Digitale Bezahlungsmodelle:Eine Handvoll Euro

Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Weltweit wächst der bargeldlose Zahlungsverkehr. Gerade für den Mittelstand bieten sich dabei neue Wege zur Kommunikation mit den Kunden.

Von Marcel Grzanna

Zyniker würden den Gesang des Rollstuhlfahrers böswillig als Gejaule abtun. Doch das würde seiner Leidenschaft nicht gerecht werden. In den geschäftigen Straßen von Shanghais ehemaligem Französischen Viertel intoniert der junge Mann aus voller Kehle chinesischen Schlager, um von Passanten schmale finanzielle Zuwendungen abzugreifen. Seine Kleidung ist die der Landbevölkerung, sein Cordsakko zwei Nummern zu groß und der grüne Pullunder darunter dem Zerfall nah. Doch selbst wenn sich der Mann nicht kleidet wie ein Hipster, so lebt er dennoch nicht hinter dem Mond.

Neben seiner mobilen Karaoke-Maschine steht ein Schild mit einem QR-Code darauf. Wer spenden will für den Gesang, darf das gerne in bar tun, aber es geht hier auch mit dem Smartphone. Ein Scan genügt, um ihm über einen digitalen Bezahlservice des Internetkonzerns Tencent ein paar Yuan hinüberzuschieben. Das sei ein dringend notwendiger Service am zahlenden Kunden. "Viele Leute haben gar kein Bargeld mehr in den Taschen. Wenn ich mit Singen auf der Straße ein bisschen Geld verdienen will, muss ich mit dem Trend der Zeit gehen und diesen QR-Code anbieten", erklärt er.

In Chinas Großstädten gehört das digitale Bezahlen schon zum Alltag

Straßenmusikanten hat die Bargeldlos-Welle in Chinas Großstädten ebenso erfasst wie Gemüsehändler oder Garküchen, Bäckereien oder Second-Hand-Buchshops. Chinas Unternehmen, machen es vor, wie man als lokaler Anbieter von globaler Technologie profitieren kann. Und dem Kunden genügt ein Mobiltelefon, um in Shanghai oder Peking sein Geld unter die Leute zu bringen. Bis 2020 wird China die USA wohl als Nummer eins der Welt in Sachen digitaler Bezahlung ablösen, prognostiziert die BNP Paribas in ihrem Mobile Payment Report 2017. Besonders weil die Transaktionen mit dem Mobiltelefon drastisch zunehmen. Nur das enorme soziale Gefälle zwischen Chinas Metropolen und den Dörfern des Landes verzögert eine landesweite Explosion. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch jenseits der großen Städte das digitale Bezahlen zum Alltag gehört. "Chinesische Konsumenten sind stärker gewillt, ihre Zahlungsinformationen auf ihren Smartphones zu speichern und ebenso gewillt, mit alternativen Zahlungsmethoden zu experimentieren", heißt es bei BNP Paribas. Allein mit dem Mobiltelefon leisteten Chinesen bis zur Jahreshälfte 2017 Zahlungen im Wert von 3,5 Billionen US-Dollar. Hinzu kommen Abermilliarden Transaktionen direkt über die Kreditkarten.

Der Trend scheint unaufhaltsam in Richtung bargeldlose Gesellschaft zu gehen. 726 Milliarden Male soll im Jahr 2020 weltweit bei Transaktionen aller Art auf Bares verzichtet werden. Auch in Deutschland nimmt die Zahl kontaktloser Zahlungen zu. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) prognostiziert, dass schon in zwei Jahren 75 Millionen Bank- und Sparkassenkarten in Deutschland in Umlauf sein werden, die über den nötigen NFC-Chip verfügen, über den kontaktlos mit dem Bezahlterminal Daten ausgetauscht werden. Das wären 40 Millionen Karten mehr als 2017. Weniger dynamisch verläuft in Deutschland dagegen die Entwicklung bei der Zahlung mit Mobiltelefonen. Während 2019 laut UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz weltweit erstmals mehr Zahlungen mit dem Mobiltelefon vorgenommen werden als mit Kredit- und Bezahlkarten, wissen viele Kunden in Deutschland noch nicht einmal, dass sie ihr Mobiltelefon überhaupt zum Einkauf nutzen können. Oder sie misstrauen der Technologie und bevorzugen die gute alte Barzahlung. Genauso gut aber kann es vorkommen, dass Kassierer aus Unwissenheit behaupten, eine Zahlung mit dem Smartphone sei nicht möglich, obwohl das NFC-Symbol als Zeichen für eine kontaktlose Schnittstelle klar und deutlich an der Kasse zu sehen ist. Eine Studie von PricewaterhouseCooper (PwC) ermittelte, dass lediglich 13 Prozent der Deutschen schon einmal eine Zahlung mit ihrem Smartphone geleistet hätten. Immerhin gaben weitere 42 Prozent an, die Methode probieren zu wollen.

Auf das Smartphone können individuelle Angebote aufgespielt werden

Potenzial ist also vorhanden. Mittelständische Unternehmen, auch jene mit Mikroumsätzen, können davon gleichermaßen profitieren wie große Firmen. Dennoch sind es vor allem Ketten, die das mobile Bezahlen ermöglichen. Laut Deutscher Kreditwirtschaft sind knapp die Hälfte aller 800 000 Terminals in Deutschland, die für kontaktlose Zahlungen geeignet sind, freigeschaltet. Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland (HDE) glaubt, dass es tendenziell eher die Handelsketten seien, die die Technologie weitgehend nutzen, während die Betreiber von Kiosken, Bäckereien oder Friseurgeschäften eher darauf verzichteten. Dabei eröffnen sich gerade auch den kleinen Betrieben durch das mobile Verfahren neue Potenziale. "Mobile Payment bietet einen Ansatz und die Grundlage, mit dem Kunden zu interagieren. Es kombiniert den Bezahlweg mit einem Kommunikationsweg", sagt Binnebößel, der beim HDE für den Bereich Zahlungsverkehr zuständig ist.

Anders als mit Bezahlkarten biete das Smartphone die Möglichkeit, auf das Display des Kunden individuell auf ihn zugeschnittene Angebote, Coupons oder Kundenbindungssysteme aufzuspielen. Voraussetzung sei nur die Einwilligung der Kunden. Wie es erfolgreich geht, machen die Chinesen vor. Tencent mit WeChat und Alibaba mit Alipay hätten bereits eigene Ökosysteme entwickelt, die neben dem Bezahlservice viele weitere Angebote bieten.

Eine Herausforderung ist es, dass die Applikationen auch eine gewisse Verbreitung benötigen. In der Regel bleibt deshalb nur die Option, sich auf Kosten des eigenen individuellen Profils einer bestehenden Plattform anzuschließen. Deutschland sei hier noch in der Entwicklung, sagt Binnebößel. Mit Payback steht zwar ein Dienst zur Verfügung, er ist allerdings ein geschlossener Verbund. Weitere Anbieter hätten noch keine Marktbedeutung erreichen können.

All das hemmt den Markt. Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen, um das digitale Bezahlgeschäft weiter anzukurbeln. Es müsse gelingen, den Nutzern den Zugang zum Mobile Payment sicher und einfach zu ermöglichen. Zudem stehen die Kunden einem Anbietermarkt gegenüber, der ihnen wenig Klarheit vermittelt. Von den Mobilnetzbetreibern, die allesamt auf den Zug der Smartphone-Zahlungen aufgesprungen waren, blieb nur noch Vodafone mit seiner Wallet App übrig. Die Einführung von Systemen wie Apple-Pay, Samsung-Pay oder Android Pay von Google, die in den USA und Asien längst etabliert sind, werden in Deutschland immer wieder verzögert. Wer ein Smartphone von Apple nutzt, ist zusätzlich beschränkt, weil der Hersteller die NFC-Schnittstellen nicht zur externen Nutzung freigegeben hat. Dass Deutschland hinterherläuft, wird mancher als Glücksfall empfinden. Bares löst sich schließlich in Luft auf, dort wo das digitale Bezahlen seine Spuren hinterlässt. Doch selbst Digitalskeptiker dürften Momente erleben, in denen sie sich bargeldlosen Zahlungsverkehr herbei wünschen. An der Supermarktkasse zum Beispiel: Wenn der Kunde vor einem akribisch 98 Cent in seiner Geldbörse zusammenrafft, vorher mühsam seine Brille aus der Jackentasche kramt. Künftig müsste dieser Kunde nur noch sein Mobiltelefon suchen.

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