Dubiose Millionendeals:Nachspiel bei Beate Uhse

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Der größte deutsche Sexkonzern: Ein 'Beate Uhse'-Shop in Hamburg im Jahr 2006. (Foto: dpa/dpaweb)

Schillernde Investoren und ein großzügiger Sparkassen-Chef: Nicht nur die Umstände beim Niedergang des Erotikkonzerns Beate Uhse sind bizarr, sogar der Kronzeuge ist zweifelhaft - bloß das Verfahren kommt nicht in Gang.

Von Uwe Ritzer

Es ist ein angenehmer Frühlingstag im Mai 2009, als Tillmann Sperber sein Testament macht. Im Schweizer Kanton St. Gallen diktiert er einem Rechtsanwalt und Notar seinen letzten Willen. Er legt den Ablauf seiner Trauerfeier fest. Er verfügt, was auf seinem Grabstein stehen soll: "Life is short - Party now". Er bestimmt, wer seine Comic-Hefte und "Lilibiggs Murmelspiel" erhalten soll. Vor allem aber vererbt Sperber, damals 39, ein riesiges Vermögen aus Immobilien, Firmenanteilen, Wertpapieren und Oldtimern, "welche ich noch erwerben werde".

Sperber, Buchhalter von Beruf, vererbt, was er nicht hat. Ein Vermögen, das er sich nur erträumt. Wie ernst zu nehmen, wie glaubwürdig ist ein Mensch, der sich so bizarr verhält?

Diese Frage wird das Landgericht Kiel intensiv beschäftigen, sollte es irgendwann über die Anklage der örtlichen Staatsanwaltschaft mit dem Aktenzeichen 590 Js 56454/08 verhandeln. Sie liegt seit fast zweieinhalb Jahren vor, doch das Verfahren kommt nicht in Gang. Angesichts der Umstände und der Beteiligten wäre es ein spektakulärer Wirtschaftsprozess. Es geht um den Niedergang des größten deutschen Sexkonzerns Beate Uhse.

Angeklagt sind sechs Personen, darunter Beate Uhses Sohn

Angeklagt sind zwei ehemalige Vorstände der Sparkasse Flensburg und vier schillernde Geschäftsleute, darunter der Sohn von Firmengründerin Beate Uhse. Mit einem raffinierten Konstrukt aus Strohfirmen und Millionentransfers sollen sie versucht haben, den Kurs der Beate-Uhse-Aktie zu manipulieren - und damit die Sparkasse Flensburg an den Rand des Ruins getrieben haben. Ausgerechnet der seltsame Tillmann Sperber, der in Wirklichkeit anders heißt, ist der Kronzeuge der Anklage.

Es ist der frühe Abend des 5. August 2011, als Richard Orthmann mit einer Lufthansa-Maschine aus Los Angeles in München landet. Mit seinem Sohn hat er dort ein Golfturnier gespielt; jetzt möchte Orthmann weiter in sein Haus nach Steinach am Schweizer Ufer des Bodensees. Doch kaum ist das Flugzeug gelandet, wird er verhaftet. Am nächsten Tag wird er über Kiel ins Untersuchungsgefängnis nach Neumünster verfrachtet. Denn für die Ermittler ist er das Gehirn hinter den dubiosen Transaktionen.

Freunde nennen Orthmann, 60, "Richie Rich", in Anlehnung an eine ebenso reiche wie lustige amerikanische Comicfigur. Der reale Richard Orthmann ist ein Aufsteiger: In Flensburg geboren, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, die Mittlere Reife auf der Abendschule nachgeholt, Steuerfachgehilfe, Steuerberater mit eigener Kanzlei und 150 Mitarbeitern. Ein fleißiger Spezialist für Steuersparmodelle mit Immobilien, mit denen Orthmann nach der Wende in Ostdeutschland ein Vermögen verdient. 1991 wird er Steuerberater der Firma Beate Uhse. Acht Jahre später hilft er mit, das Flensburger Erotikunternehmen an die Börse zu bringen.

Am Anfang reißen sich die Anleger um die Aktien, auf denen sich knapp bekleidete Models räkeln. Am dritten Handelstag wird das Papier mit 28,20 Euro gehandelt, etwa dem Vierfachen des Ausgabepreises. Nie mehr wird die Beate Uhse AG wertvoller sein als an diesem 31. Mai 1999: Gut eine Milliarde Euro. Die meisten Anteile hält Ulrich Rotermund, 64, Sohn der Firmengründerin Beate Uhse und Geschäftspartner von Richard Orthmann, der seinerseits kräftig gezeichnet hat.

Im selben Jahr zieht Orthmann samt Familie in die Schweiz. In Steinach hat er unmittelbar am Bodenseeufer eine alte Villa gekauft und restauriert, ein mondänes Anwesen, das einst einer Schweizer-Industriellen-Dynastie gehörte. Von hier und von seinen Häusern in den USA und auf Sylt aus lenkt Orthmann eine Firmengruppe, die hauptsächlich im Immobilien- und Beteiligungsgeschäft aktiv ist. Eine Firma hilft deutschen Steuerflüchtlingen beim Umzug in die Schweiz.

Auch Rotermund, 64, zieht dorthin, nach Meggen am Vierwaldstätter See. Heute lebt er weitgehend in den USA. Ihre Anteile an Beate Uhse halten beide hauptsächlich über Schweizer und Liechtensteiner Gesellschaften. 2001 wird Orthmann Aufsichtsratsvorsitzender bei Beate Uhse.

Das Internet kommt, der Aktienkurs sinkt

Die notwendigen Kredite für ihre vielfältigen Geschäfte erhalten die beiden vor allem von der Sparkasse Flensburg. Fahnder finden später heraus, dass beide dort im Jahr 2000 persönlich und mit ihren Firmen angeblich mit 240 Millionen Euro in der Kreide standen. Zum Jahreswechsel 2004/2005 sollen es noch gut 100 Millionen Euro gewesen sein. Viele dieser Kredite sind mit Beate-Uhse-Aktien gesichert. Das geht gut, solange deren Kurs stimmt. Doch dann beginnt eine rasante Talfahrt.

Vier Jahre nach dem Tod der Firmengründerin Beate Uhse gerät das Unternehmen 2005 in immer größere Turbulenzen. Das Internet kommt auf und damit all die Portale, die verschenken, was Beate Uhse bis dahin teuer verkauft hat: Pornofilme. Auch sonst laufen die Geschäfte schlecht, der Aktienkurs sinkt stetig und schnell.

Ein Problem nicht nur für Orthmann und Rotermund, sondern immer mehr auch für die Flensburger Sparkasse. Denn je wertloser die Aktien werden, desto weniger taugen sie als Sicherheiten für die Millionenkredite. Die Banker drängen auf Nachsicherungen. Es muss etwas geschehen.

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So beginnen im Frühjahr 2005 jene Transaktionen, deretwegen die Staatsanwaltschaft nicht nur Orthmann und Rotermund angeklagt hat, sondern unter anderem auch Frerich Eilts, 64. Seit 1987 bei der Sparkasse Flensburg, ist er seit 1. Juli 2000 deren Vorstandsvorsitzender. "Er hatte große Angst, dass ihm alles um die Ohren fliegt", sagt später der Zeuge Sperber. Denn die Sparkasse hat über Orthmann und Rotermund hinaus so viele Uhse-Aktien in ihren Büchern, dass weitere Kursstürze oder auch ein Verkauf von heute auf morgen ein unkalkulierbares Risiko wären. Ermittler sind sich sicher: Die Sparkasse war in ihrer Existenz bedroht.

Was dann geschieht, beschreiben Ermittler des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein und der Staatsanwaltschaft Kiel so: Es werden eigens die Gesellschaften Indalo, Mojacar und Velez gegründet. Sie kaufen Orthmann/Rotermund Uhse-Aktien im großen Stil ab. Und zwar mit neuen Millionenkrediten der Sparkasse, von Eilts- und einem Ex-Vorstandskollegen angeblich eigenmächtig ausgereicht. Ziel sei es gewesen, den Aktienkurs zu stabilisieren und dem Markt fälschlicherweise zu suggerieren, dass Beate Uhse durchaus noch gefragt sei. Die pure Manipulation.

Denn tatsächlich, so die Fahnder, habe es sich um Strohfirmen gehandelt, meist bestückt mit Orthmann-Leuten. Als die beabsichtigte Wirkung ausbleibt, seien 2006 weitere, ähnliche Deals gelaufen, unter anderem über eine Firma des Schweizer Erotik-Unternehmers Edouard Stöckli, 68, in Fachkreisen "Porno-Edi" genannt.

Doch es hilft alles nichts. Als die Staatsanwaltschaft später Kassensturz macht, ist die Beate-Uhse-Aktie noch 66 Cent wert. Die Flensburger Sparkasse muss 45 Millionen Euro abschreiben. Insgesamt sitzt sie auf 75 Millionen Euro fauler Kredite. Mitte 2008 muss Eilts gehen; wenig später wird die Sparkasse Teil der Nord-Ostsee-Sparkasse (Nospa). "Eine Notfusion", sagen Kritiker.

Im Januar 2012 klagt die Staatsanwaltschaft Eilts und seinen Ex-Vorstandskollegen wegen mehrfacher schwerer Untreue an. Orthmann, Rotermund und zwei anderen Beschuldigten wird unter anderem Beihilfe vorgeworfen. Weder Eilts noch Orthmann wollten sich auf Anfrage äußern. Gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht bestreiten sie vehement alle Vorwürfe. Mehrere Gutachten bestärken sie darin.

Außerdem ist da der merkwürdige Kronzeuge: Tillmann Sperber, der Mann, der seine Träume vererbt. Jahrelang war er Orthmanns wichtigster Mitarbeiter in der Schweiz. Ein absoluter Insider und glaubwürdig, meint die Staatsanwaltschaft, zumal Sperber sich selbst in seinen Aussagen belastet habe. Andererseits schilderte er bei mehreren stundenlangen Vernehmungen auch detailliert Treffen und Gespräche, an denen er definitiv nicht dabei war. Und: Sperber war oder ist noch krank. Er litt zumindest an manischen Depressionen und wurde in Kliniken behandelt.

Ein anderer Zeuge behauptet zudem, Sperber habe angeboten, seine Aussage zurückzuziehen, wenn Orthmann ihm eine Million Euro Schweigegeld bezahle. All dies zu hinterfragen wäre Sache des Kieler Landgerichts. Seit Januar 2012 liegt die 150 Seiten dicke Anklageschrift vor. Doch die Wirtschaftskammer ist überlastet und habe dringlichere Verfahren abzuarbeiten, sagt eine Sprecherin. Niemand weiß, wann der Prozess beginnt. Und dann ist da noch dieser merkwürdige Vergleich.

Seit Januar 2012 liegt die Anklageschrift vor. Doch die Wirtschaftskammer ist überlastet

Die Nospa und Frerich Eilts haben ihn vor wenigen Wochen überraschend geschlossen. Man habe unter alle rechtlichen Streitigkeiten einen Schlussstrich gezogen, erklärten beide Seiten, ohne Details zu nennen. Seither schießen die Spekulationen ins Kraut. Trifft es zu, dass die Sparkasse ihren Ex-Chef Eilts dabei ausdrücklich gegen Untreue-Vorwürfe in Schutz nimmt? Platzt damit der Strafprozess?

Nicht unbedingt. Zivilrecht sei das eine, ob es aber im strafrechtlichen Sinne Untreuedelikte gegeben habe, sei eine andere Frage, sagt die Gerichtssprecherin. Wobei sicher nicht ausgeblendet werden könnte, wenn die potenziell geschädigte Sparkasse sich überhaupt nicht geschädigt sähe.

Vorsichtshalber rüstet sich "Richie Rich" Orthmann dennoch für einen Prozess. "Ein Deal kommt für mich nicht in Frage", sagte er dem Vernehmen nach jüngst im kleinen Kreis. "Ich bin unschuldig und ziehe das voll durch."

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, dass die Sparkasse mit jener in Kiel zur Nord-Ostsee-Sparkasse (Nospa) fusionierte. Das ist so nicht richtig, weil die Nord-Ostsee-Sparkasse nicht in Kiel ansässig ist und zudem schon vorher bestand.

© SZ vom 31.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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