Digitale Tagelöhner:Wie das Netz die Arbeit verändert

Crowdworker Digitalisierung

Arbeiter und digitale Zukunft - hier eine Reinigungskraft beim Mobile-World-Kongress in Barcelona.

(Foto: Emilio Morenatti/AP)
  • Für nahezu jedes Produkt, jede Dienstleistung gibt es mittlerweile eine digitale Plattform in Internet: Airbnb vermittelt Zimmer, Carsharing-Angebote vermitteln Autos, auf Verkaufsplattformen wie Dawanda wird Selbstgemachtes angeboten.
  • Unter "Crowdworking" versteht man digitale Aufträge, die vollständig über das Internet abgewickelt werden.
  • Was ursprünglich als Zuverdienst für Privatleute gedacht war, entwickelt sich für immer mehr Menschen zur hauptberuflichen Vollzeitbeschäftigung.
  • Die neuen Formen digitaler Arbeit sprengen das bisherige System sozialer und rechtlicher Absicherung für Arbeitnehmer.

Von Sarah K. Schmidt und Sebastian Strube

Für nahezu jedes Produkt und jede Dienstleistung gibt es mittlerweile die passende Plattform im Internet: Airbnb vermittelt Zimmer und Wohnungen für Reisende aus aller Welt, Carsharing-Angebote stellen Autos zur Verfügung, Dienste wie Uber gleich den Fahrer dazu. Bei Etsy und Dawanda findet die Selbermach-Szene ihre digitale Ladenfläche und aktuell ist überall die "So einfach geht sauber"-Werbung von Helpling zu sehen, einem Portal für Reinigungskräfte. Egal, ob es um Gartenarbeit, Stadtführungen oder Häkeltäschchen geht, per Web und App kommen Kunde und Anbieter zusammen - mit einem Klick.

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur aktuellen Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Unsere Autoren haben sich die Welt der Clickworker auch von innen angesehen - in den im Text zwischengeschalteten kursiven Absätzen lesen Sie ihren Erfahrungsbericht:

Auch ich werde seit einiger Zeit täglich auf Facebook mit Werbung von Uber und Airbnb bombardiert. München ist eine teure Stadt, das Geld für Chauffeurdienste und Übernachtungsmöglichkeiten könnte ich gut gebrauchen. Aber eigentlich habe ich keine Zeit, Leute mit meinem Auto durch die Gegend zu fahren, und wirklich scharf darauf, fremde Menschen in meinem Wohnzimmer übernachten zu lassen, bin ich auch nicht. Ich denke über eine dritte Möglichkeit nach, mit Hilfe des Internets das Konto aufzubessern: Ich könnte mich als Crowdworker verdingen. Einfach in Jogginghose vor dem Computer ein paar Aufgaben abarbeiten und dabei Geld verdienen - das klingt spannend und unkompliziert.

"Anmelden, einmal die Kreditkartendaten hinterlegen und dann loslegen - die Plattformen sind mittlerweile sehr einfach zu beidenen", sagt Daniel Bartel. Er hat selbst eine Carsharing-Plattform mit aufgebaut und berät jetzt Unternehmen, wie diese die neuen digitalen Möglichkeiten nutzen können. Bartel selbst vermietet sein Zimmer in Stuttgart bei Airbnb, wenn er unterwegs ist, und, klar, in Betten schläft, die er übers Netz gefunden hat.

Beruflich nutzt er auch gern Peopleperhour, auf dem Portal werden digitale Aufträge im Bereich Texten und Webdesign ausgeschrieben. "Da habe ich Grafiken für ein Buch erstellen lassen. Ich habe auch schon häufiger Artikel vom Deutschen ins Englische übersetzen lassen."

Produkte und Dienstleistungen der analogen Welt - von der Bohrmaschine bis zur Fahrt zum Flughafen - werden übers Internet vermittelt. Doch gerade Computertätigkeiten lassen sich bestens digital verteilen. Für Arbeit, die komplett übers Netz abgewickelt wird, hat sich der Begriff "Crowdworking" etabliert.

Hehre Ziele, kapitalistische Strukturen

Der älteste und immer noch einer der größten Anbieter für Klick-Jobs ist Amazon Mechanical Turk. Seit November 2005 gibt es die Plattform, auf der Auftraggeber Jobs posten können, die dann von den registrierten Nutzern, der Crowd, abgearbeitet werden. Mittlerweile sind "Turker" aus 190 Ländern angemeldet. Der größte deutsche Crowdwork-Anbieter heißt Clickworker, 500 000 Menschen haben sich dort registriert. Ein Drittel von ihnen kommt aus Deutschland, ein Drittel aus Nord- und Südamerika und ein Drittel aus dem Rest Europas.

Die Anmeldung bei Clickworker ist wirklich einfach. Nach Angabe meiner persönlichen Daten und einer SMS-Verifizierung meiner Handynummer, die meine Identität wenigstens halbwegs eindeutig belegt, muss ich meine beruflichen und sonstigen Kenntnisse eingeben. Mit Fachwissen kann ich leider nur im Bereich Geisteswissenschaft punkten, das wird mich vermutlich nicht weit bringen. Etwas überrascht bin ich von der Rubrik "Erotikinhalte": Soll ich etwa Bilder überprüfen, ob sie jugendfrei sind? Als Profi will ich mich da jedenfalls lieber nicht ausgeben, könnte falsche Erwartungen wecken. Ich klicke "Hobby" an und bin gespannt.

"Aus Fremden werden Freunde", "stilvoll gegen Verschwendung", "tolle Leute und neue Orte kennenlernen", teilen statt besitzen, Offenheit, Freiheit, Individualität und noch dazu die Umwelt schonen - es sind hehre Ziele und hohe Ideale, die sich die Share-Economy auf ihre schicken Websites und App-Oberflächen schreibt.

Doch schon hinter dem Begriff "Share-Economy", der sich für Angebote wie Airbnb und Uber etabliert hat, versteckt sich ein Paradox: Hier werden linke Ideen von gemeinschaftlicher Teilhabe immer stärker mit kapitalistischen Strukturen verknüpft. "Share" ist das, womit geworben wird, "Economy" das, was drinsteckt. Erst seitdem Silicon-Valley-Start-ups die Ideen Couchsurfing (Airbnb) und Mitfahrzentrale (Uber) professionell vermarkten, sind daraus Trends geworden, bei denen Millionen Menschen mitmachen. An jeder Transaktion verdienen wiederum die Plattformbetreiber, die einen gewissen Anteil pro vermittelter Fahrt oder Zimmer einbehalten.

Geld macht das Teilen offenbar für deutlich mehr Menschen interessant als Idealismus und Gemeinnutzen allein. Die, die ihre Zimmer und Beifahrersitze anbieten, können unmittelbar Profit einstreichen. Und auch den Kunden, die für eine Übernachtung oder Fahrt zahlen, entstehen keinerlei weitere Verpflichtungen. Das Portal Whyownit, über das Menschen Gegenstände wie Bohrmaschinen oder Badminton-Schläger zum (geldlosen) Tausch anbieten konnten, ist dagegen gerade gescheitert. Das Problem: Ausleihen wollten viele, verleihen deutlich weniger.

Plattformen, die neuen Märkte

Jetzt will auch ich endlich Geld verdienen. Bevor ich aber arbeiten darf, werde ich getestet. Ich soll bestimmte Informationen ergoogeln. Das kann ich ganz gut, ich erreiche eine Wertung von 95 Prozent. Dann muss ich eine "Qualifizierung als Autor deutscher Texte" durchlaufen, das dauert eine knappe Stunde. Ergebnis: 83 Prozent. Das klingt eigentlich nicht schlecht, mich irritiert nur, dass 40 Prozent meiner künftigen Clickworker-Kollegen einen höheren Wert erreichen.

Was macht Uber und Co zu den großen neuen Playern der Tech-Branche? Was versprechen sich die Investoren, die astronomische Summen in dieses neue Geschäftsmodell stecken? "Strukturell betrachtet sind die Plattformen nichts anderes als ein Intermediär, also ein Vermittler, in einem zweiseitigen Markt", sagt Jan Marco Leimeister, der an den Universitäten von St. Gallen und Kassel zum Thema Plattformen und digitale Arbeit forscht.

Die Plattformen agieren anders als das Taxigewerbe oder die Hotellerie nicht als Arbeitgeber sondern nur als Vermittler. Sie bieten einen Ort, an dem Anbieter und Kunden zusammentreffen und Preise, die sich nach Angebot und Nachfrage richten - es wirken die grundlegenden Prinzipien der Marktwirtschaft. "Die Plattformbetreiber dringen als komplett neue Anbieter in Märkte ein, die vorher überhaupt nicht als von der Digitalisierung bedroht galten, und stellen alle bislang geltenden Regeln komplett auf den Kopf", sagt Leimeister.

Airbnb, Uber, Etsy und Clickworker kommen mit minimalen Personalkosten aus, sie stellen nur die Infrastruktur zur Verfügung. So verdienen sie zwar an jeder Interaktion, aber sie übernehmen keine Verantwortung. Sie vermitteln nur die Geschäftsbeziehungen, die zwischen Kunde und Anbieter entstehen. Um Hygiene-Bestimmungen, Taxi-Lizenzen, Lagerräume oder Sozialversicherungen scheren sie sich nicht. Es ist diese Unverbindlichkeit, die das Geschäft so simpel, so bestechend lukrativ macht.

Professionalisierung erwünscht

Nach dem Aufnahmetest werden mir bei Clickworker die ersten Jobs angeboten. Ich soll die Mail-Adressen von Mitarbeitern aus den Webseiten von Unternehmen und Institutionen heraussuchen. Das ist leider nicht so einfach wie gedacht. Japanische Atomwissenschaftler auf schlecht ins Englische übersetzten Homepages zu finden, braucht Zeit. Aufwendig ist auch die Recherche nach Unternehmen. Erst sieht es so aus, als müsste ich nur den Namen googeln und dann die Webadresse in die Vorlage von Clickworker kopieren. Aber nach jedem Schritt kommt noch eine weitere Aufgabe. So soll ich zum Beispiel herausfinden, auf welcher Seite der Suchergebnisse ein bestimmter Shop gelistet ist. Aber irgendwie habe ich Spaß - bis ich mir den Stundenlohn ausrechne.

Ganz einfach, nebenbei ein bisschen Geld dazu verdienen, das ist das Versprechen an alle, die selbstgemachten Schmuck verkaufen, noch schnell jemanden zum Bahnhof fahren oder beim Crowdworking noch ein paar Euro dazuverdienen wollen, statt nur am PC rumzudaddeln. Gegenüber besorgten Politikern und Branchenverbänden betonen die Unternehmen gern, dass sich ihr Angebot an Privatleute in der Freizeit und nicht an Vollzeit-Kräfte richtet. Doch sie haben ein Interesse, dass sich ein großer Teil der Nutzer professionalisiert. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Abläufe reibungslos funktionieren und kontinuierlich ein attraktives Angebot für möglichst viele Kunden bereitsteht. Das gilt für Uber, das die fleißigsten Fahrer etwa mit Leasing-Angeboten für Autos bindet, genauso wie für digitale Minijobs.

Für mehr und mehr Menschen wird aus dem netten Zuverdienst die Basis des Lebensunterhalts. In Ländern wie den USA, wo die Arbeitslosigkeit hoch und die Kultur der Selfmade-Men und -Women ausgeprägter ist, ist Crowdworking bereits ein deutlicher Trend. Doch auch in Deutschland gibt es bereits zahlreiche Menschen, die über Plattformen ihren Lebensunterhalt verdienen.

Vom Zuverdienst zum Lebensunterhalt

Fünf Cent gibt es pro Mailadresse, sechs Cent für jeden Google-Job. Nachdem ich für insgesamt 50 Cent zehn Adressen zusammengesucht und mit Googeln noch 24 weitere Cents verdient habe, schaue ich auf die Uhr. 45 Minuten sind vergangen. Mein erster Stundenlohn liegt unter einem Euro. Da hilft es mir auch nicht, dass in der Arbeitsbeschreibung deutlich darauf hingewiesen wird, dass man auf keinen Fall mehr als drei Minuten recherchieren sollte. Selbst wenn ich nur zwei Minuten pro Adresse brauche, komme ich auf maximal 1,50 Euro die Stunde. Ich muss bessere Jobs finden.

Claudia G. etwa arbeitet seit Jahren bei verschiedenen Crowdworking-Anbietern. Sie ist die Hauptverdienerin einer vierköpfigen Familie und sie ist stolz darauf, sich nach ihrer Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei aus eigener Kraft eine Existenz im Netz aufgebaut zu haben - trotz des schwierigen Starts: "Nach etwa anderthalb Jahren gefühlter Sklavenarbeit mit Minimalverdienst und nah am Burn-out, hatte ich genügend Referenzen und einen sehr guten Ruf als Texter. Inzwischen nutze ich die Billigbörsen nur noch als Lückenfüller."

Geübte Netz-Arbeiter sind das Rückgrat der Plattform-Industrie. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge werden auf Amazons Mechanical Turk bereits etwa 80 Prozent der Arbeit von 20 Prozent der Arbeiter erledigt. Diese 20 Prozent arbeiten praktisch täglich und sind damit hochqualifiziert für diesen sehr speziellen Teilbereich. "Teilweise ist ein richtiger Wettbewerb um gute Clickworker entstanden", sagt Ines Maione, Sprecherin von Clickworker. Diese Super-Crowdworker können dann auch häufig von ihrer Arbeit im Netz leben.

"In dem Moment, in dem Menschen regelmäßig und gewerbsmäßig über Plattformen ihren Lebensunterhalt erzielen müssen oder wollen, müssen wir die Spielregeln von Arbeit anwenden", sagt der Wirtschaftsinformatiker Leimeister. "Wenn wir anfangen, angestellte Arbeitsverhältnisse durch quasi selbständige Arbeit im Netz zu ersetzen, dann kommen unsere sozialen Sicherungssysteme durcheinander."

Tätigkeiten jenseits von regulären Arbeitsverhältnissen, Tarifverträgen, Betriebsräten und Arbeitszeitregelungen - es wundert nicht, dass die Gewerkschaften mit Sorge auf das Heer selbständiger, anonymer Crowdworker und Minijobber blicken. "Ich sehe, dass sich die Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall, intensiv des Themas annehmen", so Leimeisters Einschätzung. In der Politik habe man zumindest erkannt, "dass das Thema komplex ist", das Forschungsministerium hat entsprechende Studien in Auftrag gegeben.

Flexible Zeiteinteilung, aber keine Sicherheiten

Endlich zeigt mir Clickworker in meinem Account neue Jobs an. Jetzt sind Schreibjobs dabei. Für einen Job werden mir sogar 31,15 Euro geboten. Nach dem vorhergehenden Cent-Debakel eine Menge Geld. Allerding soll ich für kleine Unternehmen und Handwerker praktisch die ganze Webseite inklusive Unterseiten betexten. 1900 bis 2500 Wörter soll ich schreiben. Zum Vergleich: Dieser Text hat ungefähr 2700 Wörter. Ich will erst einmal kleiner anfangen. Für 2,10 Euro soll ich 150 Wörter über Handtaschen schreiben. Die Texte werden dann bei einem großen Online-Kaufhaus als Produktbeschreibungen angezeigt. Als Vorlage erhalte ich das Bild der jeweiligen Handtasche und zwei Zeilen Basisinformation. Will ich den Mindestlohn erreichen, muss ich vier Texte in der Stunde schreiben. Ich habe zwar keine Ahnung von Handtaschen, trotzdem, das sollte machbar sein.

Claudia G. schätzt an ihrer Tätigkeit das freie, selbständige Arbeiten, die flexible Zeiteinteilung - und dass sie "zumindest theoretisch" auch im Schlafanzug arbeiten kann. Dabei ist sie sich durchaus im Klaren über die Nachteile ihrer Arbeit: "Ungenügende Absicherung fürs Alter, hohes Risiko im Krankheitsfall, ständige Balance am Rande des Existenzminimums, schwer einschätzbare Auftragslage, ständiger Zeitmangel, schwierige Urlaubsplanung", zählt sie auf.

Auch für Solidarität und kollegialen Austausch ist kein Platz, wenn durch die ständige Vergleichbarkeit der Konkurrenzdruck steigt. "Ich glaube, viele Netzarbeiter leiden aufgrund fehlender sozialer Realkontakte unter Vereinsamung, fühlen sich missachtet, unverstanden und sind anfällig für psychische Erkrankungen", sagt Claudia G.

Alleinige Macht über Regeln und Strukturen

Schnell merke ich, 150 Wörter sind ziemlich viel, wenn man nur ein Bild und zwei Zeilen Text als Vorlage hat. Ich muss mir ganz neue Fragen stellen. Ist die Oberfläche der Tasche "glatt", "naturledern", "gesteppt" oder doch eher "genoppt"? Ist das eine feine Handtasche zum Ausgehen oder doch eher eine für den Alltag? Mein wichtigster Satz: "Die drei Innentaschen, von denen eine mit einem Reißverschluss verschließbar ist, sorgen für Ordnung in der Handtasche." Das trifft auf fast alle Taschen zu, also kann ich die Info einfach in jeden Artikel kopieren, spart eine Menge Zeit. Übrigens merke ich, dass ich nicht alleine auf der Seite bin. Zu Beginn waren über Hundert Handtaschen-Texte im Angebot, nach zwei Stunden sind es nur noch 60. Auch andere Crowdworker haben die halbwegs gut bezahlten Handtaschen-Jobs für sich entdeckt.

In der Plattform-Arbeitswelt ist kein echter Aufstieg möglich. Innerhalb des Systems können sich die Arbeiter zwar hocharbeiten. Da werden Bestbewertungen gesammelt, Premiumfahrer und -wohnungen ausgezeichnet. In den Clickworking-Netzen kann man zum Lektor aufsteigen und die Arbeit anderer kontrollieren. Doch ein Karrieresprung über die Plattformgrenzen hinaus ist nicht vorgesehen.

Die Plattformen haben die alleinige Macht über das Regelwerk und die Strukturen des Marktes, den sie selbst geschaffen haben. Immer wieder nutzen die Konzerne diese einseitige Macht aus - häufig auf Kosten der Anbieter. Dawanda-Verkäuferinnen, die nicht an Rabattaktionen teilnehmen, riskieren zum Beispiel, dass ihre Produkte schlechter platziert werden als reduzierte Waren. Auch bei Zimmervermittlungsplattformen wie Airbnb sei oft nicht ganz klar, in welcher Reihenfolge die Wohnungen angezeigt werden, sagt Sharing-Experte Daniel Bartel. Uber hat im Oktober 2014 den Kilometerpreis für Fahrten in Hamburg und Berlin drastisch gesenkt - einer Klage wegen.

Für die Fahrer, Gastgeber, Verkäufer und Clickworker bedeutet das: "Trotz großer Erfahrung und hohen Wissensstands ist man das kleinste Rad im Getriebe", wie Claudia G. es ausdrückt. Eine vertragliche, dauerhafte Zusicherung von Konditionen gibt es nicht. Klar, wer unzufrieden ist, kann sich abmelden - doch die Unternehmen binden ihre Anbieter an sich. Mühsam erstellte Profile, die Historie der Clickworking-Jobs und die Airbnb-Bewertungen lassen sich nicht mitnehmen, wenn jemand zur Konkurrenz will. Eine Dawanda-Verkäuferin überlegt es sich zweimal, bevor sie zu Etsy wechselt und sich einen Kundenstamm samt guter Bewertungen neu erarbeitet.

Besonders groß ist diese Gefahr der Machtverschiebung, wenn ein einzelner Anbieter einen ganzen Bereich dominiert, wie es sich bei Airbnb und Uber abzeichnet. "Monopole sind immer schlecht für uns als Bürger", sagt Sharing-Experte Leimeister. Gibt es für die Nutzer keine echte Alternative, können die Monopolisten rücksichtslos die Bedingungen diktieren.

Entwicklung mit revolutionärem Charakter

Bevor ich Geld für meine Texte bekomme, müssen sie noch abgenommen werden. Ich bekomme meinen ersten Text mit ellenlangen Korrekturen zurück. Kern der Kritik: "schablonenhaft und inhaltsleer". Ich bin geschockt: Wie soll ich in 15 Minuten einen Text mit 150 Wörtern über eine mir unbekannte Handtasche schreiben und dabei auch noch mit inhaltlicher Tiefe formulieren? Ich korrigiere also die Texte. Insgesamt habe ich jetzt schon mehr als 50 Minuten mit den ersten zwei Texten verbracht. Das Ergebnis meiner Bemühungen: Ein Text wird abgenommen, ein Text wird einfach abgelehnt - ich bekomme also auch kein Geld. Mein Stundenlohn liegt jetzt bei etwa vier Euro.

Wie wird die Zukunft aussehen, in der Plattformen weiter an Bedeutung gewinnen und mehr Arbeit im und über das Netz stattfindet? Absehbar ist, dass der Druck auf Geringqualifizierte steigt. Immer wenn es einfach ist, jemanden zu ersetzen, drückt das die Preise. Das gilt bereits für den einfachen Arbeiter auf dem Bau oder die Reinigungskraft. Doch wo bislang lokal um Jobs konkurriert wurde, machen die Plattformen Millionen Anbieter von Arbeitsleistungen weltweit verfüg- und vergleichbar.

Der Internetvordenker Byung-Chul Han prognostizierte in der SZ die Ökonomisierung des gesamten Lebens, die jedes Zuhause in ein Hotel verwandelt: "In einer Gesellschaft wechselseitiger Bewertung wird auch die Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird freundlich, um bessere Bewertungen zu erhalten. Auch mitten in der kollaborativen Ökonomie herrscht die harte Logik des Kapitalismus."

Leimeister sieht optimistischer in die Zukunft: "Es ist eine sehr spannende Zeit. Was da jetzt passiert, hat revolutionären Charakter. Ich glaube, dass unsere Kinder mal in einer Arbeitswelt leben werden, die mit unserer nicht mehr viel zu tun hat. Jetzt haben wir die Möglichkeit, da Weichen zu stellen, dass das eine gute Arbeit und eine gute Welt für sie wird."

Damit das gelingt, gilt es, zwei Herausforderungen zu meistern: Solange eine Konkurrenz der Plattformbetreiber untereinander sichergestellt ist, hat es ein einzelnes Unternehmen schwerer, seine Macht zu Lasten von Anbietern und Kunden zu missbrauchen. Zum anderen müssen sich die Kunden ihrer Verantwortung bewusst werden. "Wer nur auf den niedrigsten Preis achtet, darf sich über Dumpinglöhne nicht beschweren", sagt Leimeister. "Doch wenn es gelingt, auszuweisen, dass ein Angebot weitere Eigenschaften hat, welche die Konsumenten honorieren, dann werden sich diese auch durchsetzen." Bio-Produkte, die mit fairen Produktionsbedingungen und geringerer Schadstoffbelastung beworben werden, haben sich ja auch etabliert.

Irgendwann schreibe ich meine Handtaschentexte sehr schnell und muss auch kaum mehr etwas korrigieren: Außenseite beschreiben, Innenseite beschreiben, Besonderheiten anmerken, zum Schluss ein launiges Anwendungsszenario. Außerdem habe ich mir einen Fundus passender Adjektive zugelegt. Einige Lektoren scheinen meinen Namen zu kennen und lassen mir mehr durchgehen. Mein Rating als "Autor deutscher Texte" steht bei 87 Prozent. Deswegen werden mir jetzt auch besser bezahlte Schreibarbeiten angeboten. Aber um auf Mindestlohn-Niveau zu verdienen, müsste ich mehr üben und professionelle Arbeit im Akkord abliefern. Mit Freiheit hat das wenig zu tun. Ich ziehe mir lieber Jeans und Hemd an, verlasse das Haus und verdiene als Journalist halbwegs vernünftig. Ich habe allerdings auch die Chance dazu. Viele Clickworker haben die nicht.

Linktipps:

Die Recherche zur Zukunft der Arbeit

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

  • Stechuhr Arbeiten nach dem Lustprinzip

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  • Feelgood Arbeite und fühl' dich wohl

    Gerade jungen Menschen ist Freiheit und Spaß bei der Arbeit wichtiger als das Gehalt. Die Unternehmen reagieren - mit individueller Karriereplanung und "Feelgood-Managern".

  • Seyferth Der Arbeitsverweigerer

    "Arbeit ist scheiße": Mit diesem Slogan wollte Peter Seyferth politische Karriere machen. Heute ist er freiberuflicher Philosoph und verweigert noch immer die Arbeit. Zumindest im Kopf.

  • Zukunft der Arbeit Wie wir in Zukunft arbeiten könnten

    Schneller, flexibler, vernetzter: Die digitale Revolution wird unsere Arbeit komplett verändern. Zum Guten oder zum Schlechten? Fünf Zukunftsvisionen.

  • Geriatric nurse talking to age demented senior woman in a nursing home model released Symbolfoto pro Who cares?

    Leben bedeutet heute Berufsleben. Doch wer kümmert sich ums Baby, wer macht den Einkauf, wer schaut nach der dementen Tante, wenn alle so viel arbeiten? Der Care-Bereich blutet durch die Ökonomisierung der Gesellschaft aus.

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