Griechenland vor der Insolvenz:Wenn Athen wirklich pleitegeht

Die Gefahr ist so groß wie noch nie: Athen bangt um die nächsten Hilfsmilliarden, eine Pleite Griechenlands wird immer wahrscheinlicher. Doch welche Folgen hätte es, wenn das Land zahlungsunfähig ist? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Johannes Aumüller und Lutz Knappmann

Griechenland droht die Pleite. Dieser Satz ist seit Ausbruch der hellenischen Schuldenkrise schon oft geschrieben worden - aber nun könnte es tatsächlich so weit sein. Im September braucht Athen die nächste Tranche aus dem mit der Europäischen Union (EU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarten Hilfspaket. Doch die vereinbarten Ziele bei der Haushaltssanierung hat die griechische Regierung bislang nicht erfüllt.

Griechenland vor der Insolvenz: Während die europäischen Partner die griechische Regierung zu größeren Sparanstrengungen drängen, demonstrieren in Griechenland regelmäßig Zehntausende gegen die Kürzungen.

Während die europäischen Partner die griechische Regierung zu größeren Sparanstrengungen drängen, demonstrieren in Griechenland regelmäßig Zehntausende gegen die Kürzungen.

(Foto: AP)

Deswegen machen sich die Politiker nun vermehrt Gedanken über eine mögliche Pleite. Vize-Kanzler Philipp Rösler (FDP) schließt sie nicht mehr aus, das Bundesfinanzministerium arbeitet bereits an diversen Szenarien.

Am Montag erreichten die Kosten für eine Kreditausfallversicherung (CDS) Griechenlands ein neues Rekordhoch. Für eine Versicherung über zehn Millionen Euro an griechischen Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit waren fast vier Millionen Euro fällig. Das angeschlagene Land kommt damit einer Zahlungsunfähigkeit immer näher. Doch was passiert dann? Kann ein Land überhaupt pleitegehen? Welche Risiken birgt ein Bankrott Griechenlands? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Kann ein Staat überhaupt pleitegehen?

Die kurze und einfache Antwort darauf ist: Nein, ein Staat kann nicht pleitegehen. Anders als in der Wirtschaft gibt es kein Staatsinsolvenzrecht oder ein ähnliches juristisches Instrument, mit dem ein solcher Prozess abgewickelt werden könnte. Allerdings kann es natürlich dazu kommen, dass ein Staat bestimmte Leistungen nicht mehr zahlen kann oder will - seien es die Zahlungen für seine Rentner oder die fälligen Kredite für seine Gläubiger. Dann ist der Staat zumindest faktisch pleite.

Wie könnte eine Staatsinsolvenz aussehen?

"Wir brauchen auch die Möglichkeit einer geordneten Staateninsolvenz", schreibt Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in der Welt. Und schränkt sogleich ein: "Wenn die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen." Davon ist Europa noch weit entfernt. Ein Insolvenzrecht für Staaten gibt es nicht. Bislang kann jedes Land für sich definieren, wann es seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen zu können glaubt. Gedankenspiele einer "geordneten Insolvenz" klingen daher greifbarer als sie sind.

Tatsächlich meinen sie: Griechenland - und gegebenenfalls weitere überschuldete Staaten - sollen nicht unkontrolliert in die Zahlungsunfähigkeit stürzen, sondern im Rahmen eines sorgsam vorbereiteten und von Rettungsmaßnahmen flankierten Prozesses entschuldet werden. Rösler bemüht den Begriff der "Resolvenz", Griechenland soll also in die Zahlungsfähigkeit zurückgeführt werden.

Langfristig skizzieren Politiker und Ökonomen ein Staatsinsolvenzrecht nach dem amerikanischen Vorbild des "Chapter 11". Dieses Insolvenzverfahren stellt ein zahlungsunfähiges Unternehmen für eine Zeit unter Gläubigerschutz. Offene Forderungen können so lange nicht ohne weiteres eingetrieben werden, das Unternehmen bekommt Zeit zur Restrukturierung - und zur Genesung.

In diese Richtung denkt offenbar auch Rösler, wenn er fordert: Zu einem geordneten Insolvenzverfahren müssten "objektive Regeln für die Feststellung der Schuldentragfähigkeit, eine klare Gesundungsperspektive für die betroffene Volkswirtschaft durch das Sanierungsprogramm und beispielsweise automatische Laufzeitverlängerung von Staatsschulden" gehören.

Welche Risiken gäbe es bei einem griechischen Bankrott?

Viele Beobachter denken in diesen Tagen an den September 2008 zurück. Damals kollabierte im Zuge der Finanzkrise die Investmentbank Lehman Brothers - eines jener Geldhäuser, die in die Kategorie "too big to fail" fielen, also als zu groß schienen, um sie tatsächlich untergehen zu lassen. Doch "too big to fail" zählte plötzlich nicht mehr. Die Regierung Bush meinte, ein Exempel statuieren zu können: Sie wollte zeigen, dass sie nicht jede in Not geratene Bank unterstützt und ließ Lehman pleitegehen - ein Ereignis, das wegen der weltweiten Verflechtungen der Finanzindustrie etliche weitere Banken mit nach unten riss und die Krise massiv verschärfte.

Nun befürchten manche, dass sich ein ähnliches Szenario wiederholt. Niemand weiß, was genau passieren würde, wenn Griechenland seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte. Finanziell würde es die Europäische Zentralbank (EZB) massiv treffen, die in den vergangenen Monaten viele griechische Staatsanleihen gekauft hat. Auch etliche Banken - vor allem französische, aber auch deutsche - halten noch griechische Staatsanleihen, obwohl sie von den jüngsten EZB-Aktivitäten profitiert haben.

Austritt, Rauswurf oder etwas anderes?

Doch es droht noch eine weitere Gefahr. Weil die Banken nicht genau wissen, wie die Konkurrenten in Griechenland engagiert sind, würde es wohl zu einem wachsenden Misstrauen unter den Geldhäusern kommen. Der sogenannte Interbankenhandel dürfte austrocknen - und das könnte wie schon vor drei Jahren die Krise massiv beschleunigen.

Wie konnten sich Pleite-Staaten in der Vergangenheit wieder stabilisieren?

In der Geschichte hat es schon etliche Staatsbankrotte gegeben, von England im Jahr 1345 bis Island im Jahr 2008 (ein Überblick siehe hier). Der größte Staatsbankrott der jüngeren Vergangenheit war der von Argentinien vor neun Jahren. Damals kam das südamerikanische Land vor allem mit zwei Entscheidungen aus der Krise: zum einen mit einem umfangreichen Umschuldungsprogramm, bei dem die Gläubiger auf rund 75 Prozent verzichteten, zum anderen mit einer Abwertung der Währung. Die war zuvor an den US-Dollar gekoppelt, was die Exportfähigkeit des Landes massiv beeinträchtigt hatte.

Nun ist im Falle von Griechenland ein Umschuldungsprogramm das geringere Problem. Zu einem gewissen Teil, wenn auch nur zu einem kleinen, sehen ja schon die Brüsseler Beschlüsse aus dem Juli einen solchen Schritt vor. Weitergehende Umschuldungsprogramme sind wohl nur eine Frage der Zeit.

Unmöglich wäre allerdings die Währungsabwertung - zumindest solange Griechenland in der Euro-Zone verbleibt und nicht zu einer eigenen Währung zurückkehrt. Weil viele Ökonomen glauben, dass Griechenland aber genau das bräuchte, um aus seiner wirtschaftlichen Misere zu kommen, plädieren sie für einen Austritt des Landes aus der Euro-Zone.

Kann man einen Staat aus der Euro-Zone werfen?

Bisher nicht. Denn gemäß des EU-Vertrages von Lissabon ist eine Mitgliedschaft in der Währungszone "unwiderruflich" - doch die Politiker aus den Ländern mit gesünderen Staatsfinanzen stören sich zunehmend daran.

"Wer sich nicht an die Spielregeln hält, muss aus dem Spiel ausscheiden", sagte der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager vergangene Woche. Die CSU will in ihrem Leitantrag für den Parteitag eine Formulierung verankern, derzufolge Schuldenländer damit rechnen sollten, die Währungsunion verlassen zu müssen. Der stellvertretende CDU-Chef Volker Bouffier sagte dem Spiegel: "Wenn die Spar- und Reformanstrengungen der griechischen Regierung nicht erfolgreich sind, müssen wir uns auch die Frage stellen, ob wir nicht neue Regeln brauchen, die den Austritt eines Euro-Landes aus der Währungsunion ermöglichen."

Wer nun auf den Gedanken kommt, dass Griechenland ja nicht zwingend rausgeworfen werden müsste, sondern auf sanften oder auch etwas härteren Druck hin freiwillig austreten könnte, gerät ebenfalls in juristisch schwieriges Terrain. Denn dass eine Mitgliedschaft in der Euro-Zone "unwiderruflich" ist, bedeutet nach Auffassung der EU-Kommission auch, dass ein Austritt nicht möglich ist.

Die Befürworter einer griechenlandfreien Euro-Zone haben aber neue Hoffnung. Denn das Bundesfinanzministerium rechnet in seinen Planspielen auch einen Austritt des Landes durch. Und warum sollte es das tun, wenn es nicht zumindest eine theoretische Chance dazu sähe?

Was sind im Pleite-Fall die Alternativen zu einem Austritt/Rauswurf?

Offenbar hoffen Europas Politiker, dass der neue, massiv erweiterte europäische Rettungsschirm ausreicht, die Folgen abzufedern. Dieser ist in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs vereinbart, allerdings noch nicht ratifiziert worden. Die Beteiligten drängen allerdings auf eine rasche Umsetzung.

Er müsste etwa Banken finanziell stützen, die durch den Ausfall griechischer Staatsanleihen in ihren Büchern vor dem Kollaps stehen. Falls Anleger nach einer Griechenland-Pleite etwa auch keine spanischen oder italienischen Anleihen mehr kaufen wollen, könnten in bestimmten Fällen bereits im Vorfeld Hilfen ausbezahlt werden: an Banken, die vom Zusammenbruch betroffen sind, aber auch an Euro-Staaten, die sich Rücklagen verschaffen müssen.

Langfristig gibt es noch eine weitere Alternative: die sogenannten Euro-Bonds. Das würde bedeuten, dass die Staaten der Euro-Zone gemeinsame Anleihen herausgeben und somit gemeinsam für die Schulden aller haften. Doch solche Euro-Bonds bräuchten eine längere Vorlaufzeit, weil sie gemäß der derzeitigen Verträge nicht möglich sind.

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