Diskussion um Mindestlöhne:Arbeit und Würde

Alle fordern gerechte Löhne - doch was ist ein gerechtes Einkommen?

Sibylle Haas

An dieser Aufgabe wird die große Koalition gemessen werden: Sie muss die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit abbauen im allgemeinen, und Langzeitarbeitslosen eine Perspektive geben im besonderen.

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(Foto: Foto: dpa)

Lösungen, die den bislang starren Arbeitsmarkt aufbrechen, haben jedoch bis heute keine Chance. Nicht über Lohndifferenzierung oder die Schaffung marktfähiger einfacher Arbeitsplätze wird diskutiert - sondern über gesetzliche Mindestlöhne.

Diese sollen den Sozialstandard deutscher Arbeitnehmer sichern, weil man glaubt, sich sonst der Lohnkonkurrenz aus dem Osten nicht erwehren zu können.

Der Ruf nach Mindestlöhnen ist populär. Politiker, auch aus der Koalition, Gewerkschafter und Kirchen fordern das vermeintlich Naheliegende: gerechte Löhne und einen angemessenen Anteil der Erwerbstätigen am Wohlstand.

Wer arbeitet, soll so viel verdienen, dass es für ihn und die Familie gut reicht. Es geht um Wohlstandssicherung und, mehr noch, um Würde.

Doch von welcher Lohngrenze an wird die Würde eines arbeitenden Menschen verletzt? Was ist ein gerechtes Einkommen? Wie hoch muss ein Mindestlohn überhaupt sein, wenn er die Wertschätzung menschlicher Arbeit ausdrücken soll? Es gibt darauf keine einfache Antwort.

Bedürfnisse und Ansprüche sind von Land zu Land und von Mensch zu Mensch verschieden. Für Arbeiter aus Polen oder Tschechien sind Stundenlöhne von drei oder vier Euro viel Geld, weil sie zuhause damit gut leben können. Deutsche Arbeiter können es nicht.

3,73 Euro in der Stunde

Die Forderung nach Mindestlöhnen ist gut gemeint - doch sie erreicht das Gegenteil des Guten. Dabei ist es gleichgültig, ob Mindestlöhne bundeseinheitlich oder branchenbezogen verwaltet werden, ob sie sieben oder acht Euro betragen.

Klar ist, Mindestlöhne müssen über den marktüblichen Löhnen liegen, damit sie überhaupt wirken.

Damit führen sie aber dazu, dass genau jene ihre Jobs verlieren, die heute zu Niedriglöhnen arbeiten: Beschäftigte in der Gastronomie, im Handel, bei Friseuren und im Wach- und Sicherheitsgewerbe.

Das Tarifarchiv des Bundesarbeitsministerium (Stand 2004) zeigt: Der unterste Tariflohn eines 17-jährigen einfachen Arbeiters liegt im hessischen Tischlerhandwerk bei 3,73 Euro die Stunde. Ein Saisonarbeiter in der sächsischen Landwirtschaft wird mit 4,40 Euro entlohnt.

Viele Branchen können sich höhere Löhne, sprich höhrere Arbeitskosten, nicht leisten. Das gilt zuvorderst für Betriebe, die mit ausländischen Firmen konkurrieren, die zu sehr niedrigen Kosten produzieren können.

Das Thema beherrscht auch heute schon, ohne Mindestlöhne, den Alltag in vielen Firmen, vor allem mittelständischen: Fabriken werden geschlossen, ins Ausland verlegt, oder die Firmen beschäftigen Ausländer schwarz zu niedrigeren Löhnen.

Die Diskussion um Mindestlöhne führt auch dazu, dass jede Arbeit, die ein Mensch zu einem niedrigen Lohn verrichtet, als weniger wertvoll gilt - eine Tätigkeit zum Mindestlohn dagegen schon.

Damit verstärkt die Debatte die Tendenz, die Wertschätzung menschlicher Arbeit ausschließlich über die Höhe der Bezahlung zu definieren. Selbst die Kirchen argumentieren so, wie unlängst der Deutsche Katholikentag in Saarbrücken gezeigt hat.

Warum nicht Schuhe putzen?

Es ist nicht unwürdig, zu einem niedrigen Lohn zu arbeiten, und ergänzende Hilfen durch den Staat anzunehmen, wenn alle Bemühungen, einen besser bezahlten Job zu finden, fehlgeschlagen sind.

Wenn eine soziale Mindestabsicherung wie in Deutschland gewährleistet ist, dann sollte Würde vor allem davon abhängen, ob jemand überhaupt arbeitet. Der Lohn und die Art der Arbeit sollten zweitrangig sein.

Dies erfordert jedoch ein Umdenken. Einfache Arbeiten, vor allem bei Dienstleistungen, gelten vielen in Deutschland als wert- und würdelos. Menschen, die die Häuser anderer Leute putzen oder Straßen fegen, sind gesellschaftlich kaum anerkannt. Das gilt sogar für Dienstleistungen, an denen großer Mangel herrscht, etwa in der Altenpflege.

Wir finden es unwürdig, uns die Schuhe putzen zu lassen. Wir lehnen es ab, wenn man uns im Supermarkt die Einkaufstüten packen will. In den Vereinigten Staaten wird so etwas selbstverständlich akzeptiert und dankend in Anspruch genommen. Den Deutschen sind derlei Tätigkeiten peinlich, deshalb können entsprechende Jobs auch nicht entstehen.

Damit haben aber all jene keine Chance auf Arbeit, die diese Leistung gerne erbringen würden. Welche Formen solch ein Anspruchsniveau annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus Oberfranken.

Dort wollte ein ausländischer Investor eine Anlage zur Entsorgung von Elektroschrott errichten und einfache Jobs im Niedriglohnbereich entstehen lassen. Doch sein Vorhaben scheiterte, weil Tarifverträge höhere Einkommen vorschrieben. Die neuen Arbeitsplätze entstanden daher in Osteuropa.

In kaum einem Land ist die Grundsicherung für Arbeitslose so umfassend wie in Deutschland, selbst wenn es keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Das Arbeitslosengeld II wirkt wie ein Mindestlohn. Die Hartz-IV-Reform mutet den Menschen nichts Unwürdiges zu.

Es ist angemessen, dass, wer zumutbare Arbeit ablehnt, von der Gemeinschaft weniger unterstützt wird. Zumutbar ist auch, dass die Kontrollen verschärft werden, um Leistungsmissbrauch zu verhindern. Bei der Korrektur der Arbeitsmarktreform hat die Koalition die richtige Richtung eingeschlagen.

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