Eberhard Sasse im Gespräch:"Ich putze, solange ich lebe"

Die Krux mit dem schlechten Image: Gebäudereiniger Eberhard Sasse über die Kultur des Saubermachens - und warum das Putzen Spaß macht.

Elisabeth Dostert und Sibylle Haas

Das Gespräch hat kaum begonnen, da meldet sich schon das Handy von Eberhard Sasse. Ein Horn bläst: "Auf zur Jagd", sein Klingelton. Sasse ist passionierter Jäger und Familienunternehmer. Ein echter, seine Frau, eine Medizinerin, ist in der Firma für die Personalentwicklung zuständig. Sein Geld verdient Sasse mit Putzen und Schrauben. Aber das hört er nicht so gerne. Lieber redet er vom Facility Management, denn Putzen hat in Deutschland ein schlechtes Image. Seine Töchter hält das nicht davon ab, seine Nachfolge antreten zu wollen. Mit dem Vater teilen Laura und Clara auch die Liebe zur Jagd.

SZ: Herr Sasse, willkommen in der Redaktion. Ist hier ordentlich geputzt?

Eberhard Sasse: Schon. Mein erster Eindruck: Der Raum ist reinlich. An der Bauausführung wurde ein wenig gespart. Der Teppicheinsatz, zum Beispiel, der ist schnell ausgeschnitten und eingelegt, aber es wurde keine ordentliche Einfasskante gemacht. Die würde ja Geld kosten.

SZ: Wir merken, Sie gucken in die Ecken. Macht Putzen Spaß?

Sasse: Ja, es kann Spaß machen. Und Putzen ist ein Kulturgut.

SZ: Wir dachten, eine Dienstleistung.

Sasse: . . . aber eine auf hohem Niveau. Das Reinigen der Behausung ist eine menschheitsalte Kulturtechnik. Puto dum vivo, sagte man im alten Rom: Ich putze, solange ich lebe.

SZ: Wer putzt bei Ihnen zu Hause?

Sasse: Ich lasse putzen, aber nicht von der Firma Sasse, sondern von einem örtlichen Betrieb. Der kümmert sich auch um den Garten und repariert, was so anfällt.

SZ: Müssen Ihre Töchter auch ran?

Sasse: Laura, meine Älteste, und Clara haben schon als Kinder gelernt, ihre Sachen in Ordnung zu halten. Da gibt es eine nette Geschichte.

SZ: Erzählen Sie.

Sasse: Um eine Organisation zu leiten, muss man wissen, wie man mit Menschen umgeht und was die Menschen machen. Das erfährt man am besten vor Ort.

SZ: Ist das die Geschichte?

Sasse: Nein, die kommt jetzt. Laura macht regelmäßig parallel zum Studium Praktika. Zuletzt am Münchner Flughafen. Da reinigte sie die Toiletten. Das war eine gigantische Erfahrung.

SZ: Was ist so gigantisch daran, fremde Toiletten zu schrubben?

Sasse: Das Haupterlebnis für Laura war der Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen. Aber es war nicht ganz einfach, da hinzukommen.

SZ: Wieso, Sie sind doch der Chef?

Sasse: Unser Leiter am Flughafen dachte erst, meine Tochter wolle im Büro arbeiten. Dann sollte sie in der Eingangshalle die Papierkörbe leeren. Aber Laura wollte dorthin, wo es richtig hart zugeht. Es hat eine Weile gedauert, bis sie den Job bekommen hat, weil meine Leute dachten, sie könnten das meiner Tochter nicht zumuten.

SZ: Wussten die Kollegen in der Putzkolonne, dass die Neue Ihre Tochter ist?

Sasse: Das ließ sich nicht lange verheimlichen. Aber es war toll. Meine Tochter war beeindruckt von der Gemeinschaft, in die sie aufgenommen wurde. Die haben zusammen Brotzeit gemacht und sich über die Familie unterhalten. Was ich sagen will: Wenn man Dienstleistung bietet und mit vielen Menschen zu tun hat, ist das etwas anderes, als wenn man in einer Fabrik am Fließband steht.

SZ: Was ist denn so anders?

Sasse: Menschen sind für mich kein Produktionsfaktor. Ich muss aus ihnen ein Team formen, das trotz der schwierigen Bedingungen sagt: Hier arbeiten wir gerne. Das klingt nach Zuckerguss. Aber wenn die Atmosphäre nicht stimmt, stimmt auch die Leistung nicht. Wer Menschen nur als Arbeitsmasse betrachtet, ist bei uns fehl am Platz. Jeder meiner Mitarbeiter arbeitet unter schwierigen Bedingungen - sowohl vom Umfeld, von der sozialen Akzeptanz her als auch von der Bezahlung.

Keine Angst vorm schlechten Image

SZ: Putzen hat ein schlechtes Image. Welche Erfahrungen hat denn Ihre Tochter mit den Kunden gemacht?

Sasse: Manche Zeitgenossen spielen sich schon ziemlich auf. Auf der Toilette kann man wunderbar menschliches Verhalten studieren.

SZ: Macht Ihnen das schlechte Image nicht zu schaffen?

Sasse: Ich empfinde das nicht so. Ich bin doch Teil des Systems. Einfache Arbeiten sind in Deutschland nun mal nicht hoch angesehen und werden nur gering bezahlt, dabei ist jeder auf solche Arbeiten angewiesen. Irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass die Toiletten nicht verwahrlosen, die Fensterscheiben nicht verdrecken und die Türen nicht klemmen. Wir machen unsere Arbeit ordentlich, und viele Firmen schätzen das.

SZ: Und wo ist das nicht der Fall?

Sasse: Ich nenne keine Namen. Wie die Stimmung ist, merkt man schon beim ersten Besuch. Wer geknechtet wird, knechtet auch andere. Und nach vier Jahren ist der nächste Billigheimer dran.

SZ: Sie sprechen von schlechter Bezahlung. Aber es gibt Mindestlöhne.

Sasse: Selbst bei einem Mindestlohn von 8,40 Euro bleibt, wenn der deutsche Staat mit seinen Sozialversicherungen drübergegangen ist, nicht viel. Es ist in Deutschland ein Tabu, darüber zu reden, weshalb Niedriglöhner Sozialabgaben zahlen müssen. Anschließend werden die Leute dann wieder subventioniert, weil der Nettolohn so niedrig ist, dass er über Hartz IV aufgestockt werden muss. Das ist wie mit den Räubern im Wald. Sie rauben den Wanderer aus, und wenn er aus dem Wald herauskommt, wird er notdürftig von einem Samariter versorgt.

SZ: Und der Staat ist Räuber und Samariter zugleich?

Sasse: Sieht so aus. 8,40 Euro ist wirklich eine Untergrenze. Davon kann ich in einer Stadt wie München nicht leben. Bundesweit ist er okay, setzt aber eine ganz bescheidene Lebensführung voraus. Da ist Hartz IV der unmittelbare Konkurrent. Ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die für uns in der Poststelle einer Firma arbeiten oder im technischen Service. Die müssen zeitig raus, pünktlich, zuverlässig und korrekt sein. Es ist heute nicht mehr das Problem, dass die Kaffeekasse geklaut wird, schlimmer ist es, wenn Daten gestohlen werden. Das passiert alles nicht. Die Quote der Verfehlungen ist denkbar gering. Ich bin für Löhne, die das Risiko der Notkriminalität ausschließen.

SZ: Der Mindestlohn schützt auf der einen Seite Ihre Beschäftigten, aber auf der anderen Seite auch Sie vor der billigen Konkurrenz aus Osteuropa?

Sasse: Ich bin auf solchen Schutz gar nicht angewiesen. Aber es gibt kritische Regionen und Fälle, in denen 5-Euro-Kräfte buchstäblich verheizt werden. Die sozialen Folgekosten sind enorm. Sie wiegen weit schwerer als der Nutzen, auf diese Weise vorübergehend ein paar Euros wegsparen zu können. Für mich sind Mindestlöhne eine Frage der Vernunft und - so pathetisch das auch klingt - des Respekts vor den Mitarbeitern.

SZ: Inwiefern?

Sasse: Meine Mitarbeiter sollen, wenn sie den ganzen Tag gearbeitet haben, nicht noch Stütze holen müssen. Wenn ich das Gefühl bekomme, meine Arbeit ist so wenig wert, dass ich meine Familie nicht davon ernähren kann, nagt das am Selbstwertgefühl. Das führt zu einem gesellschaftlichen Ungleichgewicht. Wenn ich eine gute Leistung erbringen will, müssen die Bedingungen stimmen. Das geht nicht, wenn ich mir ständig existentielle Sorgen machen muss.

SZ: Heißt das, die Mindestlöhne sollten eigentlich noch höher sein?

Sasse: Na ja. Ich bin kein Revoluzzer. Das Leben besteht nun mal aus Kompromissen. Aber ganz sicher wäre ein höherer Mindestlohn vernünftiger. Leider ist das politisch bei uns nur sehr schwer durchzusetzen. Da hilft es derzeit wenig, wenn man auf die Mindestlohnregelungen unserer Nachbarn zeigt oder auf die Tatsache, dass in anderen Ländern die Abgaben auf den niedrigen Stundenlohn deutlich geringer sind.

SZ: Gibt es Branchen, die wegen der Krise die Preise besonders stark drücken?

Sasse: Die Autoindustrie beispielsweise muss man derzeit preislich begleiten.

Alles eine Frage der Bodenhaftung

SZ: Gibt es Branchen, auf die Sie ganz verzichten, weil Sie nicht zu den verlangten Preisen liefern können?

Sasse: Baumärkte und Discounter stehen nicht auf unserer Wunschliste.

SZ: Haben Ihre Ertragsmargen denn unter der Krise gelitten?

Sasse: Nein, wir sind es seit Jahren gewöhnt, mit vier Prozent vor Steuern auszukommen.

SZ: Dann müssen Sie in diesem Jahr nicht auf Gehalt verzichten?

Sasse: Nein.

SZ: Wie viel verdienen Sie als Vorstandsvorsitzender?

Sasse: 300.000 Euro, mehr würde ich einem fremden Dritten auch nicht zahlen.

SZ: Der fremde Dritte bekommt aber keine Ausschüttung.

Sasse: Mit dem Gehalt ist meine Arbeitskraft abgegolten. Die Ausschüttung an die Familie honoriert das unternehmerische Risiko. Wir sind Eigentümer mit allen Konsequenzen. Je weiter sich die Firma entwickelt, desto höher das Risiko.

SZ: Und wie wird das Risiko entlohnt?

Sasse: Die unternehmerische Risikoprämie sind vor Steuern vier Prozent, davon geht die Hälfte an die Solidargemeinschaft . . .

SZ: . . . in Form von Steuern.

Sasse: Vom Gewinn nach Steuern bleiben zwei Drittel im Betrieb, der Rest wird ausgeschüttet. In den ersten Jahren gab es gar keine Dividende für die Familie. Das zeichnet doch den Eigentümer-Unternehmer aus, dass er erst einmal Kapital ansammelt, um neue Märkte zu erschließen, für Risiken vorzusorgen.

SZ: Sie leisten sich eine Jagd, leben im Wohlstand. Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre Töchter die Bodenhaftung nicht verlieren?

Sasse: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Das ist für uns kein Thema. Laura ist 20 und studiert schon. Clara ist 17 und besucht eine Public School in England. Die stehen früh auf, die ackern bis abends, lernen mit Freude. Da wird nicht gejammert. Die sind gut drauf, obwohl die Gebäude jedes Klischee eines englischen Internats bedienen. Very british!

SZ: Was heißt das?

Sasse: Was den Sportsmann nicht umbringt, macht ihn hart. Die sind untergebracht wie in einer Kaserne. Die Heizung ist lauwarm, da muss man schon mal zum Schlafen den Mantel anziehen. Durch die Fenster zieht es, da hilft dann Pappe. Da steckt Strategie dahinter. Die Internate statten die Zimmer ja nicht so aus, weil sie es nicht besser könnten. Die Kinder sollen sehen: So kann es im Leben zugehen. Bodenhaftung garantiert.

SZ: Jeder Teenager hat seine rebellische Phase. Haben Ihre Kinder Ihnen mal vorgeworfen, dass Sie Ihre Mitarbeiter ausbeuten oder gefragt, Papa, in welcher Branche arbeitest du denn?

Sasse: Die stellen die Frage nicht so. Die wollten schon früh wissen, in welcher Branche denn die Eltern arbeiten. Meine Töchter kennen sich in der Firma aus. Mit jungen Mitarbeitern machen wir einmal im Jahr eine Reise, drei, vier Tage, da sind die beiden häufig dabei und meine Frau Christine, die bei uns für die Personalentwicklung zuständig ist.

SZ: Wohin ging es letztes Jahr?

Sasse: Wir haben eine Radtour durch die Toskana gemacht. Um den Anstieg nach Montalcino zu schaffen, bedarf es einer besonderen Atemtechnik. Ein Kollege war nicht so gut drauf, ein anderer, gut durchtrainiert, war ganz schnell oben. Und dann war da noch ein Mann, der mir bisher gar nicht aufgefallen war, der war richtig gut drauf. Wenn der gesehen hat, dass jemand zurückfällt, ist er zurückgefahren, um ihn zu coachen, anzuspornen, Tipps zu geben.

SZ: Ist er schon befördert?

Sasse: Ja, der hat jetzt einen größeren Bereich. Auf solchen Reisen lernt man, wer Führungstalent hat. Es gibt doch Leute, die erzählen einem ständig, wie toll sie sind. Die strahlen immer. Gute Leute sind eher etwas spröder.

Am 28. August 1951 wird Eberhard Sasse in Berlin geboren. Er studiert Jura und Politikwissenschaften in München und schließt mit Promotion ab. Sasse gründet 1976 sein eigenes Unternehmen. Er beginnt mit der Gebäudereinigung und baut die Firma weiter aus. Seit 1995 ist die Dr. Sasse AG als Komplettanbieter von Facility Management am Markt. Sie bietet Dienstleistungen rund um das Gebäude an, von der Reinigung bis zur Gebäudeverwaltung. Das Unternehmen expandiert ins Ausland. Es setzt mit 4200 Beschäftigten 130 Millionen Euro im Jahr um.

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