um zu überleben, entschieden sich die Banken, nach höheren Renditen zu streben, indem sie viel größere Risiken eingegangen sind. Das funktionierte zunächst hervorragend. Die Bankmanager sagten sich: Was für eine blendende Idee! Und sie fuhren ein noch größeres Risiko. Als der Tag kam, an dem Alan Greenspan die Zinsen erhöhte, machten sie plötzlich Riesenverluste - und die Krise war da.

SZ: Die Banker waren zu gierig?

Phelps: Der Finanzsektor hat sich in den vergangenen 15 Jahren immer mehr auf den Eigenhandel konzentriert, auf Fusionen und Übernahmen, die Finanzierung von Hedgefonds und so weiter. Vor der Krise war das Wertpapiergeschäft auf eigene Rechnung eine der wichtigsten Ertragsquellen von großen Banken. Das war profitabler als ihr altes Bankgeschäft, nämlich Unternehmen Geld zu leihen.

SZ: Was heißt das für die Zukunft?

Phelps: Die Perversion des Finanzsektors ist ein entscheidender Grund dafür, dass die Wirtschaft in Zukunft weniger innovativ sein wird. Der Finanzsektor dient nicht mehr den Unternehmen, so wie er es jahrzehntelang getan hat. Das ist wohl offenkundig. Die großen Firmen können überleben, indem sie Unternehmensanleihen herausgeben. Aber dieser Weg steht kleinen Betrieben nicht offen. Sie haben große Schwierigkeiten, an Geld zu kommen. Die Venture-Capital-Industrie ist beinahe verschwunden, Risikokapital ist knapp, es gibt kaum noch Börsengänge junger Unternehmen. All das schadet der Innovation. Weniger Innovation wird in den kommenden Jahren für geringeres Wachstum und höhere Arbeitslosigkeit sorgen.

SZ: Wie lässt sich das Problem lösen?

Phelps: Ich schlage vor, dass die Regierungen eine neue Spielart von Banken einrichten, die sich der vergessenen Kunst der Finanzierung von innovativen Unternehmen widmen. Die alten Handelsbanken, die es vor mehr als hundert Jahren gab, beherrschten diese Fähigkeit sehr gut. Institute wie die Deutsche Bank, die 1870 gegründet wurde, haben damals der Industrie jede Menge Geld geliehen, und das sehr früh, als die Industrialisierung Deutschlands ihren Lauf nahm.

SZ: Und was wollen Sie gegen die "Perversion" der bestehenden Banken tun?

Phelps: Das ist eine große Frage. (Pause.) Ich glaube nicht, dass die Geschäftsbanken, die von kleinen Privat- und Geschäftsleuten Spareinlagen nehmen, mit diesem Geld auf riskante Finanzwerte wetten sollten. Wir sollten den Banken verbieten, die Einlagen für solche Spekulationen zu verwenden. Und wir sollten sehr hohe Kapitalanforderungen an diese Geldhäuser stellen, damit sie faktisch öffentliche Versorgungsbetriebe werden. Dadurch entstünde allerdings eine Lücke in der Kreditvergabe, die könnten die neuen Finanzdienstleister schließen.

"Überlasst das privaten Unternehmen!"

SZ: Was halten Sie von einer Strafsteuer auf Boni, wie sie die Londoner City gerade erregt?

Phelps: Das ist eine symbolische Debatte. Eine fette Steuer auf Boni signalisiert den Banken, dass der Gesellschaft ihre Geschäfte missfallen. Ich glaube aber nicht, dass eine solche Bonussteuer ernsthaft hilft, die Banken besser zu regulieren. Es glaubt doch niemand, dass die Spekulation austrocknet, nur wegen einer 50-Prozent-Steuer. Sie ist nur eine Möglichkeit, Verdruss, Verbitterung, Unzufriedenheit mit solchen Geschäften auszudrücken.

SZ: In Europa ist zudem die Idee einer Finanzmarktsteuer populär, auch als Tobin-Steuer bekannt. Würde das helfen?

Phelps: Bis vor kurzem waren sich Ökonomen noch einig, dass eine Tobin-Steuer Unsinn ist. Aber offenkundig haben Gordon Brown, Nicolas Sarkozy und Angela Merkel noch nie etwas von dieser übereinstimmenden Meinung gehört. Wer die Banken davon abhalten will, erneut ihre Zahlungsfähigkeit und die eines ganzen Landes aufs Spiel zu setzen, sorgt besser dafür, dass die Finanzinstitute auf jeden Dollar kurzfristiger Kredite eine kleine Steuer zahlen. Geschäftsbanken könnten zu ihrem Kerngeschäft zurückkehren und selbst überhaupt keine Kredite mehr aufnehmen. Es mangelt nicht an vernünftigen Vorschlägen. Doch trotz aller schöner Versprechen haben die G-20-Länder bisher kein einziges Vorhaben umgesetzt.

SZ: Die Regierungen haben erst mal versucht zu retten, was zu retten ist: Banken und die Konjunktur. Sind die staatlichen Hilfen sinnvoll?

Phelps: Das ist schon begrüßenswert. Allerdings bremsen die Eingriffe der Politiker den Strukturwandel. US-Präsident Barack Obama beispielsweise will mit Infrastrukturprogrammen und steuerlichen Anreizen für die ökologische Sanierung von Häusern den Arbeitsmarkt beleben. Nun mögen neue Schulen und Brücken ja gesellschaftlich wünschenswert sein. Aber: Solche Infrastrukturprogramme halten Beschäftigte in den Branchen fest, die wenig zu tun haben mit der Zukunft, aber viel mit der Vergangenheit. Das verlangsamt beispielsweise die Wanderung überschüssiger Mitarbeiter aus der Bauindustrie in wachsende Wirtschaftszweige.

SZ: Was ist daran verkehrt, Hausbesitzer zum Energiesparen zu ermuntern?

Phelps: Es gibt auch noch die Idee des amerikanischen Energieministers Steven Chur. Er will Autos, Straßen und Häuser weiß anmalen, um die Erderwärmung zu bekämpfen. Nun, irgendjemand erzählte mir: Schwarze Farbe hilft auch. Vielleicht nicht dem Klima, aber der Konjunktur. Ich weiß, dass es zwecklos ist, dagegen zu opponieren. Ich muss aber sagen, dass ich mich unwohl fühle, wenn die Regierungs-Ökonomen davon träumen, die ganze Wirtschaft mit einer Reihe grüner Projekte zu beflügeln. Die Regierung besitzt keine magischen Kräfte, mit denen sie den Privatsektor stimulieren kann, Neues zu entwickeln. Das ist ein fadenscheiniges Argument, um den Staatssektor auszuweiten. Ich sage: Überlasst das privaten Unternehmen!

SZ: Gerade haben Sie noch staatliche Eingriffe befürwortet, jetzt reden Sie dem Markt das Wort.

Phelps: Ich bin kein Marktradikaler. Ich liebe den Kapitalismus nicht, weil er null Steuern bedeutet und null Staat. Tatsächlich würde der Kapitalismus sogar kollabieren ohne den Staat. Aber ich hasse es, diese fadenscheinigen Argumente zu hören, warum der öffentliche Sektor größer werden muss. John Maynard Keynes übrigens empfahl der Regierung nicht nur, Arbeiter in der Krise Löcher buddeln zu lassen, er riet auch, sie danach wieder aufzufüllen. Vielleicht dachte er ja, dass die Löcher eine schlechte Idee sind. Denn was auch immer eine Regierung macht, es hat unangenehme Nebenwirkungen. Deshalb könnte es vielleicht gut sein, wenn die Politiker hinterher versuchen, ihre Spuren zu verwischen.

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