1000 Dollar:Die Roboter-Pauschale

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Der Aktivist Scott Santens fürchtet, dass Maschinen bald Menschen ersetzen. Deshalb solle jeder 1000 Dollar bekommen. So wie er.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Gebe einem Menschen einen Fisch, und er wird einen Tag lang essen. Lehre ihn zu fischen, und er wird sein Leben lang zu essen haben. So lautet die bekannte Weisheit, doch Scott Santens hat angesichts des technischen Fortschritts eine Frage: "Wenn wir einen Roboter bauen, der fischen kann", überlegt er, "werden dann alle Menschen essen oder verhungern?"

Automatisierung bedeutet, dass es nicht mehr genügend Jobs für Menschen geben wird. Das ist für Santens ebenso offensichtlich wie die Lösung, die er bereits zu testen begonnen hat: Der 38-Jährige erhält seit kurzem monatlich 1000 Dollar bedingungsloses Grundeinkommen. Noch zahlen nicht staatliche Behörden, sondern 230 Unterstützer per Crowdfunding. "Es fällt ein gewaltiger Druck ab, wenn du weißt, dass du jeden Monat die Miete zahlen kannst - egal, was kommt", sagt der freie Journalist, der in New Orleans lebt. Seine neue Freiheit nutzt der bekannteste Grundeinkommens-Aktivist des Landes, um die Heimat des entgrenzten Kapitalismus von der Idee zu überzeugen.

"Es geht darum, seine eigene Entscheidung treffen zu können."

Nirgendwo dürfte das Konzept schwerer zu vermitteln sein als in den USA, Menschen allein für ihre Existenz zu bezahlen. "Europa ist stärker am Gemeinwohl orientiert", stellt Santens nüchtern fest. Beruflicher Erfolg und Reichtum signalisieren im puritanisch und individualistisch geprägten Amerika nicht nur Status, sondern beinahe Auserwähltheit. Der Sozialstaat ist schwach. Und selbst Bernie Sanders, Präsidentschaftskandidat und Säulenheiliger des jungen progressiven Amerika, fordert Konjunkturprogramme und einen höheren Mindestlohn - also mehr Arbeit, statt weniger.

Anknüpfungspunkte gibt es jedoch. Der libertäre Flügel der Republikaner, der gegen Staatseingriffe und für völligen Individualismus ist, bringt immer wieder die "negative Einkommenssteuer" ins Spiel. Der von Milton Friedman konzipierte Zuschuss für Haushalte, die unter einer bestimmten Einkommensschwelle bleiben, war als Ersatz für Sozialleistungen gedacht und scheiterte unter Nixon nur knapp im Kongress. Und Alaska verteilt seit mehr als 40 Jahren die Einnahmen aus der staatlichen Ölförderung an seine Bürger. Im vergangenen Jahr erhielt jeder Einwohner 2072 Dollar.

"Es geht darum, seine eigene Entscheidung treffen zu können", sagt Santens, "die Regierung soll mir nicht sagen, was ich zu tun habe." Wer eine finanzielle Basis habe, könne das Geld für das Studium, einen Job, eine Firmengründung oder ein gemeinnütziges Projekt verwenden. Die Idee sei beiden politischen Lagern vermittelbar, betont er: Republikaner erreichen das Ende des Wohlfahrtsstaates und der Subventionen, Demokraten das Ende der Armut und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte. Denn wer künftig einen schlechten Job ausschreibt, muss umso besser zahlen, um Bewerber zu finden.

Gerade weil lokale Pilotversuche jedoch einen signifikanten Rückgang der Erwerbstätigkeit zeigten, verlor die Idee in den Siebzigerjahren Anhänger. Gegenwärtig ist angesichts der herrschenden Steuer- und Staatseingriffs-Allergie schwer vorstellbar, dass die Gegenfinanzierung durch Unternehmensabgaben auf Ressourcen oder eine umfassendere Umsatzsteuer viel politische Unterstützung erfährt.

Bislang ist noch nicht einmal bekannt, wie viele Amerikaner das Grundeinkommen kennen oder es befürworten. Santens und seine Mitstreiter lassen dazu nun erste Umfragen durchführen. Wie bei der gleichgeschlechtlichen Ehe oder Marihuana-Legalisierung wollen sie das Thema über Volksentscheide in progressiven Bundesstaaten auf die politische Agenda setzen. "Wir werden scheitern. Immer wieder", erwartet Santens. Bis irgendwann niemand mehr den fischenden Roboter ignorieren kann.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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