Digitalisierung:Europa handelt bei der Künstlichen Intelligenz viel zu zaghaft

Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Die EU will sie nun fördern, doch was sie vorschlägt, kommt spät und ist zu klein gedacht.

Von Helmut Martin-Jung

Die ersten Dampfmaschinen waren Ungetüme, die ihr ungeheures Potenzial allenfalls erahnen ließen. Doch als die Technik reif für den massenhaften Einsatz war, veränderte sie die Welt. Indem der Mensch die neuen Maschinen benutzte, konnte er seine eigenen schwachen Kräfte vervielfachen - die industrielle Revolution nahm ihren Lauf.

Zurzeit steht die Menschheit an der Schwelle zu einer Entwicklungsstufe von ähnlicher Bedeutung. Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet ungeahnte neue Möglichkeiten, vom autonomen Fahren bis hin zur individualisierten Medizin. Nicht umsonst ist KI eines der beherrschenden Themen auf der diesjährigen Hannover-Messe.

Natürlich wäre es naiv anzunehmen, der Einzug schlauer Maschinen in unser Leben werde nichts als positive Auswirkungen hervorbringen. Noch jede technische Neuerung hatte auch ihre Schattenseiten, und meist stellten die sich erst hinterher heraus. Doch das Schlimmste wäre, wenn Deutschland und Europa die Initiative alleine den USA oder China überließen.

Insofern ist es gut, wenn die Europäische Union dieser Technologie einen Schub geben will. Die an diesem Mittwoch verkündeten Maßnahmen - zwei Milliarden Euro Förderung aus EU-Töpfen bis 2020, Gründung einer Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines koordinierten Plans - kommen allerdings sehr spät. Und sie sind einfach nicht groß genug im Vergleich zum Beispiel zu den 150 Milliarden Dollar, die China bis 2030 in die KI-Forschung stecken will.

Während in China die Führung bestimmt, wer Zugriff auf welche Daten hat und in den USA eine wesentlich laxere Einstellung zum Datenschutz herrscht, läuft Europa Gefahr, sich bei der so entscheidenden Zukunftstechnologie selbst zu blockieren. Denn die künstliche Intelligenz braucht Daten, viele Daten. Daten, aus denen sie lernen und ihre Schlüsse ziehen kann, schneller und im Idealfall auch objektiver, als ein Mensch das könnte. Europa muss daher darauf achten, dass nicht gut gemeinter, aber überzogener Schutz von Persönlichkeitsrechten dazu führt, dass der künstlichen Intelligenz der Treibstoff fehlt.

Das würde - wie man das zurzeit an den Diskussionen um große US-Plattformen wie Facebook oder Google sehen kann - nur zu diesem Ergebnis führen: Während Europa die eigenen Firmen ausbremst, greifen Konzerne außerhalb der EU ohne große Hemmungen auf Daten auch von EU-Bürgern zu und machen das große Geschäft. Europäische Unternehmen gucken also in die Röhre - und die Daten sind trotzdem nicht so gut geschützt, wie die EU das gerne hätte.

Sich zu verweigern darf keine Lösung sein

Eine wichtige und vordringliche Aufgaben wäre es daher, den Zugang zu Daten so offen wie nur irgend möglich zu gestalten, so weit anonymisiert wie nötig und so aussagekräftig wie möglich. Ob Europa mit seinen langsamen Entscheidungsprozessen das hinkriegt, daran darf man zweifeln. Noch wäre es nicht zu spät. Auch in den Vereinigten Staaten, die der Technologie etwas offener gegenüberstehen, haben jüngst in einer Umfrage unter 1500 Führungskräften 83 Prozent bekannt, sie könnten sich unter KI nichts vorstellen. China pumpt zwar Unmengen an Ressourcen in KI, liegt derzeit aber noch zurück.

Europa hätte das Potenzial, eine wichtige Rolle zu spielen. Dazu müssen aber die Kräfte gebündelt und die Informationen ausgetauscht werden. Bei der Bildung beginnt es, in den Schulen und Universitäten, aber auch weit darüber hinaus. Wenn die Menschen besser über die Technologie Bescheid wüssten, hätten sie nicht irrationale Ängste vor marodierenden Robotern. Die Menschen müssen vielmehr darauf vorbereitet werden, dass sie künftig mehr und mehr mit KI-Systemen werden zusammenarbeiten müssen. Systemen, die sie in vielen Fällen nicht ersetzen, sondern die ihnen assistieren werden.

Doch natürlich gibt es auch Schattenseiten. Und eine davon wird auf lange Sicht unzweifelhaft sein, dass Maschinen - im Wesentlichen also Computer und Software - viele Jobs übernehmen, die heute von Menschen ausgeführt werden. Mag manches auch länger dauern, als die Industrie das optimistisch verkündet, das völlig autonome Auto etwa. Die Tendenz zur Automatisierung wird aber auch in Berufen nicht aufzuhalten sein, die heute noch weitgehend auf menschliche Arbeitskräfte angewiesen sind. Bisher hat jeder große Umbruch althergebrachte Arbeitsplätze zerstört, aber eine größere Anzahl neuer Jobs geschaffen. Ob das auch bei der KI so sein wird, weiß niemand. Sich deshalb zu verweigern, ist aber keine Lösung. Dann machen es andere - nach ihren eigenen Regeln.

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