Cum-Ex-Skandal:Banken sollen dubiose Aktiendeals beichten

Cum-Ex-Skandal: Zentrale der Hypo-Vereinsbank in München. Das Finanzinstitut hat ein Geständnis abgelegt und eine millionschwere Strafe bezahlt.

Zentrale der Hypo-Vereinsbank in München. Das Finanzinstitut hat ein Geständnis abgelegt und eine millionschwere Strafe bezahlt.

(Foto: Catherina Hess)
  • Der Skandal um sogenannte Cum-Ex-Geschäfte, bei denen Banken und Fonds sich mehrmals die Kapitalertragsteuer erstatten ließen, erreicht eine neue Dimension.
  • Steuerermittler haben Material über mehr als 100 verdächtige Banken und Fonds aus dem In- und Ausland gesammelt.
  • Wenn betroffene Banken und Fonds sich nicht selbst melden, könnte es bald Durchsuchungen geben.

Von Klaus Ott, Düsseldorf/München

Einer der vielen Steuerfahnder in Deutschland, die dubiose Aktiendeals in Milliardenhöhe zulasten des Fiskus untersuchen, hat für das neue Jahr einen besonders frommen Wunsch. Jene Bank-Manager, die solche Geschäfte gemacht hätten, könnten ja "über Weihnachten zur Besinnung kommen".

Der Ermittler und viele seiner Kollegen hoffen, dass etliche Geldinstitute sich bei den Behörden melden und mutmaßlich kriminelle Deals dieser Art beichten. Das klingt naiv, ist aber ernst zu nehmen. Denn der fromme Wunsch ist auch eine deutliche Drohung.

Wenn die Banken nicht zu den Steuerfahndern kommen, dann kommen eben die Steuerfahnder mit Durchsuchungsbeschlüssen zu den Banken.Die Ermittlungsbehörden, die diesen Deals seit Jahren nachgehen, haben inzwischen Material über mehr als 100 verdächtige Banken und Fonds aus dem In- und Ausland gesammelt.

Der Skandal erreicht eine neue Dimension

Damit erreicht der in Politik und Finanzindustrie lange Zeit unterschätzte Skandal um sogenannte Cum-Ex-Geschäfte eine neue Dimension. Die Banken und die Fonds sollen in großem Stil Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende mit einem einzigen Ziel gehandelt haben: sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf die Dividenden hinterher vom Fiskus auf trickreiche Art und Weise gleich mehrmals erstatten zu lassen.

Ermittelt wird de jure wegen Steuerhinterziehung, de facto wäre es Steuerdiebstahl gewesen. Der Staat soll über Jahre hinweg um insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro erleichtert worden sein. Als erstes Geldinstitut hat die Hypo-Vereinsbank (HVB) ein Geständnis abgelegt und zusammen mit einem Cum-Ex-Geschäftspartner Schäden in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro wiedergutgemacht. Außerdem zahlt die HVB 9,8 Millionen Euro Bußgeld.

Der Fiskus prüft bundesweit bereits diverse Fälle, bei denen Banken und Fonds sich Kapitalertragsteuer in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro offenbar zu Unrecht erstatten lassen wollten oder das Geld sogar erhielten. Jetzt kommen noch mehr neue Fälle hinzu. Das Land Nordrhein-Westfalen hat von einem Insider für fünf Millionen Euro eine CD mit etlichen tausend Datensätzen gekauft.

Im Verlauf des kommenden Jahres ist mit Durchsuchungen zu rechnen

Es ist das bislang ergiebigste Cum-Ex-Material der Ermittler. Um welche Verdächtigen es bei der CD geht, ist mit Ausnahme der früheren WestLB nicht bekannt. Die Datensätze werden von NRW gerade bundesweit an die örtlich zuständigen Steuerfahndungen verteilt, damit diese dann zugreifen können. Im Verlauf des nächsten Jahres ist mit Durchsuchungen zu rechnen. Es sei denn, verdächtige Geldinstitute zeigen ihre Aktiendeals dem Fiskus selbst an.

"Die Steuerfahndungen in Nordrhein-Westfalen und anderen Ländern werden die neuen Indizien konsequent und zügig für ihre Ermittlungen nutzen", sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). "Für die Banken wäre es deshalb höchste Zeit zu handeln." Durch Kooperation mit den Behörden sollten sich die betreffenden Geldinstitute "wenigstens im Nachhinein vom Betrug an der Allgemeinheit verabschieden", fordert der SPD-Politiker. Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, es nicht auf Razzien ankommen zu lassen.

Mit den Steuertricks sollen jedem Bürger 150 Euro gestohlen worden sein

Staatsanwälte aus Köln, Frankfurt und München haben bereits mehrere Banken und Fonds gefilzt und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt, auch im Ausland. Kapitalanlagefonds hatten wohl geglaubt, das Vermögen reicher Leute mit Cum-Ex-Tricks auf Kosten der Staatskasse risikolos vermehren zu können, wenn die Deals über Steueroasen wie Luxemburg und Malta laufen. Das erwies sich als Irrtum. Ermittelt wird bundesweit inzwischen gegen 75 verdächtige Bank-Manager, Fondsbetreiber sowie Rechtsanwälte, die mit fragwürdigen Gutachten die Cum-Ex-Geschäfte absichern sollten.

Bei den Bankern unter diesen Beschuldigten handelt es sich meist um Aktienhändler, Leute aus der mittleren Ebene also. Doch nun erreichen die Verfahren erstmals die Chefetage. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall HVB gegen zwölf Personen, darunter sind auch mehrere Ex-Vorstände der Großbank.

Über diese Manager hat die Hypo-Vereinsbank bei einer internen Untersuchung belastendes Material gefunden und den Behörden überlassen. Weil die HVB selbst aufklärte und umfassend mit gleich mehreren Staatsanwaltschaften kooperierte, die in dieser Causa tätig sind, kommt die Bank mit den in NRW fälligen 9,8 Millionen Euro Bußgeld glimpflich davon.

"Hemmungsloser Griff" in die Staatskasse

Wer dagegen jetzt noch abwartet, bis die Ermittler zugreifen, muss mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen. NRW-Finanzminister Walter-Borjans bezeichnet das HVB-Geständnis als "Durchbruch". Jetzt könnten andere Banken "nicht mehr mauern". Es sei höchste Zeit, dass die Finanzbranche einen "Schlussstrich unter das dunkle Kapital Cum-Ex" ziehe und zugebe, dass der "hemmungslose Griff" in die Staatskasse "dreister Betrug" gewesen sei.

Zahlreiche Cum-Ex-Akteure sehen das anders. Sie berufen sich auf eine erst 2012 geschlossene Gesetzeslücke beim Aktienhandel, die eine mehrmalige Erstattung von Kapitalertragsteuern technisch möglich gemacht hatte. Mehrere Gerichte haben aber Einsprüche von Beschuldigten und Fonds gegen die langwierigen Untersuchungen mit dem Hinweis zurückgewiesen, das sei keine Erlaubnis zur Bereicherung am Fiskus gewesen. Die Steuergesetze würden das verbieten.

Bundesregierung hatte jahrelang gebraucht, um Gesetzeslücke zu schließen

Aufzuklären bleibt noch, warum die Bundesregierung nach ersten konkreten Hinweisen auf Cum-Ex-Deals mit Schäden in Milliardenhöhe für den Fiskus im März 2009 jahrelang gebraucht hatte, um die Gesetzeslücke beim Aktienhandel zu schließen.

Das übernimmt ein Untersuchungsausschuss, den der Bundestag auf Antrag der Grünen und der Linken einsetzt. Initiator ist der Abgeordnete Gerhard Schick von den Grünen. Schick sagt, es gehe ihm nicht um einzelne Minister, sondern um das Versagen staatlicher Institutionen. "Ich will wissen, wie es geschehen konnte, dass der Staat den Betrügern so lange nicht das Handwerk gelegt hat."

Nur wenn die Politik verstehe, wie der Cum-Ex-Skandal möglich geworden sei, könnten Parlament und Regierung solche Steuertricksereien früher und besser bekämpfen, glaubt Schick. Der Untersuchungsausschuss habe zum Ziel, dass sich eine derartige "Abzocke" der Steuerzahler nicht wiederhole. Der Grünen-Abgeordnete schätzt, dass mit den Cum-Tricks jedem Bürger 150 Euro gestohlen worden seien.

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