Doc Martens von Private-Equity-Firma gekauft:Das Kapital tritt zurück

Doc Martens

Lufgepolsterter Stiefel mit langer Protesttradition: der Doc Martens

(Foto: Doc Martens)

Die klobigen Stiefel mit der luftgepolsterten Gummisohle sind seit Jahrzehnten die Pflichtbekleidung rebellischer Jugendlicher wie pseudorebellischer Popstars. Mit dem Image von Doc Martens will nun ein berüchtigter Finanzinvestor, der neue Besitzer Permira, Geld machen.

Von Björn Finke, London

Die spätpubertierende US-Sängerin Miley Cyrus war vermutlich noch nie in Seeshaupt. Von Stilikone Madonna sind Besuche in der beschaulichen Gemeinde am Starnberger See gleichfalls nicht überliefert. Aber die beiden Promis haben viel dafür getan, dass ein Produkt, das in Seeshaupt entwickelt wurde, gerade wieder angesagt ist: die klobigen Doc-Martens-Stiefel.

Die Schnürstiefel mit der dicken luftgepolsterten Gummisohle stellten über Jahrzehnte die Pflichtbekleidung rebellischer Jugendlicher und pseudorebellischer Popstars dar. Doch zur Jahrtausendwende waren die schweren Schuhe auf einmal nicht mehr gefragt, der Hersteller stand vor dem Aus. Inzwischen boomt das Geschäft wieder, auch weil Stars wie Cyrus oder Madonna sich gerne in den Ledertretern knipsen lassen.

Das freut den Produzenten, die R. Griggs Group aus Wollaston, einem Dorf in der Grafschaft Northamptonshire nördlich von London. Das freut zugleich die Erben der Erfinder, des Landarztes Klaus Maertens aus Seeshaupt und seines Freundes Herbert Funck, denn die Schuhe sind eine deutsch-britische Erfolgsgeschichte. Und das freut seit Donnerstag auch den Londoner Finanzinvestor Permira.

Diese Private-Equity-Gesellschaft hat 80 Prozent der Anteile an dem Unternehmen für 300 Millionen Pfund gekauft, also etwa 360 Millionen Euro. Verkäufer ist die englische Eigentümerfamilie, sie wird zusammen mit dem Management weiterhin 20 Prozent halten. Bis Januar soll das Geschäft abgeschlossen sein, dann ist der Fabrikant der klobigen Stiefel eine Schwesterfirma des edlen Designerkonzerns Hugo Boss aus dem schwäbischen Metzingen.

Dort stieg Permira 2007 ein. Ein halbes Jahr später zwang der Investor Boss in bester Heuschrecken-Manier, Kredit aufzunehmen, um eine hohe Sonderdividende auszuschütten. Boss-Chef Bruno Sälzer trat zurück, leitet nun Escada. Cheryl Potter, Partnerin bei Permira, führte das Beispiel Boss trotzdem an, um darzulegen, wie segensreich die Übernahme für Doc Martens sein werde: Wie man bei Boss sehe, habe Permira "viel Expertise, um globale Marken zu unterstützen", sagte sie. "Wir freuen uns darauf, dem Management bei der aufregenden nächsten Phase der Entwicklung des Unternehmens zu helfen."

"Wir werden keinesfalls Kultur und Ethos des Unternehmens verlieren"

Doc-Martens-Schuhe, die bevorzugte Fußbekleidung von Punks und Skinheads, in der Hand internationaler Finanzinvestoren? Der Firmenchef sieht da keinen Widerspruch: Er habe ohnehin immer gedacht, Finanzinvestoren wie Permira würden als "die Skinheads der Finanzbranche angesehen", sagte David Suddens, vermutlich nicht ganz ernsthaft. "Wir werden keinesfalls Kultur und Ethos des Unternehmens verlieren." Permira wolle die Strategie nicht ändern und dem Management viel Autonomie lassen, ergänzte Suddens, der die R. Griggs Group seit 2002 führt und sie damals vor der Pleite retten musste.

Die Geschichte der Gummisohlen-Stiefel ist bewegt: Der Arzt und Tüftler Klaus Maertens aus Seeshaupt bricht sich 1945 beim Skifahren ein Bein. Danach schmerzt sein Bein beim Auftreten, und da er kein bequemes Schuhwerk findet, bastelt er es sich eben selbst. Aus alten Autoreifen frickelt er eine Schuhsohle mit Luftpolstern zusammen, das lässt er sich mit dem Ingenieur Herbert Funck patentieren. 1949 gründet er dann das Unternehmen Dr. Maertens Luftpolster-Schuhe. Doch der weltweite Erfolg kommt erst, als er 1959 dem britischen Schuhfabrikanten Bill Griggs eine Lizenz für seine Erfindung erteilt. 1960 beginnt die Massenproduktion der bequemen Arbeitsstiefel in Wollaston. Aus Dr. Maertens macht Griggs die Marke Doc Martens, Umlaute verwirren nur.

Zum Insignium der Protestkultur werden die englischen Treter mit oberbayerischem Know-how in den Jahren darauf durch Pete Townshend. Der Gitarrist der Rockband "The Who" trägt die Stiefel mit dem Arbeiterklasse-Flair auf der Bühne und macht sie so populär unter Rockfans und Jugendlichen, die Schuhe kaufen wollen, die ihre Eltern mit Sicherheit schrecklich finden. In den folgenden Jahrzehnten entdecken Punks und Skinheads ihre Liebe zum Bequemschuh, später Grungerocker wie der Nirvana-Sänger Kurt Cobain.

Zur Jahrtausendwende steht Doc Martens vor der Pleite

Zur Jahrtausendwende ebbt die Begeisterung für Doc Martens allerdings ab, die Firma reagiert zu spät und steht vor der Pleite, als David Suddens vor elf Jahren als Chef antritt. Er verlagert die Produktion von England nach Asien, investiert ins Marketing, eröffnet erstmals eigene Läden und schafft so die Wende. Im vergangenen Geschäftsjahr setzten die Briten in 63 Ländern 160 Millionen Pfund um, ein Viertel mehr als 2011. Der Betriebsgewinn stieg auf 22,9 Millionen Pfund. Die Erben von Klaus Maertens und Herbert Funck erhalten weiterhin Lizenzzahlungen, 2,0 bis 2,5 Prozent des Umsatzes.

Von den 700 Beschäftigten arbeiten nur 300 im Vereinigten Königreich; die Schuhe stammen vor allem von Zulieferern in China, Vietnam und Thailand. Fünf Millionen Paar Doc Martens werden jedes Jahr gefertigt. Am Stammsitz in Wollaston betreibt die R.-Griggs-Gruppe bloß noch ein kleines Werk; es produziert 70.000 Stoßdämpfer-Stiefel im Jahr, edle Sammlerstücke oder maßgeschneiderte.

Die Eignerfamilie Griggs wollte sich trotz des Erfolgs aus dem Geschäft weitgehend zurückziehen, bereits im vorigen Jahr suchte sie einen Käufer, aber die gebotenen Preise waren ihr zu niedrig. Nun hat Permira offenbar die gewünschte Summe auf den Tisch gelegt. Schön für die Griggs. Ob es auch dem Unternehmen gut tut? Vielleicht sollte Firmenlenker Suddens mal den früheren Boss-Chef Sälzer anrufen.

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