Digitalisierung:Wer rastet, geht unter

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Bibendum stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Das Maskottchen des Reifenherstellers Michelin wurde mehrmals modernisiert. (Foto: imago)

Unternehmen aller Branchen müssen sich mit neuen Techniken auseinandersetzen, doch viele zögern noch. Michelin und Haufe - zwei Beispiele, wie dies gelingen kann.

Von Helmut Martin-Jung

Kleine oder mittlere Unternehmen und Konzerne haben eines gemeinsam: Sie alle müssen sich überlegen, wie sie mit den großen, teils dramatischen Veränderungen umgehen, die der Siegeszug des Digitalen bringt. Wer stehen bleibt, lebt gefährlich. Schneller, viel schneller als früher vorstellbar, kann ein Unternehmen heute ins Hintertreffen geraten oder gar vom Markt verschwinden. Angst ist dabei ein schlechter Ratgeber, besser ist es, nach vorn zu schauen und herauszufinden, wie das eigene Unternehmen die digitale Transformation hinkriegen kann. Einen Königsweg gibt es nicht, immerhin aber Beispiele. Der französische Michelin-Konzern und der Haufe-Verlag, ein Großunternehmen also und ein Mittelständler, sind schon ziemlich weit gekommen bei ihrer Transformation.

Analoger, physischer als ein Autoreifen, das geht doch kaum. Oder?

Man könnte ja fragen, was denn eigentlich digital sein soll an einem Autoreifen. Analoger, physischer geht es doch kaum. Doch wer so denkt, würde zwei wichtige Dinge außer Acht lassen. Zum einen hilft die Digitalisierung natürlich auch Firmen, die ganz klassisch Dinge produzieren. Zum anderen aber gilt: "Zwischen dem physischen Ding und dem Kunden ist viel Digitales", wie Eric Chaniot sagt. Chaniot, Firmengründer und Marketingexperte, ist seit Juni 2015 Chief Digital Officer (CDO) beim traditionsreichen Reifenhersteller Michelin.

Doch auch im physischen Objekt, das wäre noch zu ergänzen, ist inzwischen längst das Digitale eingezogen. In Pneus stecken Sensoren, die erfassen, wie es um den Reifen steht. Vor allem bei Bussen und Lastwagen ist das ein sehr lohnendes Unterfangen: "Ein Drittel aller Probleme bei Bussen und Lkw werden von den Reifen verursacht", sagt Chaniot, "90 Prozent der Probleme bei Reifen entstehen durch zu wenig Druck."

Die Folge war, dass die Reifen aus Vorsicht oft zu früh gewechselt wurden. Doch mit elektronischer Überwachung ändert sich das. Die Fahrzeuge können nun täglich gecheckt werden, früher fand die manuelle Überprüfung meist nur einmal im Monat statt. Insgesamt spart das den Logistik-Unternehmen viel Geld. Michelin bietet inzwischen auch Reifen als Dienstleistung an, die Kunden müssen sich dann um die Bereifung nicht kümmern und bezahlen nach Kilometern.

Auf all das ist Chaniot ziemlich stolz. Michelin sei mittlerweile "digitaler als jeder unserer Konkurrenten", sagt er. Traditionell arbeiten die Reifenhersteller auch mit den Autobauern zusammen, für die Digitalisierung ja auch immer wichtiger wird. Und es sei ja nicht so, sagt Chaniot, dass man an ein fertig entwickeltes Auto einfach Reifen montiere. Die Reifen werden mittlerweile nicht selten zusammen mit dem Fahrzeug entwickelt, zum Beispiel, um bei E-Autos den Reibungswiderstand zu verringern und so Batterieleistung zu sparen. Oder, wie im Fall Porsche, indem die Vernetzung der Pneus von Anfang an mitgedacht wird.

Digitalisierung ist aber nicht selten auch die Gelegenheit, das Verhältnis zum Kunden, zum gewerblichen wie zum privaten, auf eine neue Basis zu stellen. Als digitalisiertes Unternehmen sei man wesentlich näher an den Käufer herangerückt, sagt Chaniot, Ziel von Michelin sei es, ein ganzes Ökosystem rund um die Kunden herum aufzubauen. Schließlich produziert Michelin mit seinen knapp 120 000 Mitarbeitern weltweit nicht bloß Reifen, sondern auch Navigationsgeräte und Restaurantführer. "Jedes Produkt hat seine eigenen Prozesse", sagt der CDO, "aber für den Kunden darf dieser Eindruck nicht entstehen." Damit das funktioniert, bräuchten auch die Mitarbeiter gute digitale Services.

"Man muss die Dinge nicht noch einmal erfinden."

Anfangs habe man im Konzern versucht, die nötige Software selbst zu entwickeln, sagt Chaniot, "aber man muss nicht Dinge noch einmal erfinden, die es schon gibt." Michelin setzt nun auf den US-Anbieter Salesforce, der mit Software zum Management von Kundendaten (CRM) groß geworden ist, inzwischen aber auf mehr und mehr Feldern aktiv ist. Das ist die Verbindung zum Haufe-Verlag, der ebenfalls CRM-Software von Salesforce einsetzt. Ansonsten ist das deutsche Unternehmen mit seinen gut 1800 Mitarbeitern natürlich eine andere Nummer, Michelin hat fast 70-mal so viele.

Aber, sagt Haufes Chief Information Officer (CIO) Bernd Sengpiehl, es habe auch seine Vorteile, wenn das Unternehmen nicht so groß und damit beweglicher sei. "Konzerne können oft nur top down und hierarchisch vorgehen", sagt er, "aber es wäre auch die Kraft aus der Basis nötig." Die Großunternehmen müssten daher lernen, wie sie sich ändern müssen, damit sie die Transformation bewältigen.

Dass Haufe sie schon hinter sich hat, diese Transformation, ist einerseits richtig, doch die Digitalisierung bringt es mit sich, dass nichts lange Bestand hat. "Man muss sich immer wieder neu erfinden", sagt CIO Sengpiehl. Sein Unternehmen war immerhin sehr früh dran, diese Notwendigkeit zu erkennen. Schon in den 1990er-Jahren habe man angefangen, das eigene Wissen zu digitalisieren. Haufe war damals vor allem bekannt für seine Lose-Blatt-Sammlungen zu wirtschaftlichen und juristischen Themen.

Doch der Wandel brachte es mit sich, dass Haufe außer Inhalten auch Software anbietet und seine eigenen Erfahrungen in einer Akademie an andere Unternehmen weitergibt, Stichwort: Talentmanagement. Haufe gibt anderen Unternehmen auch praktische Hilfestellung bei deren Transformation. "Wir arbeiten mit den Kunden zusammen die Schwachstellen heraus", sagt Steffen Pietsch, der bei Haufe für die Business-Software verantwortlich ist. Muss Software neu geschrieben werden, hilft Haufe auf Wunsch auch dabei.

Was Haufe dabei gelernt hat: "Es braucht eine Netzwerkorganisation", sagt CIO Sengpiehl, "man muss die richtigen Leute mit der richtigen Motivation zusammenbringen. Wer will es mittreiben?" Nur so gelinge es, agile Teams zu schaffen. Was aber heißt das fürs Unternehmen selbst? Zunächst einmal "viel Veränderung", sagt Software-Chef Pietsch. Sengpiehl ergänzt: "Wir fragen uns ständig, was brauchen wir selbst für ein Betriebssystem? Wir geben Team-Ziele aus statt Ziele für einzelne Mitarbeiter." Man manage die Teams nicht mehr, "wir führen sie." Und was sagen die Mitarbeiter dazu? "Nicht alle sind begeistert", gibt Pietsch zu, "aber die Fluktuation bei uns ist sehr gering."

Und wie geht es weiter? Bei Haufe überlegt man sich wie bei Michelin, wie sich aus Daten noch mehr geschäftsrelevante Erkenntnisse und damit Erlösmöglichkeiten gewinnen lassen. Nie stehen bleiben eben.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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