Diskussion um Griechenland-Hilfen:Unangenehme Wahrheit in Scheibchen

Pensioners shout slogans during an anti-austerity rally in Athens

Griechische Rentner protestieren gegen Einsparungen: Wie viel kommt da noch? Die Krise ist noch lange nicht vorbei.

(Foto: REUTERS)

Hat die Bundesregierung im Kampf gegen die Euro-Krise gelogen, weil aus ein paar Milliarden immer mehr wurden? Die Opposition trifft mit ihrer Kritik einen schmerzlichen Punkt: Die Kommunikation der schwarz-gelben Koalition in Sachen Griechenland ist inkonsistent und zögerlich. Doch dafür gibt es mehrere Gründe, die Finanzminister Schäuble gut kennt.

Von Oliver Klasen

An einem Dienstag im August will Wolfgang Schäuble in Ahrensburg eigentlich Wahlkampf machen. Auf Einladung des CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Brackmann ist er ins örtliche Parkhotel gekommen. Thema: Herausforderungen für Deutschland und Europa. Es klingt nach einer ziemlich staatstragenden Rede, doch der Finanzminister nutzt den Auftritt in Norddeutschland, um ganz nebenbei eine unangenehme Wahrheit zu verkünden. "Es wird in Griechenland noch einmal ein Programm geben müssen", sagt Schäuble, und schiebt nach: "Das ist der Öffentlichkeit auch immer gesagt worden."

So zumindest die Interpretation seiner bisherigen Äußerungen. Die SPD, die die Griechenland-Hilfen jetzt zum Wahlkampfthema machen will, spricht hingegen von "Lüge". Schäuble ist der erste deutsche Regierungspolitiker, der jetzt eingesteht, was für viele Experten ohnehin als sicher gilt: Griechenland, für das bereits zwei Hilfsprogramme über insgesamt 240 Milliarden Euro aufgelegt wurden, wird auch nach 2014 Finanzhilfen seiner internationalen Partner brauchen.

Es braucht diese Notkredite der öffentlichen Hand, weil private Investoren Griechenland nichts mehr leihen wollen. Zwar hat der Finanzminister ein neues Hilfspaket nicht explizit ausgeschlossen. Offen gesagt, dass ein solches Paket nötig werden wird, hat er allerdings auch nie. Und erst vor wenigen Tagen hat sein Ministerium Nachfragen zu neuen Hilfsgeldern als "Spekulationen" zurückgewiesen.

Umso mehr bemüht sich die Bundesregierung jetzt, Schäubles offenen Äußerungen die Schärfe zu nehmen. "Es gibt nichts Neues", sagte Sprecher Steffen Seibert am Mittwoch. In der Sitzung des Bundeskabinetts habe Griechenland keine Rolle gespielt. Das zweite Hilfsprogramm für Athen laufe bis Ende 2014. Es gebe deshalb keinerlei Anlass, über Änderungen in der Finanzierung des Euro-Krisenlandes nachzudenken, sagte Seibert.

Sanfte Rückkehr zum Kapitalmarkt

Aus Berliner Regierungskreisen war zuvor verlautet, ein eventuelles drittes Programm werde vom Umfang her sowieso deutlich kleiner ausfallen als die ersten beiden. Es gehe nur darum, die Rückkehr des Landes an die Kapitalmärkte möglichst "sanft" zu gestalten. Überdies habe Athen einen erheblichen Teil der nötigen Reformen ja bereits eingeleitet.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Schäuble in Sachen Griechenland korrigiert. Im Dezember 2009, als der breiten Öffentlichkeit zum ersten Mal bewusst wird, dass Griechenland gewaltige Schuldenprobleme hat, die sich auch auf den Rest der Euro-Zone auswirken werden, äußert er sich ablehnend zu Hilfen für das Land. "Es wäre falsch verstandene Solidarität, wenn wir den Griechen mit Finanzhilfen unter die Arme greifen würden", sagt der deutsche Finanzminister damals.

Im Sommer 2010 - ein mit 110 Milliarden Euro ausgestattetes Hilfspaket für die Griechen ist längst beschlossen - geht Schäuble erneut mit einer vermeintlich entschlossenen Äußerung an die Öffentlichkeit. Dieses Mal ist der vorläufige Hilfsfonds EFSF das Thema, die Griechenland und andere verschuldete Euro-Länder mit frischem Geld versorgen soll. "Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart", sagt der CDU-Politiker.

Nach einigen Monaten ist klar, dass Schäuble auch in diesem Fall falsch liegt. Im Februar 2011 einigen sich die Euro-Finanzminister auf den neuen Rettungsschirm ESM. Er löst den vorläufigen EFSF ab, ist 500 Milliarden Euro schwer - und unbefristet.

Zögerliche und inkonsistente Kommunikation

Schäubles jüngste Äußerung ist, genauer besehen, eine Präzisierung früherer Aussagen. Schon im Februar 2012, als das zweite Hilfspaket beschlossen wurde, sagte er: "Es ist möglicherweise nicht das letzte Mal, dass sich der Deutsche Bundestag mit Finanzhilfen für Griechenland befassen muss." Allerdings betonte er danach mehrfach, dass die Entscheidung darüber erst später anstehe, und das Wort "Rettungspaket" nahm er ebenfalls nicht in den Mund. Bis zu diesem Dienstag.

Immerhin kann man Schäuble bei seinem jetzigen Vorstoß nur schwer vorwerfen, aus Wahlkampftaktik gehandelt zu haben, denn sonst hätte er ein drittes Hilfspaket wohl kaum einen Monat vor der Bundestagswahl ins Spiel gebracht. Trotzdem trifft die Opposition mit ihrem Vorwurf einen Punkt: Warum ist die Kommunikation der Bundesregierung in Sachen Griechenland so inkonsistent und zögerlich? Warum werden Aussagen getroffen, die nur kurze Zeit später wieder revidiert werden müssen? Warum traut sich kein Politiker, Klartext zu reden, anstatt nach dem Gyros-Prinzip zu verfahren, und von der Wahrheit immer nur ein dünnes Scheibchen abzuschneiden?

Es ist nur eine Momentaufnahme, aber vielleicht hilft an dieser Stelle wieder ein Blick zurück, in das Jahr 2010. "Also doch! Griechen wollen unser Geld", titelte die Bild-Zeitung am 24. April 2010. Auf der zweiten Seite war ein junger arbeitsloser Grieche namens Kosta abgebildet, der sich erkennbar in der Sonne entspannte. So ging es immer weiter: Dienstag, 27. April: "Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxusrenten?". Donnerstag, 29. April: "25 Milliarden - Griechen wollen noch mehr Geld von uns!" Montag, 3. Mai: "110 Milliarden Euro - Pleitegrieche kriegt den dicksten Scheck der Geschichte!".

Die Bild-Zeitung ist damals scharf angegriffen worden für diese Art der Kampagne, von einer Nichtregierungsorganisation hat sie sogar den Negativpreis für den "europapolitischen Fehltritt des Jahres" bekommen. Aber was, wenn sich darin die öffentliche Meinung widerspiegelt? Was, wenn zumindest ein Teil der Bürger tatsächlich so tickt?

Diese Befürchtung scheint die Regierung in ihren Äußerungen über Griechenland zu leiten und führt dazu, dass Finanzminister Schäuble oder Kanzlerin Angela Merkel offenbar glauben, man könne den Deutschen nicht allzu viele unangenehme Wahrheiten über Griechenland zutrauen. Eine Haltung, die umso erstaunlicher ist, als dass bisher für den Bundeshaushalt keinerlei Schaden entstanden ist durch die Griechenland-Hilfen. Alle bisherigen Leistungen basieren auf Krediten, die das südeuropäische Land irgendwann zurückzahlen muss.

Korrigiert und revidiert hat sich indes nicht nur die Bundesregierung: Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat kürzlich in einem Papier (PDF) eingestanden, bei der Bewertung der Griechenland-Krise Fehler gemacht zu haben. Zu Beginn der Krise in den Jahren 2009 und 2010 hieß es stets, die Rezession werde nur ein, höchstens zwei Jahre lang anhalten. Eine Aussage, die sich schnell als Wunschvorstellung erwies. Die ursprüngliche IWF-Prognose war bis 2012 von einem Minus von 5,5 Prozent ausgegangen, tatsächlich waren es 17 Prozent. Die Realität war immer schlimmer als die Prognose.

Prognosen betreffen die Zukunft - und sind schwierig

Wie schwierig Voraussagen zu treffen sind, verdeutlicht die derzeitige Nachrichtenlage: So gibt es einerseits Hoffnung, dass die griechischen Wirtschaft den Boden der Krise erreicht haben könnte, also jenen Punkt, an dem es nicht mehr weiter abwärts gehen kann.

Mehr Zeit für die Griechen

Anderseits verbreitet der IWF schlechte Nachrichten: Die Ökonomen rechnen - entgegen der bisherigen Annahmen aus der Euro-Zone - mit einer Finanzlücke von elf Milliarden Euro bis 2015. Zudem könnte dieser Wert noch steigen, wenn die Wirtschaft doch weiter abschmiert.

Wenn die IWF-Annahme zuträfe, würde an einem dritten Hilfspaket wohl kein Weg vorbei führen. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn schließt das nicht aus. Weil zusätzliche Kredite den ohnehin zu hohen Schuldenstand des Landes weiter nach oben treiben würden, wird darüber diskutiert, der Regierung in Athen zusätzliche Mittel aus den EU-Strukturfonds zur Verfügung zu stellen - direkte Transfers statt neuer Kredite.

Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF werde im Herbst über eine mögliche Fortsetzung des Rettungspakets entscheiden, sagte Rehn der finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat. Und er macht noch einen weiteren Vorschlag: "Die Schuldentragfähigkeit könnte beispielsweise durch eine Verlängerung der Kreditlaufzeit verbessert werden", so der finnische EU-Kommissar.

Das liefe darauf hinaus, den Griechen mehr Zeit zu geben. Eine Strategie, die schon öfter in der Krise eingesetzt wurde - auch hier wird der Gyros-Stil sichtbar, der Regierung in Athen nur scheibchenweise mehr Spielraum zuzugestehen.

Insofern könnte man auch Schäubles Verstoß als Versuch werten, zumindest ein wenig mehr Ehrlichkeit in die Debatte zu bekommen. Nicht alle sind begeistert: "Schäuble droht uns mit neuer Hilfe", titelte die linke Zeitung Efimarida ton Syntakton.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: