e-Commerce:Die Online-Strategie

Weltweit wächst der Internet-Handel. Doch für einen Online-Shop brauchen mittelständische Unternehmen Geld und Geduld.

Von Marcel Grzanna

Beim Blick auf die digitale Konkurrenz kann einem mittelständischen Händler schon einmal angst und bange werden. Was sich da im Internet an klangvollen Namen tummelt, die dem eigenen Geschäft Paroli bieten, wirkt auf manchen entmutigend. Große Modeketten oder Versandhäuser aus aller Welt sind der eigenen Stammkundschaft seit der Erfindung des Onlineshoppings näher als man selbst. Weshalb sollte man überhaupt noch in den E-Commerce einsteigen, wenn der Kuchen sowieso schon verteilt ist und das eigene Investitionskapital begrenzt? Geld und viel Zeit für die Digitalisierung des Vertriebs zu riskieren, scheint unter solchen Umständen ein hochriskantes Unterfangen zu sein. Zumal auch das Tempo, in dem sich der E-Commerce global entwickelt eine Nummer zu groß erscheint für jedes Traditionsgeschäft aus den deutschen Innenstädten.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit gibt vor allem China den Takt an. Das McKinsey Global Institute bezifferte Anfang April den Marktanteil der chinesischen Anbieter auf 42 Prozent des weltweiten E-Commerce. Vor zehn Jahren lag China bei nur einem Prozent und war ein bedeutungsloser Nebenschauplatz. Doch seitdem Smartphones die Möglichkeit eröffnen, bequem seine Rechnungen zu begleichen, generieren chinesische Branchenriesen unter ihren Widersachern im Rest der Welt zum Teil süß-saure Gesichter. Vor allem wenn ein Stammkunde wegbleibt, weil der beim virtuellen Chinesen zu finden glaubt, was er sucht. "Der chinesische Markt hat sehr starke lokale Anbieter, die auch nach Europa drängen. Das ist ein hoher Wettbewerbsdruck", sagt Michael Kliger, Vorstandschef von Mytheresa.com, einem Onlineshop für Damen-Luxusmode, der einst als Serviceplattform für die Kundinnen des Münchner Damen-Traditionsgeschäfts Theresa ins Leben gerufen wurde. Mit dem Vertriebsbeginn im Netz stellte sich die Firma frühzeitig den wachsenden globalen Herausforderungen. Mit Erfolg. Die Reichweite ist seitdem förmlich explodiert. Heute beschäftigt Mytheresa.com 400 Mitarbeiter und liefert in 120 Länder mit einem Jahresumsatz von 245 Millionen Euro.

Experten raten, den Schritt ins Netz zu wagen

"Der Handel verändert sich. Er findet auf einer viel größeren Skala statt. Newsletter und Videos in sozialen Medien sind heute neue Mittel zur Ansprache an die Kunden", sagt Kliger. Was 2006 das Kerngeschäft nur flankierte, um Kundinnen beizeiten auch einmal auf deren Wohnzimmercouch zu bedienen, transportiert heute das Profil der Marke in alle Welt. Mit einem Onlineshop auf Mandarin und einem Bezahlservice über lokale Anbieter wie Alipay baut Mytheresa.com sein Geschäft auch in der Volksrepublik kontinuierlich aus. Als europäischer Vertreiber genießen die Münchner im Reich der Mitte eine gute Reputation, weil die großen Namen der Luxusmode-Industrie oft aus Europa stammen. Wachstumsziele definiert die Marke mit seinen zwei Säulen, die 2014 gemeinsam an die amerikanische Neiman Marcus Group für 150 Millionen Euro (plus einer erfolgsabhängigen Prämie in Höhe von 55 Millionen Euro) verkauft wurden, nur noch über den digitalen Vertrieb. Dennoch sieht Vorstandschef Kliger im klassischen Handel mehr als ein nostalgisches Überbleibsel. Denn trotz der Explosion der Onlinesparte beträgt ihr Anteil nur rund zehn Prozent an den Umsätzen der globalen Luxusmodeindustrie. Studien gehen davon aus, dass ihr Anteil in den kommenden fünf bis sieben Jahren auf 30 Prozent klettern wird. Das böte immer noch ausreichend Raum für die klassischen Ladengeschäfte. "Unter diesen Umständen glaube ich fest an die Relevanz und Zukunft des traditionellen Handels", sagt Kliger.

Aber glaubt der traditionelle Handel auch geschlossen an den Onlinevertrieb? Olaf Marticke ist Berater für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), unter anderem mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Er rät Händlern unbedingt zum Schritt ins Netz, je nach Budget in ganz kleinen Schritten. Doch es kommt vor, dass Marticke auf Kunden trifft, die gleich wieder abwinken, wenn sie hören, wie viel Aufwand und Kreativität ein funktionierendes Onlinegeschäft erfordern. "Da kann es schon einmal sein, dass Leute sagen, 'Dann mache ich lieber gar nichts'", sagt er.

Denn die Umsetzung erfordert Entschlossenheit und Geduld. Mitentscheidend für den Erfolg im Netz sei "die richtige Erwartungshaltung, was die Umsätze angeht", so der Berater. Es sei ein Irrglaube, dass man aus dem Stegreif 20 Prozent seines Gesamtumsatzes aus dem Onlinevertrieb generieren könne. Zumal sich einige Komponenten der verschiedenen Verkaufskanäle unterscheiden. "Was analog funktioniert, muss nicht zwingend auch digital funktionieren."

In der Praxis heißt das: Nicht jede ausgelieferte Bestellung wird tatsächlich auch angenommen. Die Menge an Retourware ist wesentlich höher als beim persönlichen Einkauf, weil viele Kunden erst nach Erhalt der Sendung bemerken, dass ein Produkt doch nicht ihren Erwartungen entspricht. Die Rückabwicklung des Kaufes ist gesetzlich geregelt, mögliche Schäden oder Abnutzungserscheinungen meistens inbegriffen. Hinzu kommen neue Anforderungen in Sachen Werbung und Kundenkontakt über soziale Medien. All das kostet die Unternehmen bares Geld und manchmal viel Nerven.

Auch die Mitarbeiter des Händlers müssen sich an Veränderungen gewöhnen. Für Techniker und Büroangestellte sind neue Arbeitszeiten nicht ausgeschlossen, um den Service für die Kunden sicherzustellen. "Online-Kunden erwarten für die Beratung und den Kontakt umfangreichere Zeitfenster als Kunden vor Ort", heißt es bei E-Business-Lotse Münster, Teil der Förderinitiative "E-Kompetenz-Netzwerk für Unternehmen". Ob das immer widerstandslos abläuft, hängt auch von der Kommunikationskompetenz der Führungsetage ab. Wo das misslingt, drohen Reibungen zwischen Unternehmern und Angestellten. Ein denkbar schlechter Start für den Onlinevertrieb.

Auch der traditionelle Handel kann so gestärkt werden

Viele Mittelständler trauen dem Braten deshalb nicht. In einer aktuellen Studie der Projektgruppe Digitalisierung des Bundesverbandes "Die KMU-Berater" bewerten zwar die Hälfte aller Befragten die Digitalisierung als positive Herausforderung. Gleichzeitig sieht jeder Dritte sie jedoch als Bedrohung. Dennoch empfiehlt Berater Marticke jedem Unternehmer, ganz gleich, welcher Größe, Schritt für Schritt seine Präsenz und sein Angebot im Internet auszubauen. "Das Onlinegeschäft kann das langfristige Überleben eines Handels sicherstellen. Wer darauf verzichtet, bringt sein Unternehmen früher oder später in eine bedrohliche Lage", glaubt er. Auch Marticke ist überzeugt davon, dass der klassische Verkaufsstandort durch die Ausweitung des Vertriebs im Internet gestärkt werden kann. "Es geht für Händler darum, ihren Kunden nicht nur ein Produkt zu verkaufen sondern dazu noch eine Welt, die ihr Produkt umgibt. Das Internet und der E-Commerce können dabei helfen, diese Welt zu entwickeln", sagt er.

Manche Firmen sind sogar in der Lage, nur durch ihre Onlinepräsenz solche Welten zu kreieren. Bestes Beispiel ist der chinesische Smartphone-Hersteller Xiaomi, der allein durch seinen Internetvertrieb binnen weniger Jahre zu einem der größten Herausforderer der Branchenführer Apple und Samsung heranwuchs. Erst Ende vergangenen Jahres eröffnete Xiaomi in China seinen ersten physischen Verkaufspunkt außerhalb des Netzes - sieben Jahre nach Gründung des Unternehmens. Man wollte dem Kunden unbedingt die Möglichkeit geben, die eigenen Produkte durch Ausprobieren und Anfassen kennenzulernen.

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