Ecclestone-Prozess:Zahlt der Täter genug Geld, ist die Sache aus der Welt

Das Strafverfahren wird kommerzialisiert: Formel-1-Chef Bernie Ecclestone zahlt 100 Millionen Dollar, das Münchner Landgericht stellt den Prozess gegen ihn ein. Mit Recht hat das wenig zu tun. Der Deal führt zu einem Vertrauensverlust in die Justiz.

Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt einen neuen Rechtsgrundsatz, es gibt ein neues Prinzip im Strafverfahren. Es lautet so: Zahlt ein Täter genug Geld, ist die Sache aus der Welt. Im Verfahren Ecclestone ist dieser neue Grundsatz, den man besser nicht Rechtsgrundsatz nennt, soeben praktiziert worden. Und weil es sich um ein spektakuläres Verfahren handelt mit einer spektakulär hohen Geldzahlung, wird sich das neue Prinzip im Rechtsbewusstsein schnell einprägen. Im Rechtsbewusstsein? Nein. Was sich hier einprägt hat mit Recht wenig zu tun.

Der Hundert-Millionen-Deal ist ein Exempel für die Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Strafverfahrens. Auf der Strecke bleibt der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Wahrheitsermittlung - ohne dass irgendjemand etwas dagegen tun kann. Gegen diese Art der Verfahrenserledigung ist kein Kraut gewachsen: Es gibt keine Rechtsbehelfe, es gibt keine Kontrollinstanz. Es gibt für diese Art der Einstellung nicht einmal juristische Regeln, es gibt keine Maßstäbe. Die im Gesetz formulierten Voraussetzungen haben mit Juristerei wenig, eigentlich gar nichts mehr zu tun. Das haben die Verfahrensbeteiligten im Verfahren Ecclestone mit Chuzpe genutzt.

Dieser Einstellungs-Deal beeinträchtigt das öffentliche Ansehen der Strafjustiz. Er führt zu einem gewaltigen Vertrauensverlust. Die damalige Generalbundesanwältin Monika Harms hat das vor einigen Jahren in einer furiosen Kritik der gesetzlichen Regelung des Deals in der Strafprozessordnung prophezeit. Diese Prophezeihung ist eingetreten. Die Einstellung im Ecclestone-Verfahren übertrifft die Befürchtungen.

Der Ecclestone-Deal dehnt die Dealerei in einer Weise aus, die die gesetzgeberischen Intentionen weit hinter sich lässt. Das Bild, das der Gesetzgeber vor Augen hatte, sah so aus: Der Angeklagte legt ein Geständnis oder ein Teilgeständnis ab, für das man ihm dann eine milde Strafe zusagt. So sollte die Überlastung der Strafjustiz beendet, so sollten die Strafverfahren beschleunigt werden. Im Ecclestone-Verfahren geht der Deal bedeutend weiter: Ecclestone gesteht gar nichts, er zahlt nur sehr viel Geld - dafür aber wird das Verfahren komplett eingestellt nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung.

Vor 500 Jahren hieß der Deal noch Ablasshandel

Es ist dies der Paragraf, mit dem viele heikle Verfahren erledigt werden; seinerzeit wurde zum Beispiel das Strafverfahren gegen Helmut Kohl gegen eine Zahlung von 300 000 Mark auf diese Weise eingestellt. Ursprünglich konzipiert wurde diese Vorschrift der Einstellung gegen Geldauflage für Massendelikte von geringer Schuld. Beim Gros der Verfahren, die nach dieser Vorschrift eingestellt werden, handelt es sich immer noch um Alltagsdelikte; ein paar Hunderttausend Verfahren jährlich werden auf diese Weise eingestellt. Es gibt allerdings schon lange die Tendenz, immer mehr sehr aufwändige, langwierige und heikle Verfahren nach dieser Methode vom Tisch zu kriegen - zumal seit im Jahr 1993 ein "Rechtspflegevereinfachungsgesetz" den Anwendungsbereich sehr erweitert hat; bis dahin war die Einstellung nur "bei geringer Schuld" möglich. Jetzt heißt es, dass "die Schwere der Schuld" nicht entgegenstehen darf. Aber das kümmert die Strafjustiz, wie das Verfahren Ecclestone zeigt, wenig.

Die Einstellung gegen Geldauflage wird zur Universalmethode, Prozesse, die aus irgendwelchen Gründen unliebsam sind, schnell und für die Staatskasse lukrativ zu erledigen. Früher hieß der Deal Ablasshandel. Damals praktizierte ihn die katholische Kirche. Das war vor fünfhundert Jahren. Die Sache funktionierte ökonomisch wunderbar, aber es zerbrach daran der Glaube an die Kirche. Der Justiz wird es ähnlich gehen. Die Ecclestonisierung des Strafrechts muss daher beendet werden.

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