Digitalisierung:"Dann sind wir die Getriebenen"

Roboter in der Autofertigung

Die bayerische Industrie hat übervolle Auftragsbücher und deshalb wenig Zeit für Digitalisierungsthemen.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft mahnt Unternehmen dazu, bei der Digitalisierung voranzukommen. Volle Auftragsbücher verhinderten oft die Auseinandersetzung mit Digitalthemen.

Von Helmut Martin-Jung

Die prosperierende bayerische Industrie könnte Opfer ihres eigenen Erfolges werden. Viele kleine und mittlere Unternehmen seien beim Zukunftsthema Digitalisierung noch nicht weit genug gekommen, weil sie vor lauter Aufträgen gar keine Zeit dafür hätten, sagte Alfred Gaffal, der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), in München. Außerdem gebe es zu wenig Fachkräfte und es fehle an moderner Netztechnik und - vor allem auf dem Land - an ausreichend schnellen Internetanbindungen.

Anstöße dazu, dies zu ändern, will der Verband unter anderem mit einer groß angelegten Studie und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen geben. Deren wichtigstes Fazit lautet: Jene Unternehmen, die bei der Digitalisierung am weitesten vorangekommen sind, sind auch am erfolgreichsten. Bei digitalisierten Unternehmen nimmt die Zahl der Mitarbeiter um 40 Prozent stärker zu, der Umsatz im Vergleich zu anderen Unternehmen sogar um 80 Prozent.

Für die Studie des Beratungsunternehmens Prognos wurden 2500 deutsche Unternehmen befragt. Den Firmen wurden dabei verschiedene Reifegrade der Digitalisierung zugeordnet. Der Großteil davon (80 Prozent) befindet sich demnach im Mittelfeld. Viele Produktionsprozesse seien bereits automatisiert und würden von IT gesteuert. Doch die voll digitale Reife, dass nämlich digitale Systeme autonom entscheiden und sich selbst optimieren, erreichen derzeit nur zwei Prozent der Unternehmen, vor allem größere.

Unter anderem mit dem vor drei Jahren gegründeten Zukunftsrat will die VBW ihren Mitgliedern Hilfe dabei leisten, diese "prägendste Entwicklung unserer Zeit" zu erkennen, sagte Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München und Mitgliedes des Zukunftsrates. Die Digitalisierung "erfasst jeden von uns, ob wir wollen oder nicht." Der IT-Standort München habe dabei den Vorteil, dass es hier "eine bärenstarke Industrie" gebe. Herrmann erkennt einen "enormen Nachrüstungsbedarf" - sowohl was die Digitalisierungskompetenz der Unternehmen anbelangt als auch die von Forschung und Lehre. Die alten überkommenen Strukturen wie etwa der Zuschnitt der Fakultäten an den Hochschulen müssten in Frage gestellt werden. Um Themen wie etwa den 3D-Druck wirklich voranzubringen, brauche es Zentren, gleiches gelte für die künstliche Intelligenz oder die Robotik.

Und immer, sagte Herrmann, müsse die Wissenschaft auch verständlich erklären, was auf die Menschen zukomme. "Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen." Bei vielen Themen rund um die Digitalisierung gibt es Ängste. Doch für Alfred Gaffal ist klar: "Wenn wir uns nicht digitalisieren, sind wir international nicht mehr wettbewerbsfähig", warnte er, "dann sind wir die Getriebenen."

Um das zu verhindern, versucht die VBW bei Veranstaltungen, das Bewusstsein dafür zu wecken, wie wichtig das Thema Digitalisierung ist, oder wie TU-Präsident und Chemiker Herrmann sagt: "Wir müssen den Wandel des Denkens katalysieren."Noch jedenfalls sei es nicht zu spät, den Wandel einzuleiten, glaubt auch VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Viele Unternehmen seien bei Automatisierung und IT-Einsatz weltweit führend, aber der Weg zu einer umfassenden Digitalisierung müsse noch schneller gehen. An die Politik richten die Wirtschaftsvertreter daher vor allem die Forderung, digitale Bildung und Infrastruktur gezielt und massiv auszubauen.

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