Drogerie-Imperium in Verruf:Ausgebrannt im Schleckerland

Lohndumping, hoher Druck und gravierende Sicherheitsmängel: Seit Jahren monieren Gewerkschafter miserable Arbeitsbedingungen bei Schlecker. Passiert ist jedoch wenig. Zu wenig?

Tobias Dorfer

Die Gefahr lauerte im Rücken. Gegen 18 Uhr, die letzte Kundin hatte soeben den Schlecker-Markt im Münchener Stadtteil Obergiesing verlassen, schlugen die Täter zu. Drei Männer bedrohten die 20-jährige Mitarbeiterin. Sie sammelten mehrere tausend Euro ein und flüchteten. Für die junge Frau war es der erste Arbeitstag nach den Weihnachtsfeiertagen 2009, er endete in einem Münchener Krankenhaus.

Schlecker, Foto: AP

Lohndumping, hoher Druck und gravierende Sicherheitsmängel: Gewerkschaften haben immer wieder die Arbeitsbedingungen bei Schlecker kritisiert.

(Foto: Foto: AP)

Ein Zuckerschlecken ist die Arbeit bei Schlecker wahrlich nicht. Immer wieder sieht sich die von Metzgermeister Anton Schlecker "straff" (so steht es auf der Internetseite) geführte Drogerie-Kette massiven Vorwürfen ausgesetzt. Seit Jahren kritisiert die Gewerkschaft Verdi die Arbeitsbedingungen im "Schleckerland". Der Drogerie-Gigant torpediere Betriebsrats-Gründungen, der Druck auf die Mitarbeiter sei zu hoch, die Sicherheitsvorkehrungen in den Läden zu niedrig. Auch die Justiz musste sich bereits mit dem Unternehmen beschäftigen. Im Jahr 1998 verurteilte das Amtsgericht Stuttgart Anton Schlecker und seine Ehefrau Christa wegen Betrugs, nachdem sie Hunderte Mitarbeiter jahrelang unter Tarif bezahlt hatten.

Nun macht erneut das böse Wort vom Lohndumping die Runde, weil Schlecker für seine Großraummärkte Schlecker XL Mitarbeiter über die Leiharbeitsfirma Meniar angeworben hat. Nach einem öffentlichen Proteststurm knickte der Drogerie-Händler jedoch ein. Man werde keine neuen Verträge mehr mit Meniar abzuschließen. Neue Mitarbeiter würden "künftig direkt bei Schlecker bzw. direkt bei der eigenständigen Schlecker XL GmbH angestellt", sagte ein Konzernsprecher zu sueddeutsche.de. Allerdings sei Schlecker XL, anders als die alten Märkte, nicht tarifgebunden. Über die genauen Konditionen für Schlecker XL schweigt das Unternehmen beharrlich.

Sinkende Marktanteile

Und nun? Alles wieder gut im "Schleckerland"? Achim Neumann von der Gewerkschaft Verdi beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Unternehmen, er ist sozusagen Deutschlands oberster Schlecker-Bekämpfer. Unzählige Male hat Neumann die Arbeitsbedingungen bei Schlecker angeprangert - auch heute, inzwischen im Ruhestand, lässt ihn das Unternehmen nicht los. Neumann freut sich zwar darüber, dass Schlecker von Meniar ablässt. Doch er meint auch: "Grundsätzlich hat sich bei Schlecker nichts geändert."

Kein Wunder - denn Druck bekommt der Drogerie-Gigant nicht nur von kritischen Arbeitnehmervertretern, sondern auch von der Konkurrenz. Die Marktanteile sind Berechnungen des Manager Magazins zufolge in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken - auf nur noch 38,1 Prozent im Jahr 2007. Die Konkurrenten dm, Rossmann und Müller machen dem mit etwa 10.000 Filialen größten deutschen Drogerie-Händler schwer zu schaffen.

Zwar haben Rossmann (1500 Standorte), dm (1058) und Müller (487) nach Angaben der Lebensmittel-Zeitung in Deutschland deutlich weniger Filialen als der Drogerie-König von Ehingen, beim Umsatz ist das Gefälle jedoch kleiner. Im Jahr 2004 griff Anton Schlecker durch und setzte ein Optimierungsprogramm auf.

Sparmodell "Pinnwand-Belegschaft"

Verdi-Vertreter Neumann klagt, dieses Optimierungsprogramm habe auch dazu geführt, dass sich an vielen Standorten der Personalbestand verringert hat. Häufig sei nur noch eine Mitarbeiterin anwesend, kritisiert er - und spricht von einer "Pinnwand-Belegschaft". Da sich die Schichten der Mitarbeiterinnen in vielen Fällen nicht mehr überlappten, müssten sie über gelbe Zettel an der Pinnwand miteinander kommunizieren. Neumann zufolge erhöhe sich so nicht nur die Arbeitsbelastung der Angestellten, sondern auch das Risiko, Opfer eines Überfalls zu werden.

Anton Schlecker, Foto: dpa

Drogerie-Unternehmer Anton Schlecker (Archivbild vom 25. Februar 1999) lebt zurückgezogen im schwäbischen Ehingen.

(Foto: Foto: dpa)

Schließlich müsse sich eine einzige Mitarbeiterin um alles kümmern: Ware einräumen, die Kasse bedienen, beraten. Nicht umsonst hat Schlecker die Kassen so angeordnet, dass die Frauen mit dem Rücken zum Eingang sitzen. So können sie den Verkaufsraum besser beobachten. Wenn ein Gangster den Markt betritt, bemerken sie das erst, wenn es zu spät ist. So wird im Durchschnitt jeden Tag mehr als ein Schlecker-Markt ausgeraubt. 419 Raubüberfälle auf Schlecker-Filialen hat Verdi im Jahr 2008 gezählt. Das Unternehmen selbst sagte der Unternehmensgruppe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die Zahl läge "seit Jahren im unteren dreistelligen Bereich".

Auch Anton Schlecker persönlich hat schon Erfahrungen mit Kriminellen gemacht. Im Winter 1987 wurden seine beiden Kinder entführt, der Unternehmer soll 9,6 Millionen Mark Lösegeld gezahlt haben. Seitdem lebt die Familie völlig zurückgezogen und streng bewacht.

"Vollständig widerlegt"

In den Märkten selbst wird mit dem Thema Sicherheit offenbar laxer umgegangen. Als Sicherheitsmanko sieht Verdi-Experte Neumann auch, dass die Schlecker-Mitarbeiterinnen die Erträge des Tages oftmals selbst zur Bank bringen müssen und kein Sicherheitsdienst das Geld in Empfang nimmt. Neumanns Fazit: "Es ist viel zu wenig passiert." Immerhin: In etlichen Ballungsgebieten habe der Konzern sogenannte Tresor-in-Tresor-Systeme installiert, die Kriminelle abschrecken würden. Allerdings sei dies nicht flächendeckend geschehen.

Das Unternehmen selbst kommentiert die Anschuldigungen nicht. "Wir betrachten diese uralten, immergleichen Vorwürfe von Verdi als vollständig widerlegt", sagte der Firmensprecher zu sueddeutsche.de. Daher sehe das Unternehmen keinen Anlass, darauf einzugehen.

Einen Lichtblick bemerkt aber selbst Gewerkschaftler Neumann. 160 Betriebsratsgremien gäbe es inzwischen quer durch die Republik bei Schlecker. Damit sei etwa die Hälfte des Potentials ausgeschöpft. Auch dass das Betriebsverfassungsgesetz zumindest in den alten Schlecker-AS-Filialen gelten würde, sei ein Erfolg. Neumann: "Die Mitarbeiter haben inzwischen gelernt, den aufrechten Gang zu praktizieren."

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