Drogeriekette wird abgewickelt:Schleckers tränenreiches Ende

Der Insolvenzverwalter schleicht sich ins Gebäude, dann verkündet er das Aus für Schlecker. Die Mitarbeiter nehmen es hin. Von mehr als 13.000 wird nur ein kleines Team übrig bleiben - um Schlecker abzuwickeln.

Christoph Giesen, Max Hägler, Frederik Obermaier und Stefan Weber

Die schlechte Nachricht kommt durch die Seitentür. Um 13.23 Uhr schlüpft Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz am Freitag in den Humboldt-Saal der Berliner Urania, er geht zum Rednerpult und sagt dann den versammelten Betriebsrätinnen von Schlecker, dass es vorbei ist. Die Gläubiger sind sich mit keinem Investor einig geworden, Schlecker wird zerschlagen. "Stehend und aufrecht", so erzählen sie es später, haben sie Geiwitz zugehört, mit jedem seiner Sätze, sagen sie, haben sie einsehen müssen, dass sie vergeblich gehofft, vergeblich gekämpft haben.

Während Geiwitz vor die Journalisten tritt, ihnen erklärt, dass es für die Anton Schlecker e.K. "keine Gesamtlösung" geben wird, schleichen die Gewerkschafterinnen an ihm vorbei. "Wir sind Schlecker" war ihr Motto, jetzt sagt eine Frau mit roter Dauerwelle nur noch: "Wir sind Schlecker gewesen." Es ist ein Trauermarsch, der an Geiwitz vorbeizieht. Die Frauen, die ihre Kunden früher mit klecken Witzchen verabschiedet haben, sind sprachlos. Sie wollen nicht reden, sie wollen nicht weinen, am Ende tun sie es trotzdem. Mit Tränen in den Augen liegen sie sich in den Armen, ziehen nervös an ihren Zigaretten, schreiben SMS. Vom Ende eines Unternehmens, ihres Unternehmens, der Anton Schlecker e.K.

Zuletzt waren noch der amerikanische Finanzinvestor Cerberus und Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen im Rennen. Besonders auf Berggruen ruhten die Hoffnungen vieler Mitarbeiter. Am vergangenen Freitag tauchte sein Name zum ersten Mal in der Presse auf. Der deutsch-amerikanische Investor habe dem Insolvenzverwalter ein Kaufangebot unterbreitet, hieß es. Berggruen hatte tatsächlich Mitte Mai wie viele andere Investoren Interesse angemeldet. Am Donnerstagabend sagte er Arndt Geiwitz jedoch ab. Offenbar wollte er nur einen Blick in Schleckers Bücher werfen, um bei einer Abwicklung besser um Unternehmensteile wie das Zentrallager in Ehingen oder den Einkauf mitzubieten.

Abgezeichnet hat sich der Zerfall der Kette schon seit Monaten. Wer im vergangenen Jahr bei Schlecker einkaufte, wunderte sich über viele leere Regale. Was mit technischen Problemen erklärt wurde, war die Reaktion der Lieferanten wegen der unpünktlichen Zahlungen.

Seit Jahrzehnten hat Schlecker von den Zuschüssen der Industrie gelebt. Die freuten sich stets über zunehmende Absatzmöglichkeiten und finanzierten jede neue Filialeröffnung mit ihren Rabatten.

Schlecker kam nicht gegen die Konkurrenz an

Die Drogeriewelt hat sich jedoch geändert: Die Konkurrenz hat in ihren Läden eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen - dagegen kamen die kleinen verwinkelten Schlecker-Filialen nicht mehr an. Dazu sei ein verkrustetes Management gekommen und eine "Wagenburgmentalität" der Familie, sagt Norbert Wieselhuber. Vor zwei Jahren holten die Schleckers den Münchner Unternehmensberater ins Haus. Beratern hatte Anton Schlecker zuvor nie getraut. Damals hätte man noch eine Chance gehabt, sagt Wieselhuber. Doch hätte Schlecker die Wende nicht schnell genug eingeleitet.

Schlecker

Es ist aus: In den 2800 bislang noch verbliebenen Schlecker-Filialen wird bald der Ausverkauf beginnen.

(Foto: Martin Gerten/dpa)

Ende des vergangenen Jahres spitzte sich die Situation zu, als Erste bekamen das die Gewerkschaften mit, als die Geschäftsführung von Schlecker Verdi zum Abschluss eines Sanierungstarifvertrages drängte. Noch während ein Rechnungsprüfer im Auftrag von Verdi Schleckers Bücher begutachtete, meldete Anton Schlecker am 23. Januar Privatinsolvenz an. Da er als eingetragener Kaufmann (e.K.) die Geschäfte geführt hatte, bedeutete seine Privatinsolvenz gleichzeitig die Insolvenz der Kette. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz übernahm.

Anfangs glaubte er noch, mit massiven Stellenstreichungen das Unternehmen retten zu können. Ende Februar sprach er davon, dass die Kündigung von 10 000 Mitarbeitern eine "nachhaltige Überlebensbasis" schaffe. Trotz Stellenstreichungen im März machte Schlecker weiter Verluste. Täglich 100 000 Euro. Die von Geiwitz gemeinsam mit Beratern von McKinsey erdachte Imageänderung - ein frisches "Schlecker 2.0" - zündete nicht. Der Umsatz fehlte, und ein juristisches Risiko kam hinzu: Über 4000 Mitarbeiter reichten Kündigungsschutzklagen ein. "Das ist eine gewaltige Last für einen Arbeitgeber", sagt ein Arbeitsrichter, der mit den Fällen betraut ist. Geiwitz hatte das kommen sehen. Gemeinsam mit der baden-württembergischen Landesregierung hatte er um eine staatsfinanzierte Auffanggesellschaft gekämpft. Die FDP sträubte sich. Die Transfergesellschaft scheiterte.

Ein Dutzend Kameras sind am Freitag in Berlin nun auf Christel Hoffmann gerichtet, doch die Gesamtbetriebsratsvorsitzende blickt ins Leere. "Wie geht es jetzt weiter? - Das ist die Frage, die muss in allererster Linie die Politik beantworten", sagt sie in zittrigem Schwäbisch. Sie ringt um Fassung, knetet ihre Hände. Für die Politiker, die eine Transfergesellschaft verhindert haben, hat sie nur einen Satz übrig: "Für diese Entscheidung der Politik steht nur fehlende Qualifikation, unglaubliche Arroganz und Scheinheiligkeit."

Bei der Schlecker-Tochter "Ihr Platz" kam eine Transfergesellschaft zustande. Die Klagequote lag bei drei Prozent, bei Schlecker klagte fast jeder zweite entlassene Mitarbeiter. "Das haben die Investoren eingepreist", sagt Geiwitz. Nun muss er Schlecker abwickeln.

Für den Insolvenzverwalter war es eine "Mission Impossible"

"Das Mandat war von Anfang an eine ,Mission Impossible'", meint ein Verwalterkollege. Was von Wert ist - Waren, der Fuhrpark, das Logistikzentrum, selbst Telefone oder Faxgeräte - alles wird das Büro des Insolvenzverwalters in den kommenden Tagen zum Verkauf anbieten. Und natürlich geht es auch um verbundene Unternehmensteile: Die Filialen von "Ihr Platz" und Schlecker XL übernimmt nach SZ-Informationen die Münchner Investmentgesellschaft Dubag. Die tschechische und die französische Auslandsgesellschaften sind bereits verkauft.

Bevor die Insolvenzmasse an die Gläubiger verteilt wird, muss jede einzelne Forderung vom Insolvenzverwalter geprüft werden. Die Anzahl der Gläubiger dürfte allerdings überschaubar sein, sagt Christoph Niering. Der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands hält es deshalb für möglich, dass das Verfahren in zwei bis drei Jahren beendet sein wird. Das ist eine vergleichsweise kurze Zeit für einen Fall dieser Größenordnung und Komplexität. In Einzelfällen können Insolvenzen mehr als ein Jahrzehnt dauern.

Bereits wenige Stunden nach der Pressekonferenz in Berlin wird Geiwitz damit begonnen haben, die Kosten zu reduzieren; sein wichtigstes Instrument dabei sind die weitreichenden Sonderkündigungsrechte. Ganz gleich, ob ein Mitarbeiter bereits mehr als 20 Jahre für Schlecker arbeitete oder ein Laden noch für zehn Jahre angemietet ist - Geiwitz kann die Bindung kurzfristig beenden. "In dieser Situation können sämtliche Miet- und Arbeitsverträge mit einer Frist von maximal drei Monaten gekündigt werden", sagt Niering. Es kann aber auch alles sehr viel schneller gehen. Wenn Geiwitz zu dem Schluss kommt, dass die Einnahmen nicht ausreichen, die Ausgaben zu decken, also die Masse, die am Ende an die Gläubiger zu verteilen ist, mit jedem Tag, an dem die Läden geöffnet sind, kleiner wird, "dann kann der Verwalter Masseunzulänglichkeit anzeigen", sagt Rainer Bähr, Fachanwalt für Insolvenzrecht. Bei dieser "Insolvenz in der Insolvenz" kann der Verwalter den Betrieb sofort stilllegen. Die Mitarbeiter sind dann sofort arbeitslos. Das Gleiche gelte für Mietverträge, sagt Niering. Die Läden könne Geiwitz dann ungeräumt an die Eigentümer übergeben.

Die meisten der 13 000 Menschen, die derzeit noch bei Schlecker arbeiten, werden dann arbeitslos sein. Nur ein kleines Team wird Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz bleiben. Die Resteverwerter. Sie müssen die Trauerarbeit leisten und mithelfen, das Unternehmen endgültig abzuwickeln.

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