Digitalisierung:Der Mittelstand ist angeklickt

Azubi bei Trumpf

Der mittelständische Maschinenbauer Trumpf will in wenigen Jahren seine komplette Produktion digital steuern. Dazu bildet das Unternehmen Produktionstechnologen aus, die Anlagen wie diesen Laserresonator einrichten und optimieren lernen.

(Foto: dpa)

Digitalisierung, Internet der Dinge, künstliche Intelligenz: Endlich entdecken auch kleinere Unternehmen ihre Chance. Ein paar Mutige könnten Deutschland sogar zum IT-Vorreiter machen.

Von Helmut Martin-Jung

Cağlayan Arkan kommt viel herum. Ob Triebwerkshersteller, Stahlkonzerne, Ölfirmen oder Versicherungen: Arkan spricht mit ihnen allen. Bei Microsoft leitet er das weltweite Geschäft des Softwarekonzerns mit Industriekunden. Er hat also wie nur wenige einen guten Überblick darüber, wie die entwickelten Länder die großen Herausforderungen angehen, die vor ihnen stehen - Digitalisierung, das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz. Und Arkan sagt: "Deutschland wird dabei zu den führenden Ländern gehören."

Deutschland?

Das Deutschland, das sich vor der Computer-Cloud so zu fürchten scheint, als würden daraus Hagel, Blitz und Donner niedergehen? Das Deutschland, das auch einige Weltkonzerne beherbergt, vor allem aber sehr viele gern als zögerlich verschriene Mittelständler? "In Deutschland gibt es gute Führungskräfte", sagt Arkan, "die werden die Industrie verändern, und zwar nachhaltig." Durch ihr Vorbild würden sie auch andere ermutigen, sich der neuen Herausforderung zu stellen.

Und das passiert. 43 Prozent der im Branchenverband Bitkom zusammengeschlossenen deutschen IT-Firmen bieten aktuell Dienstleistungen für die vernetzte Produktion an, fast doppelt so viele wie 2014. Deutschland habe als Industrienation eine hervorragende Ausgangsposition, "wir müssen sie nutzen", sagt Bitkom-Präside Michael Kleinemeier.

Kleine Unternehmen müssen noch mutiger sein

Digitalisierung: Illustration: Lisa Bucher

Illustration: Lisa Bucher

Volkmar Denner, Chef des Technologiekonzerns Bosch, ist ein Beispiel für eine Führungspersönlichkeit, wie Arkan sie vorschwebt. Einer, der mit der Neuausrichtung seines Konzerns auch viele Kleinere mitzieht. "In zehn Jahren", sagt Denner, "wird es kaum noch ein Bosch-Produkt ohne Bezug zu künstlicher Intelligenz geben." Angst davor müsse niemand haben, sagt Denner, "künstliche Intelligenz wird weit unter dem sein, was den Menschen ausmacht". Ihn wurmt es, dass in Deutschland und Europa immer zuerst die Risiken gesehen werden, nicht aber die Chancen.

43 Prozent

der Unternehmen in Deutschland sehen beim Thema Internet der Dinge/vernetzte Produktion laut einer Studie von IDG noch Nachholbedarf bei ihrer Hard- und Software. Für die meisten dürfte es am sinnvollsten sein, sich mit dem Thema Cloud zu beschäftigen. Gerade wenn mal mehr, mal weniger Rechenleistung gebraucht wird, wenn Projekte schnell und trotzdem kostengünstig umgesetzt werden sollen, ist der Umstieg auf IT nach Bedarf das Mittel der Wahl. Diese Erkenntnis setzt sich nach langem Zögern nun auch in Deutschland durch.

Die Chancen des digitalen Wandels hält auch Sabine Bendiek für "gewaltig". Die Deutschland-Chefin von Microsoft fordert: "Wir müssen den Prozess der Digitalisierung fortsetzen." Sie warnt vor einer digitalen Spaltung: In Größere, die viel investieren, und Kleinere, die noch nicht begriffen haben, dass sie nicht mehr zu lange warten dürfen. "70 bis 80 Prozent der kleinen und mittleren Firmen machen zwar mittlerweile Digitalisierungsprojekte", sagt sie, "aber deren Durchschnittsvolumen liegt bei 10 000 Euro." Viel zu wenig.

Hinzu kommt das Misstrauen gegenüber der Cloud, sagt Bendiek, "aber gerade im Mittelstand werden wir es ohne die Cloud nicht schaffen." Warum? Weil, sagt Microsoft-Manager Alexander Stüger, sich die Wertschöpfungsketten verändern. Weil, heißt es bei Bosch, bald so gut wie alle Teile dieser Kette Daten liefern werden.

"2020, das ist morgen, Leute!"

Und die müssen ausgewertet werden. Mit viel Rechenpower, die man mal mehr, mal weniger nutzen kann - genau das bietet die Cloud. So etwas selbst zu betreiben, könnten die meisten kleineren und mittleren Betriebe nicht leisten. Und allmählich erkennen das auch immer mehr von ihnen: "Das Thema hat sich extrem verankert bei den Firmen", beobachtet Stüger.

Das Interesse der Mittelständler sei "riesengroß", sagt auch Carsten Heidbrink, der bei Cisco Deutschland für den Mittelstand verantwortlich ist. Die Schwierigkeit ist: "Wie kriegt man das praktisch nach unten?" Um Digitalisierung begreifbar zu machen, haben Heidbrinks Firma und eine Reihe anderer IT-Unternehmen die Innovation Alliance gegründet. Ziel ist es, anhand vieler Beispiele Lust auf Digitalisierungsprojekte zu machen. 55 Prozent der Firmen seien noch am Anfang. Doch das Bewusstsein, dass etwas passieren muss, es wächst, sagt Heidbrink.

Auch Bernd Leukert, Vorstandsmitglied von SAP, findet, Deutschland brauche sich nicht zu verstecken. Der Produktchef der drittgrößten Softwarefirma der Welt spricht auf der "Connected World", der Hausmesse des Bosch-Konzerns. In den Hallen am Berliner Gleisdreieck wuselt es nur so von interessierten Mittelständlern. Vor allem dieses Publikum versucht auch Telekom-Chef Tim Höttges aufzurütteln. Er redet von den vielen Milliarden Sensoren, die im Jahr 2020 Daten senden sollen, und warnt: "2020, das ist morgen, Leute!"

Die Digitalisierung verweigern? Das geht nicht mehr

Doch auch wenn viele kleine und mittlere Unternehmen noch zögern, 90 Prozent von ihnen sehen in der digitalen Transformation eine Chance für sich, ergab jetzt eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom. Und sogar 80 Prozent der Befragten sagten, Unternehmen würden untergehen, wenn sie sich der Digitalisierung verweigerten.

Ist Deutschland also besser, als es sich selbst oft sieht? Ganz offenbar. Nicht umsonst verlegte IBM sein IoT-Forschungszentrum nach München, als erstes globales IBM-Forschungszentrum außerhalb der USA. IoT steht für Internet of Things, Internet der Dinge also. Der Grund? Deutschlands starke Industrie. Vor Kurzem gab auch Microsoft bekannt, dass man ein Zentrum für IoT und künstliche Intelligenz in München ansiedeln wird.

Was das alles bringen soll? Daten zu erheben und auszuwerten erzeugt bei vielen Maschinen Mehrwert. "Daten sind wie Rohöl", sagt Tanja Rückert, die bei SAP für das Internet der Dinge zuständig ist, "man muss sie raffinieren und in den Geschäftsprozess bringen." Von Dingen wie etwa einem Windrad könnten digitale Zwillinge erschaffen werden, die dank der Sensoren im echten Windrad live übermitteln, ob alles okay ist. Edzard Oberbeek, Chef des digitalen Kartendienstes Here, hat eine noch viel größere Vision: Sein Ziel ist eine virtuelle Repräsentation der gesamten physischen Welt, die sich in Echtzeit und automatisch anpasst. Tausende von Datenebenen auf einem einzigen Quadratzentimeter, in einer gewaltigen Datenbank, die immer online ist - da will er hin.

Von solchen Szenarien sind die Mini-Projekte so mancher Mittelständler weit entfernt. Doch das ständige Trommeln der Verbände, das Vorbild großer Firmen, der Druck von Silicon-Valley-Firmen wie Google und anderen - es zeigt endlich Wirkung. Deutschland ist aufgewacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: