Drogerie:Schlecker: Eine Familie vor Gericht

Schlecker

Vor fünf Jahren ging die Drogeriekette Schlecker pleite.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Gut fünf Jahre ist die Pleite der Drogeriekette Schlecker her, nun stehen Mitglieder der Gründungsfamilie vor Gericht.
  • Sie sollen vor dem Ende des Firmenimperiums noch Millionen in Sicherheit gebracht haben. In der Anklage sind mehr als 40 Fälle aufgelistet, in denen die Familie gegen Recht und Gesetz verstoßen haben soll.

Von Stefan Mayr und Klaus Ott

Vor gut fünf Jahren, kurz vor der Pleite der Schlecker-Gruppe, soll in der Zentrale der Drogeriemarkt-Kette im schwäbischen Ehingen der Schredder heiß gelaufen sein. Angeblich seien in großem Umfang Unterlagen vernichtet worden, notierte später die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Die Ermittler verdächtigten die Familie Schlecker, vor der Insolvenz der Firma Vermögen in Millionenhöhe verschoben zu haben. Als Zeugen angaben, an zwei Wochenenden im Januar 2012 seien offenbar Papiere kurz und klein geschnitten und beiseite geschafft worden, gingen die Strafverfolger dem nach. Doch in dem Raum, in dem mutmaßlich Dokumente geschreddert worden waren, fanden sich nur leere Ordner. Der Inhalt dieser Akten ließ sich selbst durch eine "kriminaltechnische Untersuchung" nicht mehr rekonstruieren, wie die Staatsanwaltschaft ernüchtert feststellte.

Den Ermittlern blieb nichts anderes übrig, als das Verfahren gegen Anton, seine Frau Christa sowie deren Kinder Lars und Meike Schlecker einzustellen; zumindest in diesem Punkt. In anderer Hinsicht glauben die Strafverfolger, mehr als fündig geworden zu sein. Vor der großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart beginnt am 6. März ein Prozess gegen Anton Schlecker, der vor rund fünf Jahrzehnten als kleiner Kaufmann mit seinen ersten Warenhäusern angefangen hatte und der auf dem Höhepunkt seines Schaffens etwa 14 000 Drogerien und andere Märkte im In- und Ausland betrieb und 50 000 Mitarbeiter beschäftigte - und gegen seine Familie. Sie sollen ihren Konzern illegal ausgenommen haben.

Schlecker, das war ein Stück deutsches Wirtschaftswunder; mit einem ebenso einfachen wie schlichten Erfolgsrezept: große Auswahl, günstige Preise. Deos, Kosmetik, Babynahrung, Arzneien, Putzmittel und anderes mehr. Was der Mensch halt so braucht. Am Ende kamen immer weniger Menschen zu Schlecker. Sie bestellten lieber im Internet oder gingen zur Konkurrenz, die war billiger und schöner eingerichtet. Die Insolvenz am 23. Januar 2012 war die Folge eines jahrelangen Niedergangs, der nun vor Gericht öffentlich aufgearbeitet wird.

Anton Schlecker, 72, ist nach Bankvorständen und Konzernchefs die nächste Wirtschaftsgröße, die auf die Anklagebank kommt; samt Familie sogar. Ausgerechnet er, der biedere schwäbische Kaufmann, das Gegenstück zum einstigen Strahlemann, Yacht-Besitzer und Jetset-Millionär Thomas Middelhoff, soll von Gewinnsucht getrieben gewesen sein. Die Ermittler malen das Bild eines rücksichtslosen Firmenchefs, der angesichts der drohenden Pleite in "sittlich anstößiger" Art und Weise Vermögen in Millionenhöhe beiseite geschafft habe, um sich und seine Familie zu bereichern. Auf Kosten der Belegschaft und der Gläubiger. Anton Schlecker soll sogar, um die Bilanzen 2010 und 2011 zu schönen, jeweils 320 Millionen Euro zu viel Eigenkapital ausgewiesen haben.

So steht es in der Anklage, in der mehr als 40 Fälle aufgelistet sind, in denen die Familie gegen Recht und Gesetz verstoßen habe. Die meisten Vergehen, 39, soll Anton Schlecker begangen haben. Die wenigsten, nur zwei, seine Frau Christa. Die Kinder Lars und Meike liegen dazwischen. Die Vorwürfe reichen von vorsätzlichem Bankrott über Beihilfe hierzu bis zur Insolvenzverschleppung und Veruntreuung von Firmenvermögen. Angeklagt sind auch zwei Wirtschaftsprüfer, die ihre Berichtspflichten verletzt haben sollen.

Der Gründer wollte die drohende Pleite nicht wahrhaben

Ist Anton Schlecker der eiskalte Kapitalist, dem das Schicksal der Beschäftigten egal war? Die meisten Beschäftigten waren Frauen, die nicht gerade gut verdienten und schließlich ihre Arbeitsplätze verloren. Oder gehört der gelernte Metzger eher in die Reihe der gescheiterten Patriarchen, der Grundigs und Kirchs, die eigene Konzerne schufen und wieder verloren? Die nicht spürten, dass ihre Zeit vorüber war?

Zeugen haben Anton Schlecker als einen Firmenchef beschrieben, der alles wusste; der aber nicht wahrhaben wollte, wie schlecht es um sein Drogerie-Imperium stand. Schlecker habe eine "positive" Darstellung der Lage verlangt, berichtete ein früherer Verwaltungsdirektor des Konzerns. Eine Sekretärin der Geschäftsleitung schilderte den Chef als "ein Stück weit beratungsresistent". Arndt Geiwitz, der Insolvenzverwalter aus Neu-Ulm, sagt: "Herrn Schlecker wurde oft genug gesagt, dass sein Geschäftskonzept nicht überlebensfähig ist." Ein Ex-Finanzvorstand sagte aus, Schlecker habe in der Krise gedacht, er finde immer noch Mittel und Wege, die Engpässe zu überbrücken.

Das Protokoll einer Strategiedebatte von Anton, Meike und Lars Schlecker mit zahlreichen Direktoren am 14. Juli 2009 endete mit dem Hinweis: "Es ist 5 vor 12!!!" Der Konzernchef wird in der Niederschrift mit der Aussage zitiert, ein Unternehmen könne nur eine begrenzte Anzahl von Jahren von der Substanz leben. Radikale Einschnitte und Maßnahmen seien nötig. Aber anstatt kräftig anzupacken, agierte Schlecker kleinmütig und ängstlich. In die alten, im Vergleich zu Konkurrenten wie Rossmann und dm unattraktiv gewordenen Märkte wurde nichts mehr investiert, nichts wurde modernisiert. Die Zeit blieb stehen.

Lieber schloss Schlecker Filialen und verteilte die dort frei gewordene Ware auf andere Märkte, um auf diese Weise liquide zu bleiben. Finanziell wurde es immer enger. Als die Banken keine Kredite mehr gaben, konzentrierte sich der Patriarch vor allem darauf, irgendwie Geld aufzutreiben. Kreativ waren die Schleckers offenbar nur noch in dieser Hinsicht. Die Verteilung der Waren auf die vielen Tausend Drogerien besorgte das Unternehmen Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft (LDG), das Lars und Meike Schlecker gehörte. Nach Erkenntnissen der Ermittler kassierte die LDG von der Schlecker-Gruppe weit überhöhte Preise und entzog damit dem Konzern über die Jahre hinweg mehrere zehn Millionen Euro.

Die LDG wäre demnach ein reiner Selbstbedienungsladen der Familie Schlecker gewesen, auf Kosten des Konzerns und der Belegschaft. Zugleich gewährte die LDG dem Konzern und Anton Schlecker Darlehen über mehr als 60 Millionen Euro, die in das Drogerie-Unternehmen flossen. Eine Art Geldkreislauf. Und nicht nur das. Die LDG machte der Anklage zufolge von 2003 bis 2011 hohe Gewinne, die zum "größten Teil" an Lars und Meike Schlecker ausgeschüttet worden seien. Zuletzt waren das mehr als fünf Millionen Euro, die wenige Tage vor der Konzernpleite im Januar 2012 per Blitzüberweisung auf den Privatkonten von Lars und Meike Schlecker eingegangen seien. Plus die darauf fällige Steuer, die der Fiskus erhielt. Insgesamt sieben Millionen Euro. Das muss Meike Schlecker wohl vergessen haben, als sie Ende Januar 2012 über das Vermögen der Familie sagte, "es ist nichts mehr da". Die sieben Millionen Euro zahlten Lars und Meike Schlecker später an Insolvenzverwalter Geiwitz zurück. Insgesamt holte sich Geiwitz 10,1 Millionen Euro von der Familie Schlecker.

In Kreisen der Verteidiger heißt es, Anton Schlecker habe bis zum Schluss an die Rettung seiner Unternehmensgruppe geglaubt. Der Vorwurf, er habe "vorsätzlich" Geld beiseite geschafft, gehe ins Leere. Nach dieser Sichtweise wäre also zumindest juristisch nichts daran auszusetzen, dass Schlecker Senior laut Anklage 2010 für seine Tochter Meike knapp 700 000 Euro Schenkungssteuer beim Fiskus beglich. Dass er 2011 seinen Enkelkindern 800 000 Euro schenkte. Dass er seinen beiden Kindern im selben Jahr 58 000 Euro für eine Reise nach Antigua zukommen ließ. Dass er von Anfang 2010 bis kurz vor der Pleite im Januar 2012 Bau- und Handwerker-Rechnungen für eine Wohnung seines Sohnes Lars in Berlin beglich; gut eine Million Euro. Und so weiter.

Die Mitarbeiter, die ihren Job verloren, gingen seit der Insolvenz bislang leer aus

Alles Gefälligkeiten, die angesichts der dramatischen Lage der Unternehmensgruppe nicht mehr hätten sein dürfen, wie die Ermittler glauben. Sie werfen Anton Schlecker zudem vor, beim Amtsgericht Ulm eine falsche eidesstattliche Versicherung über diese angeblichen Schiebereien abgegeben zu haben. Insolvenzverwalter Geiwitz, der seit fünf Jahren eng mit den Schleckers zusammenarbeitet, sieht die Sache anders. "Es wurde kein Geld zur Seite geschafft", sagt Geiwitz, "bis auf eine kurzfristige Immobilien-Transaktion." Den betreffenden Betrag habe die Familie nach der Pleite aber schnell zurückgezahlt.

Insgesamt hat Geiwitz durch die Verkäufe von Konzernteilen und andere Maßnahmen im Auftrag der Gläubiger 300 Millionen Euro eingetrieben. Ein Großteil des Geldes ist bereits ausgezahlt, etwa an Lieferanten. Die einstigen Schlecker-Beschäftigten gingen bisher leer aus. Etwas besser erging es, laut Anklage, Schleckers Ehefrau Christa. Sie soll von zwei Firmen, die vor allem ihren Kindern gehörten, im Juni 2012 Honorare in Höhe von insgesamt 71 400 Euro erhalten haben; für gar nicht erbrachte Beraterdienste. Das war nach der Pleite des Konzerns und kurz bevor diese beiden Firmen ebenfalls Insolvenz anmeldeten. Deshalb sitzt Christa Schlecker mit auf der Anklagebank. Bis Oktober sind zahlreiche Verhandlungstage angesetzt.

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